Zwölf Paragraphen über Pauperismus und
die Mittel, ihm zu steuern. Von Theodor Hilgard
d. Aelt. Heidelberg 1847. Verlag von Julius Groos.
Der Nothschrei der Armuth, der fast aus allen Theilen Deutsch-
lands, Englands und Frankreichs ertönt, ist auch bis in den Westen
Amerika's gedrungen und hat den Verf. des vorliegenden Werk-
chens, dem ehemaligen -- irren wir uns nicht -- Appellations-
gerichtsrath Hilgard aus der bayerischen Rheinpfalz, der im Jahre
1836 nach Amerika auswanderte, und sich mit seiner Familie in
Belleville, St. Clair County, Jllinois, niederließ, die Feder
in die Hand gegeben, um Vorschläge zur Hebung des Pauperis-
mus zu thun, den er vorzüglich aus zwei Ursachen herleitet: aus
Uebervölkerung und aus einem unerhörten Mißverhält-
niß im Besitze.
Die beiden Erscheinungen der neuesten Zeit, welche das Dasein
des Nothstandes und das dringende Bedürfniß einer Abhülfe
herbeiführten: den Socialismus und den Communismus,
nennt der Verf. Schaumblasen, die eine Zeitlang auf der Ober-
fläche unserer bewegten Zeit schwimmen, dann aber in sich selbst
zerfallen. Der Socialismus, in seinen Grundzügen meist auf
schönen und theoretisch richtigen Vordersätzen beruhend, wird --
wie es auch die Erfahrung vielfach dargethan hat -- in seiner
praktischen Anwendung stets an Klippen scheitern, die er in seiner
heiligen Blindheit zu wenig beachtet, obwohl sie dem erfahrenen Auge
sichtbar genug sind; und der Communismus leidet nicht nur
an allen Mängeln, die dem Socialismus ankleben, sondern er
würde auch, vermöge seiner gewaltsamen und rechtswidrigen Ten-
denzen, nichts als ein unermeßliches Chaos von Verwirrung und
Unheil hervorbringen, wenn jemals an eine praktische Realisirung
desselben gedacht werden könnte. Beide kann man also wohl als
Beweise des Daseins der Noth und Gefahr betrachten, Heilmittel
dagegen sind sie aber nicht.
Da aber geholfen werden muß, so ist es nothwendig, auf
ausführbare Heilmittel zu sinnen, und deren glaubt der Verf.
folgende zwei gefunden zu haben:
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1 ) Eine von Staatswegen geleitete und unter-
stützte Auswanderung, die aber für sich allein bei weitem
nicht zureichen würde, und, als weit wirksamer,
2 ) Eine theilweise Abänderung der Gesetze über
Jntestat=Erbfolge.
Wenn wir die Tendenz dieses Blattes nicht außer Augen
lassen wollen, so ist es besonders das erstgenannte Mittel, die
Auswanderung, und was der Hr. Verf. hierüber sagt,
dem wir unsere größte Aufmerksamkeit widmen müssen.
Nachdem er das „seltsame“ Vorurtheil, daß die Auswande-
rung dem Staatswohle nachtheilig sei -- als ob jemals ein zu-
friedener Mensch das Heimathland verließe, und als ob es
dem Staate vortheilhaft sein könne, von einer möglichst großen
Anzahl unzufriedener und darbender Menschen bewohnt zu werden!
-- bekämpft, und gezeigt hat, daß sowohl dringende Rücksichten
der Menschlichkeit, als auch das „ wohlverstandene “ Staats-
interesse zu der entgegengesetzten Tendenz führen sollten, geht er
zur Entwickelung der Art und Weise über, wie die Auswanderung
zu begünstigen sei.
Die Maßregeln selbst, welche zur Förderung und zum Schutze
der Auswanderung zu ergreifen sein dürften, bezeichnet der Verf.
uns in allgemeinen Umrissen, weil die auf diesen Gegenstand be-
züglichen Verhältnisse in den verschiedenen Ländern und Länder-
theilen sich so wenig gleichen, daß ein Eingehen auf alles Ein-
zelne nutzlos sein würde. „Zu diesen Maßregeln,“ heißt es S. 11,
„müßten vor Allem folgende gehören:
1 ) daß die Regierung, so weit es in ihrer Macht liegt,
alle rechtliche und factische Hindernisse hinwegräume, welche denen,
die auswandern wollen, hinsichtlich der Realisirung und des Mit-
nehmens ihres Vermögens, sowie des Vermögens ihrer mitziehen-
den Kinder im Wege stehen.
2 ) daß man ihnen gute Belehrung ertheile, -- aber nicht
solche, die aus diesem oder jenem unzuverlässigen Reiseberichte
gezogen sind, sondern solche, die von gewissenhaften und verant-
wortlichen, an Ort und Stelle befindlichen Agenten herrühren.
3 ) daß man denen, welche die nöthigen Mittel zur Bestreitung
der Reisekosten nicht besitzen, dieselben aus einem öffentlichen, hierzu
bestimmten Fonds verabreiche; oder daß man zum Transport
solcher Auswanderer nach dem Lande ihrer Wahl auf öffentliche
Kosten Schiffe ausrüste, und ihnen auf solche Weise eine freie
Ueberfahrt verschaffe.
4 ) daß man dem mittellosen Auswanderer, unmittelbar nach
seiner Ausschiffung, eine mäßige Summe einhändige, um ihn in
der ersten Zeit -- die immer die härteste ist -- vor Elend und
Entwürdigung zu schützen, bis er Zeit gehabt, sich zurecht zu finden
und nach einem Erwerbszweige sich umzusehen.
5 ) daß der Auswanderer am Ort seiner Ausschiffung einen
diplomatischen Agenten seines Heimathlandes finde, den er nöthigen-
falls um Schutz und Rath angehen könne.
6 ) daß überhaupt die Regierung, welche auf solche Weise
die Auswanderung befördert und leitet, sich mit der Regierung des
Landes, dem die neuen Bewohner zugeführt werden, hinsichtlich
dieses Gegenstandes vorläufig verständige, um das Loos der Ein-
wandernden möglichst zu sichern und die ganze Maßregel in ihrem
rechten Lichte erscheinen zu lassen.“
Diese sind die positiven Maßregeln, zu welchen der Hr.
Verf. räth, und ebenso dringend empfiehlt er die negativen,
daß man die Auswanderung nämlich als eine Privatsache des
Jndividuums betrachten und sich keine Bevormundung seiner er-
lauben, d. h. ihm nicht von oben her vorschreiben möge, wohin
es wandern solle. Sehr richtig begründet er diesen Wunsch darauf,
daß -- wie wir ja auch aus vielen Beispielen ersehen haben --
die Regierungen nicht wissen, nicht wissen können, welche Länder-
theile die geeignetsten zur Ansiedelung sind, da ja selbst Leute,
welche lange in einem Lande lebten, nur über denjenigen Theil
desselben ein ganz competentes Urtheil haben, in welchem sie wohnen,
oder den sie häufiger besuchten, sich von dem Uebrigen jedoch immer
nur eine ungefähre, analoge Ansicht bilden.
Nord = Amerika ist das Land, welches vor allen anderen zur
Ansiedelung für Deutsche empfohlen werden kann; auch der Verf.
empfiehlt es, spricht sich aber, wie auch schon häufiger die Allg.
Ausw. Ztg. gethan, für freie Ansiedelungen daselbst und gegen
Kolonieen aus, die dort noch nie Gedeihen fanden. Sie scheitern
an dem natürlichen Hange des Menschen zur Unabhängigkeit,
gesteigert durch die freie Verfassung der Vereinigten Staaten und
durch das Beispiel aller andern Bewohner der Union, so wie an
dem handgreiflichen Satze, daß Jeder, welcher als neues Mitglied
in den Verband eines schon vollständig organisirten Staates ein-
tritt, in allen Beziehungen diesem neuen Staatsverbande ange-
hören und sonach alle Verhältnisse abbrechen muß, die ihm auf
irgend eine Weise von dem früheren Heimathlande oder dessen
Agenten abhängig machen könnten.
„Frägt man nun aber“, so schließt der Verf. diesen § seines
höchst interessanten Werkchens, das seiner Klarheit und Gediegen-
heit wegen eine ungewöhnlich große Verbreitung in Deutschland
gefunden hat, „frägt man nun aber, ob denn der unbemittelte
Auswanderer, wenn er am Ziele seiner Reise angelangt ist, ohne
so viel übrig zu haben, daß er Land erkaufen, und sich darauf
ansiedeln kann, sich nun in einer bessern Lage befinde, als in der
alten Heimath, -- ob er nicht vielmehr blos den Schauplatz seines
Elendes gewechselt habe? so antworten wir, daß hierbei Alles
auf die Verhältnisse des Landes ankommt, das der Ankömmling
zu seiner neuen Heimath ausersehen hat. Mit voller Sach-
kenntniß können wir nur von dem Westen der Ver. Staaten
von Nordamerika sprechen, den der Verf. dieser Paragraphen
seit vielen Jahren selbst bewohnt, und wir halten es für hinreichend,
in dieser Beziehung auf folgende einfache Thatsache aufmerksam
zu machen. Wer im Westen der Ver. Staaten als Taglöhner
arbeitet, -- und das muß freilich der thun, welcher ohne alles
Vermögen hier ankommt, -- der verdient täglich wenigstens
einen halben Dollar. Die Union aber, die in den westlichen
Staaten und Territorien noch viele Millionen Acker des herrlich-
sten Landes besitzt, verkauft den Acker zu1 1 / 4 Dollar. Wenn also
der Taglöhner die Hälfte seines Verdienstes zurücklegt, was er
bei den wohlfeilen Preisen der Lebensmittel recht gut kann, so
erübrigt er in einer einzigen Woche mehr, als er zum Ankauf
eines Ackers ( 43,560 engl. Quadratfuß ) des fruchtbarsten Landes
braucht, -- und wenn er 2 Jahre lang so fortarbeitet und spart,
so kann er so viel erkaufen und anbauen, daß er für immer von
jeder Brodsorge frei ist und eine zahlreiche Familie ernähren kann.
Ein Knecht verdient jährlich 80, eine Magd 60 Dollars, und
mehr. Sind sie also sparsam, so können sie in wenigen Jahren
genug erübrigen, um sich mit Erfolg anzusiedeln. Jm Congreß
der Ver. St. ist sogar schon mehrmals beantragt worden, daß
der Preis, um welchen die Union das Land verkauft, noch bedeutend
herabgesetzt werden solle, und es hat allen Anschein, daß eine
solche Maßregel wirklich über kurz oder lang wird beschlossen werden.
Daß eine Familie, welche einmal angesiedelt ist, unter solchen
Verhältnissen sich keine Sorge um die Zukunft der Kinder, so
zahlreich sie auch sein mögen, zu machen braucht, versteht sich so
ziemlich von selbst; und gerade diese Sorge ist es ja, die in Deutsch-
land drückender als jede andere auf dem unbemittelten Familien-
vater lastet.“ --
Der nöthige Fonds zur zweckmäßigen und genügenden Unter-
stützung der Auswanderung soll, nach des Verf. Vorschlag, theils
von den resp. Regierungen hergegeben, theils durch freiwillige
Beiträge Wohlhabender und Reicher gewonnen werden, indem
jenen wie diesen daran liegen muß, Unzufriedene zu entfernen,
deren steigende Noth die Sicherheit des Eigenthums und selbst
der Person gefährdet. Das dritte Mittel zur Herstellung eines
Auswanderungs = Fonds ist „Abänderung der Gesetze über Jntestat-
Erbfolge “ dahin, daß ein allgemeiner Erbfonds für Unbemittelte
entstehen würde.
Jn Vorstehendem haben wir angedeutet, was der Hr. Verf.
über Auswanderung sagt; jetzt aber geht er, bis zum Schlusse
seines Werkes, zur Motivirung seines auf Gründung eines all-
gemeinen Erbfonds hinzielenden Vorschlags über, ein Thema,
das wir, so interessant er dasselbe auch behandelt, vor das Forum
einer juristischen Zeitschrift verweisen müssen.
R. Die Verbreitung des deutschen Volkes über
die Erde. Ein Versuch von Wilhelm Stricker,
Dr. med., Mitglied des geographischen Vereins zu
Frankfurt a. M. Leipzig 1845. Gustav Mayer.
Der Verf. legt, wie er in der Einleitung sagt, bei der Be-
stimmung, wie weit die Deutschen sich über die Erde verbreitet
haben, die Sprache zu Grunde; da aber in den höheren Classen
der Städte oft eine andere Sprache herrscht, und durch Regierungs-
maßregeln manchmal auch eine solche neben der angeerbten, häus-
lichen zum Bedürfniß geworden ist, so läßt er für seine Forschung
nur die häusliche Sprache des Landvolkes gelten. Die Bedeutung
des Wortes deutsch enger fassend als germanisch im heutigen
Sinne, und weiter als deutsch in politischer Beziehung, schließt
er die germanischen Nationen des scandinavischen Nordens und
der britischen Jnseln aus dem Kreis seiner Betrachtung aus, wo-
gegen er die selbstständig entwickelten niederländischen und flämi-
schen Dialekte in denselben aufnimmt. „Deutschland“, sagt er,
„geht uns also, um die Erörterung mit Arndt's Worten zu schließen:
„ So weit die deutsche Zunge klingt.“
Wie weit aber die deutsche Zunge klingt, wie weit Deutsch-
lands Söhne über den Erdball zerstreut sind, finden wir, wenn
wir diese treffliche, aus zu großer Bescheidenheit „ein Versuch“
genannte Arbeit durchgehen und uns aus derselben überzeugen,
daß fast in jedem Winkel der Erde Deutsche wohnen.
Das erste der vier Bücher, in welche das Werk eingetheilt
ist, schildert das deutsche Sprachgebiet, mit den Sprachinseln und
dem deutschen Element in den zunächst angrenzenden Ländern.
So interessant dieses erste Buch auch ist, wir wollen bei ihm
und dem zweiten, welches sich über die Deutschen im russischen
Reiche, in Spanien und Großbritannien verbreitet, nicht verweilen,
sondern zum dritten Buche übergehen, welches sich mit den Deut-
schen in Afrika, Amerika und Australien beschäftigt, also sich mehr
der Tendenz unseres Blattes nähert, und welches uns nur be-
dauern läßt, daß das Erscheinen des Werkes nicht in gegenwärtige
Zeit fiel, so daß der Verf. seine rege Aufmerksamkeit auch der,
in den letzten Jahren so ungeheuer zugenommenen Auswanderung
und ihrem Einflusse auf das deutsche Element in den genannten
drei Welttheilen, und ganz besonders in Amerika, widmen konnte.
Das vierte Buch schildert uns die Deutschen in einigen europäi-
schen Hauptstädten, z. B. in Lissabon, London, Paris, Stockholm
ec. und verdient, gleich den übrigen, eine mühevolle, wackere Arbeit
genannt zu werden.
S.
Vier Monate auf den Marquesas = Jnseln
oder ein Blick auf polynesisches Leben von Hermann
Melville. Aus dem Englischen von Rudolph
Garrigue. 2 Thle. Leipzig, Verlag von Gustav
Mayer. 1847.
Vorstehendes Werkchen gehört nicht der Auswanderungs-
literatur an, und nur der überseeische Boden, auf welchem der
viermonatliche Faden seiner Erzählung gesponnen worden ist, mag
es rechtfertigen, wenn eine kurze Besprechung desselben hier eine
Stelle findet. Wir gestehen, daß wir mit nicht geringer Hoffnung,
über die seit der französischen Erpedition interessant gewordenen,
noch wenig bekannten Marquesas- Jnseln willkommene Auf-
schlüsse zu erhalten, das Buch zur Hand genommen haben. Allein
schon die Vorrede, in welcher der Verfasser ausdrücklich der Ver-
öffentlichung seiner Abenteuer die alleinige Absicht unterlegt, dem
Leser eine langweilige Stunde zu verkürzen, kühlte unsere Wiß-
begierde ab, und wir danken es dem Verf., daß er uns dadurch
eine spätere Enttäuschung ersparte. Jn lebendigem, oft launigem
Tone schildert der Verf. seinen mehrmonatlichen Aufenthalt unter
den gastfreundlichen, gutmüthigen Menschenfressern und oliven-
farbigen Schönheiten der Marquesas = Jnseln, welche den weißen
Eindringling mit höchster Auszeichnung behandeln, mit den kost-
barsten Delicatessen ihrer fruchtreichen Jnsel füttern und mit der
zartesten Schonung von ihren Menschenfleischmahlen fern halten,
während sie zugleich, den amerikanischen Waldmenschen ähnlich,
den seltenen Gast in steter Gefangenschaft sorgsam bewachen und
jeden Versuch zur Flucht vereiteln. Wir leugnen nicht, daß die
eigenthümlichen Situationen eines civilisirten Menschen unter Canni-
balen recht anziehend und unterhaltend gezeichnet sind, und können
Allen, welche die modernen Bilder mit fremdartiger, transatlanti-
scher Staffage lieben, das vorliegende empfehlen. Nur muß der
Leser mit der Unterhaltung sich begnügen und nicht Belehrung
suchen, so wenig es uns einfallen würde, aus den Abenteuern
einer weit gereisten Marketenderin Kriegsgeschichte zu studiren.
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