Die Kritik
Das Universitätsstudium der Frauen.
Seit die Frage der Zulassung der Frauen zum Universitätsstudium
im deutschen Reichstage behandelt worden ist, seither scheinen die Gewässer
dieser Bewegung in den Zustand vollständiger Stagnation getreten zu sein.
Nur ab und zu verräth eine Welle, daß unter dieser unheimlichen Ruhe
noch einiges Leben herrscht, aber dieses Leben ist fast noch unheimlicher
als die Ruhe. Entweder versichert der Geh. Rath Schneider wieder einmal,
daß ihm nichts ferner liege, als der Wunsch, die Frauengymnasien ver-
allgemeinert zu sehen, oder es taucht die Nachricht auf, daß in der Unter-
richtskommission des preußischen Abgeordnetenhauses ein Regierungskommissar
sich gegenüber dem Wunsche nach Zulassung von Frauen zur Maturitäts-
prüfung und zum medizinischen Studium überaus zuvorkommend aus-
gesprochen und mitgetheilt habe, es hätte der Reichskanzler erklärt, daß
von seiner Seite der Ertheilung weiterer Berechtigungen und der Zulassung
der Frauen zum medizinischen Studium und zur ärztlichen Approbation
Bedenken durchaus nicht entgegenständen. Bei Prüfung des Kommissions-
berichtes erweist sich die Nachricht, wie für Kenner der Situation gar nicht
anders anzunehmen war, als trügerisch; der Regierungskommissar hat von
einer Auslassung des Reichskanzlers überhaupt nichts erwähnt, sondern nur
berichtet, daß die Frage innerhalb der Staatsregierung Gegenstand fort-
gesetzter Erwägung sei, daß abgesehen von der Neuordnung durch die
Erlasse vom 31. Mai 1894 (Beschäftigung von Lehrerinnen in höherem
Maße als bisher auch in den oberen Klassen der höheren Mädchenschulen)
Das Universitätsstudium der Frauen
in einzelnen Fällen die Zulassung zur Gymnasialreifeprüfung gewährt sei;
daß in der philosophischen Fakultät der Universitäten, vorzugsweise in
Göttingen und Berlin, Frauen zum Anhören einzelner, von den Gesuch-
stellerinnen bezeichneten Vorlesungen zugelassen worden seien, ohne daß sich
Mißstände irgend welcher Art daraus ergeben hätten, daß aber bezüglich
der medizinischen Fakultät die Zulassung zu einzelnen Vorlesungen nicht zu
empfehlen sei. Dagegen komme hier die Zulassung zum ordnungsmäßigen
Studium in Frage, da die Bestimmungen der Gewerbeordnung nach Auf-
fassung der maßgebenden Reichsbehörden der Zulassung von Frauen zur
ärztlichen Approbation nicht entgegenständen.Etwas Abschließendes
lasse sich weder in dieser noch in anderen Beziehungen sagen,
da die Schwierigkeit der Frage besondre Vorsicht erfordere.
Trotzdem dem Leser dieses Berichtes unwillkürlich des Königs Thoas
Worte einfallen: „Du sprichst vergebens viel um zu versagen, der Andre
hört von allem nur das nein“, so fürchtet der Referent doch, vielleicht zu
große Konzessionen gemacht zu haben, denn „vorsichtig wie die Frage“ seiner
Ansicht nach „behandelt werden muß“, vorsichtig bis in die Fingerspitzen
fügt er zum Schluß hinzu:
„Haben Frauen einmal den ZutritZutritt zu einer Maturitätsprüfung und
zu medizinischen Studien und Prüfungen, dann wird die Konsequenz weiter
treiben, und man wird ihnen kaum noch den Besuch solcher Universitäts-
vorlesungen, welche dem natürlichen Beruf und der eigenartigen Veranlagung
des weiblichen Geschlechts entsprechen, verwehren können.“
Wäre das wirklich ein so großes Unglück, wenn man den Frauen
den Zutritt zu solchen Universitätsvorlesungen, „welche ihrem natürlichen
Beruf und ihrer eigenartigen Veranlagung entsprechen“, freigeben würde?
Was versteht der Regierungsvertreter überhaupt unter der Phrase „die
Schwierigkeit der Frage erfordere besondere Vorsicht“? Wenn ein Gegen-
stand mit Vorsicht behandelt werden soll, dann muß er vor allen Dingen
in Behandlung genommen werden. Wenn man die Frage der Zulassung
der Frauen zum Universitätsstudium mit Vorsicht behandeln will, dann
gebrauche man diese in so ausgiebigem Maße wie nur möglich, man
versuche es erst mit gewissen Fakultäten, oder gar nur mit be-
stimmten Universitäten, meinetwegen nur mit einer einzigen, aber man
mache doch endlich einen Versuch; das hieße die Frage mit Vorsicht be-
handeln, das hieße überhaupt erst sie behandeln, aber so, wie es der
Regierungsvertreter meint, ist der Ausdruck „mit Vorsicht“ ganz irrthümlich
angewendet, hier ist das Wort „ablehnend“ am Platze.
Wenn man hört, wie unsere maßgebenden Persönlichkeiten sich zur
Frage der Zulassung der Frauen zum Universitätsstudium äußern, so fühlt
man sich versucht anzunehmen, daß es sich darum handelt, in Deutschland
ein Novum einzuführen, daß Deutschland in dieser Frage bahnbrechend
wirken soll. Und doch ist das strikte Gegentheil der Fall, außer Oestereich-
Ungarn ist Deutschland der einzige europäische Staat, ja, überhaupt das
einzige zivilisirte Land in dem die Frauen vom Universitätsstudium aus-
geschloffen sind.
Die Kritik
Warum holt denn unsere Regierung nicht bei den anderen Regierungen
Auskunft über die Resultate des Frauenstudiums ein?
Ja warum?
Wohl weil es ein besonderer Ruhm zu sein scheint, das europäische
China darzustellen.
Ueber die günstigen Resultate des schweizer Frauenstudiums, trotz
der vielen schlechten Elemente, die sich unter den dortigen Studentinnen
(Russinnen) befanden und auch noch befinden, haben die dortigen Universitäts-
professsoren Dr. Flesch und Dr. Müller wiederholt in ausführlichen Ab-
handlungen berichtet.
Ueber das Ergebniß der Zulassung der Frauen zu den belgischen
Universitäten hinsichtlich der Studenten hat der Rektor der Universität
von Lüttich, Crasenster, vor einigen Jahren ein Enquête veranstaltet. Er
hat an sämmtliche Universitätsvorstände folgende Frage gerichtet:
„Welchen Einfluß hatte die Zulassung der Frauen zu den Uni-
versitäten auf die Studien, die Disziplin und das Benehmen der Studenten?“
Das Ergebniß seiner Enquête faßt Rektor Crasenster folgendermaßen
zusammen: „Uebereinstimmend ist von allen Seiten anerkannt worden daß
diese Zulassung gar keine Nachtheile im Gefolge gehabt, sondern daß sie
im Gegentheil häufig einen sehr günstigen Einfluß ausgeübt hat, auf diese
Weise die in England und Amerika gemachten Beobachtungen bestätigend.“
Jn seinem vortrefflichen Buche „La condition politique de la
femme“ berichtet der Brüsseler Rechtsanwalt Louis Frank dasselbe Er-
gebniß auch aus den anderen Ländern, in denen Frauen studiren, und fügt
hinzu:
„Was die Frauen selbst anbelangt, haben sie durch den Gebrauch,
den sie von ihrem Rechte gemacht haben, durch ihren enormen Fleiß, die
großen Erfolge, die sie bei den Prüfungen davongetragen haben, und durch
ihren Feuereifer einen neuen Beweis geliefert, daß unsere Gefährtinnen
noch größere Rechte zu erlangen verdienen und daß sie würdig sind, auf
allen Gebieten Gleichberechtigung zu fordern!“
An der Londoner Universität haben von den männlichen Studieren-
den nur 42 Prozent mit Erfolg promovirt, von den weiblichen dagegen
73, und zwar letztere, eine einzige Ausnahme abgerechnet, sämmtlich mit
dem ersten Grade.
Es muß selbstverständlich in Erwägung gezogen werden, daß von
den Frauen nur sehr begabte studiren, während bei den Männern häufig
nur der Reichthum ihrer Eltern die Veranlassung ist, sich „auch diesen
Luxus“ zu gönnen, aber selbst bei dieser Erwägung muß man die Erfolge,
die die Frauen mit dem Studium haben, glänzend finden.
Und all das wird bei uns vollständig ignorirt, von der Regierung
sowohl als auch von solchen Männern, denen man wohl ein Jnteresse an
einer vitalen Frage, wie diese es ist, zumuthen dürfte.
Erklärte doch Eduard v. Hartmann einem Jnterviewer: „Jch bin
durchaus dafür, daß man den Versuch, Frauen Medizin studiren zu lassen,
Die Kritik
freigiebt, weil ich überzeugt bin, daß dabei Nichts herauskommen wird.
Die Sache hat eben gar keine Zukunft. Die Frau hat nicht die erforder-
liche geistige und körperliche Kraft.“
Das war im Jahre 1893, und doch schon hatte im Jahre 1886 das
„Bureau of Education“ über die höhere Erziehung der Frauen in den
Vereinigten Staaten folgende statistische Tabelle veröffentlicht:
Colleges für Frauen | 266 |
Gemischte Colleges | 207 |
Landwirthschaftliche und technische Jnstitute | 17 |
Wissenschaftliche Jnstitute | 3 |
Medizinische Jnstitute | 36 |
| |
| 529 |
Jn all' diesen Jnstituten waren immatrikulirt:
Jn Jnstituten, die nur für Frauen bestimmt sind, | 27143 |
Jn gemischten Instituten | 8833 |
| |
Totalsumme | 35976 |
Und da glaubt Herr v. Hartmann, daß die „Sache eben gar keine
Zukunft hat“, da meint der Regierungsvertreter, daß die „Schwierigkeit der
Frage noch besondere Vorsicht erfordere“?
Berlin. Eliza Jchenhaeuser.