Fr. Müller's Monographie.
( Fortsetzung. )
Jm Jahre 1845 brachte der Verkauf der Staatsländereien
5,077,022 Dollars ein. Sämmtliche Verkäufe vom Jahre 1787
bis 1845 ergaben die außerordentliche Summe von 118,607,335
Dollars, und durchschnittlich sind jährlich 2 Millionen Acker ver-
äußert: also auf Jahrhunderte noch Vorrath, ohne mal Teras
und Oregon hinzuzurechnen. Wenn Fabrikarbeiter 320 Acker
Landes für 80 Dollars und abwärts 40 Acker für 10 Dollars
kaufen können, wird allein hierdurch den Fabrikherren die Macht
genommen, den Arbeitslohn herabzusetzen, weil dann die Arbeiter
Bauerngüter zu diesem niedrigen Preise kaufen und ihre Familien,
statt durch zwölfstündiges Tagewerk in den Fabriken, durch Land-
bau ernähren können. Hierin liegt der große Schutz Amerika's
für die arbeitende Classe, und die heillose Klippe Europa's steht
den Vereinigten Staaten fern, hungernde Fabrikarbeiter zu er-
halten, den geringen Landbebauer untergehen zu sehen, und somit
ist die Garantie groß für denjenigen dieser Stände, der seinen
Wanderstab nach den Häfen der Union setzt, wo der Taglohn
hoch ist und bleiben wird, und der Boden seinen Mann nähret.
Jm Jahre 1820 waren mit Manufacturen aller Art beschäftigt
349,000 Menschen in den Vereinigten Staaten; im Jahre 1840
dagegen schon 791,000, und den Ertrag sämmtlicher Manufac-
turen schätzte man auf 139 Millionen Dollars. Der Ackerbau
findet, als die Hauptquelle eines jeden Landes, hier seine tüchtige
Anzahl Vertreter; man kann rechnen, daß immer von 4 bis 5
Menschen hier eine Person sich demselben widmet.
Die Bevölkerung steigt in den Bundesstaaten Nordamerika's
mit einer Schnelligkeit, wovon bisher die Weltgeschichte kein ähn-
liches Beispiel aufzuweisen hat: 1780 bestand solche aus 2,051,000
Seelen und 1844 schon aus 18,980,000; gegenwärtig aus 20
Millionen und der Census, welcher 1850 wieder stattfinden wird,
ermangelt sicherlich nicht, staunenerregende Resultate zu liefern.
Daß aber 2,487,000 Negersclaven sich unter dieser Zahl noch
befinden, ist eine Schande für ein Land, das seiner Freiheit sich
so oft mit vollen Backen rühmt! Nicht ohne Gefahr für die
Sicherheit des Staates lebt diese schwarze Menschenzahl dort,
und wehe der Stunde, wo ein Geist der Befreiung allgemein sie
einst durchdringen sollte. Ohne Entschädigung die Sclaven frei
zu lassen, würde den Eigenthümern den ungeheuern Schaden von
1000 Millionen Thalern zufügen, und alle Arbeit in denjenigen
Staaten, wo die Sclaven zu halten erlaubt wird, läge darnieder.
Das Fortbestehen der Sclaverei steht aber mit der Freiheit der
Vereinigten Staaten im grellsten Widerspruche, wie die Beseitigung
dieser Herabwürdigung allergrößte Aufgabe der dortigen Staats-
männer bleibt; zur Ehre der Menschheit jedoch wollen wir hoffen,
es komme noch eine Zeit, welche diesen gordischen Knoten zu
lösen versteht!
Zum großen Vortheile für diese Bundes = Staaten ist die
geringe Anzahl des stehenden Heeres; in Europa geht meistens
die halbe Einnahme der Reiche damit fort. Dort gehen für die
Militärschulen, Kriegvorräthe, Festungen und für das Heer, wel-
ches nur 8616 Mann im Jahre 1844 zählte, etwa 3 bis3 1 / 2
Millionen Dollars hin. Zwischen europäischen Staaten würde
dieses eine sehr geringe Macht sein; auch überschätzt man die
militärischen Kräfte der Vereinigten Staaten gewöhnlich weit,
und bedenkt nicht, daß diese Hülfsquellen aus Mangel hinrei-
chender Bevölkerung nur zum kleinen Theile aufgeschlossen sind
und die Kraft der Centralgewalt unvollkommen ist. 1845 waren
11 Linienschiffe da, 17 Fregatten, 34 kleinere Schiffe und 2
Dampfböte, mit 6100 Matrosen; die Kriegs= und Handels-
marine zusammen beschäftigte 63,000 Personen. Jn England
sind auf beiden 288,630 Mann; eine ganz andere Zahl. -- Die
amerikanische Miliz rechnet man auf 1,750,000 Streiter; brauch-
bare Cavallerie und Artillerie fehlen aber, auch die organische
Gliederung und die Haupteigenschaft: die Subordination.
Den besten Schutz finden die Vereinigten Staaten darin,
daß alle übrigen Länder Amerika's ihnen nachstehen, ein weiter Ocean
sie vom kriegserfahrenen Europa trennt, und die Hauptfeinde,
die Jndianer, in der Union mit Einschluß von Oregon nur 350,000
Seelen zählen, und sich durch stete Kriege unter den verschiedenen
Stämmen am Ende selbst aufreiben. Selbst der Krieg mit Me-
xiko, der am 24. April 1846 begann, und zu dessen Führung
General Taylor 50,000 Freiwillige und 10 Millionen Dollars
forderte, der sich 12 Regimenter sofort ausbat, die Trommel in
Neworleans zur Werbung, bei 10 Dollars Handgeld und eben
so viel monatlichen Sold, rühren ließ, aber dort nur 1200 Mann
zusammen bekam, hat keine Resultate gezeigt, wie man sie diesseits
des atlantischen Oceans kennt. Ein anderes mag es sein, wenn
die Freiheit in Gefahr kommt; dann mag diese kraftvolle Bevöl-
kerung, unter der so treffliche Schützen sind, bei richtiger An-
führung die Wunder zu leisten im Stande sein, zu der Vaterland
und Freiheit den Menschen begeistern.
Gegen die Jndianer verfährt man auf eine gerechte Weise;
man nimmt ihnen nicht die Länderstrecken, sondern kauft solche
ihnen ab. Von 1829 bis 1838 sind von denselben 116,349,000
Acker, zu dem Werthe von 72,560,000 Doll. angekauft. Wenige
Stämme nur nehmen das Christenthum an und werden der Cultur
gewonnen; die meisten ziehen sich zurück in unwirthliche West-
gegenden. Zu fürchten ist von ihnen für die Ansiedler nicht viel
mehr. Wichtig sind die Jndianer der Pelzhandlungs = Compagnie,
welche jenseits der Felsengebirge ihre Niederlassungen hat, und
neben der größten Ausbreitung die bedeutendsten Geschäfte macht.
Unter den günstigsten Verhältnissen stehen die Ver. Staaten
Nordamerika's in Beziehung auf ihre finanziellen Umstände. Mit
dem Schlusse ihres Finanzjahres, 13. Juni 1846, betrug die
Einnahme 117,254,564 Dollars; die Ausgabe 114,646,606 D.;
unbezahlte Staatsschulden bleiben nur 17,075,445 D. 52 C. Eine
geringe Summe für ein solches Land mit derartigen Quellen,
mit dem ungeheueren Staatsvermögen an Ländereien, für welche
allein im letzten Jahre 2,077,022 Dollars 30 C. aufgekommen
waren. Vor einigen Jahren war die ganze Schuld, welche aus
den Zeiten des Freiheitskampfes und aus dem Kriege mit Eng-
land 1812 herrührte, getilgt, und die Union zeigte der Welt das
seltene und edle Beispiel eines großen und wachsenden Volkes,
welches alle seine Geldverbindlichkeiten geleistet hatte, und mit
innerem Stolze auf sich selbst und die Außenwelt blickte.
Statt daß ein Alterthum oft von tausend und mehreren
Jahren sich um die Mauern der Städte der alten Welt webt,
sehen wir in Nordamerika solche erst in der neueren und neusten
Zeit entstehen: 1565 gründeten Spanier St. Augustin in
Florida, die älteste Stadt der Verein. Staaten; 1607 bauten
die Engländer Jamestown; 1619 berief der Statthalter Jeard-
ley die erste stellvertretende Versammlung und legte dadurch kühn
den Grund zur eigenen Verfassung; 1632 gründeten die Calverts,
Vater und Sohn, Maryland durch besondere Volksrechte; 1630
erhob sich Boston in Massachusetts; 1629 entstand Neu-
Hampshire; 1636 Connecticut; 1663 erhielt Rhode-
island neue Freiheitsbriefe; 1663 empfingen englische Lords Ca-
rolina geschenkt; New=York, von Holländern gegründet, er-
hielt 1667 seine Verfassung, 1683 entstand Philadelphia;
Georgien ward 1733 angebaut, und wie unendlich viele größere
und kleinere Städte sind in der neusten Zeit entstanden, gleichsam
als wenn sie mit dem Thau aus der Erde steigen.
Zu welchen Höhen an Menschenzahl und Reichthum haben
sich in solch' kurzem Zeitraume, unter dem Schutze der Freiheit, die
dortigen Städte bereits erhoben. Newyork zählte 1844 an 364,000
Einwohner, Philadelphia 301,000, Baltimore 164,000, Boston
118,000 und Oerter, die kaum entstanden sind, wie St. Louis,
haben 37,000, Cincinnati 56,000 Menschen zu ihren Bewohnern. Jm Jahre 1846 entstanden in Cincinnati allein 1375 neue Ge-
bäude, meistens durch Deutsche bewohnt, worunter 816 von Backsteinen auf-
geführt wurden, und an öffentlichen Gebäuden errichtete man zur selbigen Zeit
zwei Schulen, ein medicinisches Collegium, zwei Kirchen, eine Synagoge,
zwei Schulen für Katholiken; eine Kapelle und eine neue kathelische Kirche
ward begonnen. Welch' eine Kraftentwicklung in Einer Stadt!
Der so eben stattgehabte Census des Staates Jllinois
ergibt 700,000 Einwohner: also die ungeheuere Vermehrung von
200,000 Menschen in den letzten 5 Jahren. Der kaum entstandene
Staat Wisconsin, westlich vom Michigan = See, taucht mit
Morgenfrische, gleich einer Nymphe, aus den Fluthen dieses Binnen-
Meeres, zählt gegenwärtig 150,000 Seelen und hat sich also in
5 Jahren um hunderttausend vermehrt. Kentucky, wo 1775
noch kein Weißer wohnte, hatte 1840 bereits 779,000 solcher
Einwohner; Alabama, das im Jahre 1800 erst 2000 Ansiedler
zählte, nährte 1840 590,000; Ohio, im Jahre 1790 von 3000
Anbauern bevölkert, hat 1840 schon 1,519,000 Einwohner.
So erhebt sich ein Land neben dem andern zur staunener-
regenden Höhe; Millionen Hände bearbeiten mit dem, den Ameri-
kanern eigenthümlichen Fleiße den ergiebigen Boden; Millionen
sind in Fabriken, Bergwerken, auf Schiffswerften, in den Häfen,
auf der See, bei Handel und Völker = Verkehr thätig, und erlangen
das sichere, das beständige Brod, welches der Lohn fleißiger Hände
ist; Nord = Amerika ist das herrliche Land, wo Jeder durch eigene
Kraft fortkommt und besteht, der Faullenzer nicht gedeiht, und
die Volksfreiheit ein gleiches Band um Hohe und Niedere schlingt
und deßhalb wenden sich die Blicke derjenigen Deutschen dahin,
die für die Arbeit ihrer Hände den einfachen Lohn selbst zu ge-
nießen wünschen.
Wie sehr haben sich aber auch diese blonden Völkerstämme
dort vermehrt. Heben wir zum Beweise mal einige Städte her-
vor: Jn Philadelphia wohnen 81,400 Deutsche, in Newyork
64,000, in Baltimore 52,000, in Boston 23,000, in St. Louis
19,000, in Cincinnati 17,500, in Brooklyn 14,500, in Pitts-
burg 11,500 deutsche Leute, und mehr und immer mehr segeln
dahin, wo im Lande Missouri nach und nach ein neues deutsches
Wesen, umgeben mit den Eigenthümlichkeiten der verlassenen Hei-
math, bereichert mit der sichern Aussicht auf Brod und Erwerb,
entsteht. Jm Jahre 1845 hatte Deutschland 73 Hanseatische
und 61 andere deutsche Handels = Etablissements in den sieben
Haupt = Handelsorten der Vereinigten Staaten, mit 168 Chefs
und 242 Commis; und jetzt zeigte uns jener Staatenbund, welch'
einen hohen merkantilischen Werth er auf Deutschland und auf
dessen Ackerbauer legt, indem eine directe Dampfschiffahrts - Ver-
bindung zwischen Newyork und Bremen, welche schon ins Leben
getreten ist und wodurch beide Länder, Amerika und Deutschland,
einander um vieles näher gebracht werden, begünstigte. Ein Ca-
pital von einer Million Dollars ist hierzu ausgesetzt und die 250
Fuß langen, 43 Fuß breiten und 27 Fuß 6 Zoll tiefen Dampf-
schiffe, mit einer Trächtigkeit von 1750 Tonnen, gehen aus den
Werften der Schiffsbauer Vesterfeld und Makey hervor; schon
hat das prachtvolle Dampfschiff Washington dem blühenden,
und um die Auswanderung, wie um Deutschlands Ehre so ver-
dienten Bremen seinen ersten Besuch abgestattet.
Welch' eine große Zukunft liegt hierin für Deutschland ver-
borgen! Bisher ging das deutsche Princip so leicht verloren in
Amerika, indem die Einwanderer dort Sprache und Gewohnheiten
annahmen; jetzt aber mit der so sehr vermehrten Einwanderung,
wo jährlich 50 bis 100,000 Deutsche nach den Verein. Staaten
strömen, wo der einfache Landbauer der untersten Classe nicht bloß,
wo auch geschickte Handwerker und Künstler, größere Landwirthe
und Begüterte, junge Handelsleute und Gelehrte dahin wandern:
jetzt erhebt Germania bescheiden, aber sicher, fest und selbst-
vertrauend, dort sein Panier und sammelt unter demselben die
rüstigen Söhne der immer noch von ihnen heißgeliebten Heimath!
Jm Jahre 1804 erschien in Boston das erste öffentliche Blatt;
Philadelphia erhielt 1719 die erste Zeitung; Newyork nicht vor
1725; -- und jetzt durchfliegen alle möglichen Journale, Zeitungen,
öffentliche Blätter, deutsche Classiker und alle geistigen Producte
des germanischen Mutterlandes schon die Thäler des Mississippi
und Missouri, die Wälder am Alleghany, die Prärien der großen
Seen und das unendliche Küstengebiet dieser meerumwogten jungen
Staaten. Was der Vater, die Mutter, was die Freunde und
Angehörigen beim Scheine der Lampe am warmen Ofen in den
langen Winterabenden lesen, was das Vaterland bewegt und
erfreut, was unsere Schriftsteller in Prosa und Versen bringen,
was Deutschland mit Jnteresse beregt; -- dieses Alles erfährt
auf die mannichfaltigste Weise der Uebersiedler auch in den Ver.
Staaten, in seiner neuen Heimath, und fühlt sich glücklich, der
verlassenen nicht entrückt zu sein, fort zu leben im deutschen Sinne
und Geiste, genährt und im Jnnern beruhigt durch Amerika's
Boden und sichernde Jnstitutionen, im deutschen Wesen erkräftigt
durch die deutsch = amerikanische Presse.
Was wir wandern sahen nach dem Lande der Freiheit, von
dem hier nur leichte Federzüge ein karges Bild gegeben, ist ein
Geringes gegen die Auswanderung deutscher Stammgenossen,
welche noch die Zukunft birgt. Wird Euch das Auge trübe,
deutsche Jünglinge und Männer! -- bergt Jhr die blonden Locken
in Euer naßgeweintes Tuch, Jhr edlen Jungfrauen deutscher
Gaue! -- preßt Jhr ahnungsvoll Eure Kinder an das bang-
klopfende Herz, Jhr treuen deutschen Frauen, wenn der hei-
mathliche Strand, wenn das heilige deutsche Land Euch die letzten
Küsten zeigt, wenn Meer und Nebel Euch aufnehmen: -- nur
muthig vorwärts durch die grünen Wogen! Wo das Reich der
Atlantis endigt, schließt die mühsame Fahrt und Amerika's
waldumkränzte Ufer nehmen Euch gastlich auf; im Schooße der
Zukunft liegt dort, im Stromthale des Mississippi, oder am frucht-
baren Missouri = Ufer Euer bescheidenes, aber ruhiges Glück; der
Gott, welcher Euch den Weg aus dem Vaterlande gezeigt, weiß
eine andere bleibende Stätte für Euch! Er trocknet Eure Thränen
des Abschiedes, Eure Thränen der Nahrungssorgen, er gibt Euch
Brod im fernen Lande und legt in Eure Hände auch eine glück-
lichere Zukunft für das verlassene Vaterland! --
( Fortsetzung folgt. )