8.
Verſuche über den Zitterrochen.
Von A. v. Humboldt und Gay-Luſſac.
(Aus einem Briefe des erſtern an Berthollet, datirt Rom
15. Fruct. 13).
UeberſetztAus den Annales de Chimie Nro.. 166. Vendem. 14. T.
5. P. 15–23. Vergleiche die vorläufige Nachricht Bd. 5.
S. 495 d. J. von A. F. Gehlen.
Die Erſcheinungen, welche die electriſchen Fiſche darbie-
ten, verdienen, ſeitdem mehrere Phyſiker ihre Erklärung in
der ſchönen Theorie, womit Volta die Wiſſenſchaft be-
reichert hat, zu finden geglaubt haben, neue Unterſuchun-
gen. Sie fühlen leicht, mein hochachtungswürdiger Freund,
wie ungeduldig wir ſeyn mußten, uns Zitterrochen zu ver-
ſchaffen, und Sie wundern ſich vielleicht, daß ich ſo ſpät
mit Jhnen davon ſpreche. Jn Genua fanden wir welche,
aber in einem Augenblick, da wir unſere Jnſtrumente nicht
bei uns hatten. Jn Civita-Vecchia ſuchten wir ſie ver-
gebens. Während unſeres Aufenthalts in Neapel endlich
erhielten wir ſie ſehr häufig, recht groß andund lebhaft. Jch
Von Humboldt's und Gay-Luſſac's Verſuche ꝛc.
lege Jhnen in dieſem Briefe die Reihe von Verſuchen vor,
die wir, Herr Gay-Luſſac und ich, über die Wirkung
des Zitterrochen (Raja torpedo Linn.) anſtellten, und
denen Herr von Buch, ein in allen Zweigen der phyſika-
liſchen Wiſſenſchaften ſehr bewanderter deutſcher Mineraloge,
beiwohnte; ich werde bloß Thatſachen aufſtellen, ohne theo-
retiſche Jdeen einzumiſchen. Unſere Verſuche waren vor-
züglich auf die Bedingungen gerichtet, unter welchen der
Zitterrochen nicht fähig iſt, dem Menſchen jene Erſchütte-
rung, die man mit dem Namen einer electriſchen belegt,
wiewohl die Empfindung von derjenigen, ſo eine entladete
Leydener Flaſche bewirkt, ſehr abweicht, beizubringen. Da
wir kein anderes Werk vor uns haben, als das, worin
Aldini die ſchönen Unterſuchungen Geoffroy's mit de-
nen Spallanzani's und Galvani's verbunden hat, Mémoirés ſur la torpille, in dem Essai ſur le Galvanisme,
T. II. P. 61.
ſo ſind wir nicht im Stande, unſere Arbeit mit der viel-
leicht von anderen Phyſikern vor uns zu Stande gebrach-
ten zu vergleichen.
1. Obwohl der Zitterroche in ſeiner Stärke nicht mit
dem Zitteraal (gymnotus electricus) zu vergleichen iſt,
ſo iſt er doch im Stande, ſchmerzhafte Empfindungen zu
erregen. Eine an electriſche Erſchütterungen ſonſt ſehr ge-
wöhnte Perſon hält doch kaum den Schlag eines Zitter-
rochen von 4 Decimeter Länge aus, wenn er in ſeiner gan-
zen Kraft iſt. Er giebt ſeinen Schlag unter dem Waſſer,
und erſt, wenn er ſchwächer wird, verhindert dieſes Flüſ-
ſige ſeine Wirkung. Herr Gay-Luſſac bemerkte, daß
8. Von Humboldt's und Gay-Luſſac's Verſuche
man in dieſem Fall die Erſchütterung erſt zu empfinden
anfängt, wenn man den Fiſch über die Oberfläche des
Waſſers hebt. Es iſt mit ihm, wie mit Fröſchen, womit
man galvaniſche Verſuche anſtellt: die Bedingungen, un-
ter welchen Zuſammenziehung erfolgt, ſind verſchieden, nach
dem Grade der Reizbarkeit der Organe.
2. Jch habe im mittäglichen America bemerkt, daß
der Zitteraal die fürchterlichſten Commotionen erregt, ohne
irgend eine äußerliche Bewegung mit den Augen, dem
Kopfe oder den Floſſen zu machen. Er macht deren ſo
wenig, wie ein Menſch, der von Einer Vorſtellung, von
Einer Empfindung zu einer andern übergeht. Anders iſt
es bei dem Zitterrochen: wir bemerkten, daß er, jedes
Mahl, wenn er ſeinen Schlag giebt, convulſiviſch die
Bruſtfloſſen bewege; der Schlag wird ſtärker oder ſchwä-
cher empfunden, je nachdem die Berührung auf einer
größern oder kleinern Fläche Statt findet.
3. Man kann die Organe eines Zitterrochen oder ei-
nes Zitteraals nicht nach Willkühr entladen, wie man es
bei einer Leydener Flaſche oder einer Säule thut. Man
empfindet nicht immer eine Erſchütterung, wenn man ei-
nen electriſchen Fiſch berührt; man muß ihn reitzen, da-
mit er einen Schlag gebe. Dieſer hängt ganz von der Will-
kühr des Thieres ab, das vielleicht ſeine electriſchen Organe
nicht beſtändig geladen hat; es ladet ſie aber mit bewun-
dernswürdiger Geſchwindigkeit wieder, denn es iſt fähig
eine lange Folge von Erſchütterungen zu geben.
4. Man enpfindetempfindet den Schlag (im Fall der Fiſch be-
reit war, ihn zu geben), wenn man mit einem einzigen
über den Zitterrochen.
Finger eine einzige Fläche der electriſchen Organe berührt,
oder, indem man beide Hände an beide Flächen, die obere
und untere, auf ein Mahl legt. Auch iſt es in beiden
Fällen gleichgültig, ob derjenige, der ſeinen Finger oder
ſeine beide Hände in Berührung bringt, iſolirt iſt oder
nicht.
5. Berührt eine iſolirte Perſon den Zitterrochen mit
einem einzigen Finger, ſo muß die Berührung durchaus
unmittelbar ſeyn. Es wird gar keine Commotion gefühlt,
wenn ein leitender Körper, ein Metall zum Beiſpiel, ſich
zwiſchen dem Finger und dem Organ des Fiſches befindet.
Daher berührt man ihn vermittelſt eines Schlüſſels, oder
jedes andern metalliſchen Jnſtruments, ungeſtraft.
6. Nachdem Herr Gay-Luſſac dieſe wichtige Be-
dingung bemerkt hatte, legten wir den Zitterrochen auf
eine Metallplatte, mit welcher die untere Fläche der Or-
gane in Berührung war. Die Hand, welche dieſe Platte
hält, empfindet nie eine Erſchütterung, wenn eine andere,
iſolirte Perſon das Thier reitzt und die convulſiviſche Be-
wegung ſeiner Bruſtfloſſen die ſtärkſten Entladungen ſeines
electriſchen Fluidum anzeigt.
7. Hält hingegen Jemand die Platte, auf welcher der
Roche liegt, in der linken Hand, wie im vorigen Verſuch
(6) und berührt dann die obere Fläche des electriſchen Or-
gans mit der rechten, ſo empfindet er eine ſtarke Erſchüt-
terung in beiden Armen zugleich.
8. Der Erfolg bleibt derſelbe, wenn der Fiſch zwiſchen
zwei Metallplatten, deren Ränder ſich nicht berühren, ge-
legt worden und man dieſe Platten mit beiden Händen zu-
gleich anfaßt.
8. Von Humboldt's und Gay-Luſſac's Verſuche
9. Jn beiden Armen läßt ſich dagegen gar keine Com-
motion empfinden, wenn in dem vorigen Falle (8) irgend eine
unmittelbare Gemeinſchaft zwiſchen den Rändern der beiden
Metallplatten Statt findet. Die Kette iſt dann zwiſchen den
beiden Flächen des Organs durch die Platten geſchloſſen und
die abermahlige Communication, die man durch Berührung
der Platten mit beiden Händen bewerkſtelligt, iſt ohne Erfolg.
10. Auch das empfindlichſte Electrometer giebt gar
keine electriſche Spannung in den Organen des Zitterro-
chens an; es wird davon auf keine Art afficirt, wie man
es auch anbringen mag, indem man entweder es den Or-
ganen nähert, oder den Fiſch iſolirt, ihn mit einer Metall-
platte bedeckt und dieſe Platte durch einen Leitungsdraht
mit Volta's Condenſator in Verbindung ſetzt. Nichts
zeigt hier, wie bei dem Zitteraal, an, daß das Thier die
electriſche Spannung der es umgebenden Körper modificire.
11. Da die electriſchen Fiſche, in geſundem Zuſtande,
mit gleicher Stärke unter Waſſer, wie in der Luft wirken,
ſo prüften wir die Leitungsfähigkeit dieſes Flüſſigen. Als
mehrere Perſonen die Kette zwiſchen der Oberfläche und
Unterfläche der Organe des Zitterrochen ſchloſſen, empfan-
den ſie einen Schlag erſt, wie ſie ſich die Hände naß
machten. Ein Waſſertropfen unterbricht nicht die Wirkung,
wenn zwei Perſonen, die den Zitterrochen mit ihrer rechten
Hand halten, anſtatt ſich die linke zu geben, jede eine
Metallſpitze in einen, auf iſolirender Unterlage ruhenden,
Waſſertropfen tauchen.
12. Setzt man in dieſem Falle an die Stelle des
Waſſertropfens die Flamme, ſo iſt die Communication un-
terbrochen, und wird nicht eher wieder hergeſtellt, als bis
über den Zitterrochen.
die Metallſpitzen im Jnnern der Flamme ſich unmittelbar
berühren.
13. Noch iſt zu bemerken, daß unter Waſſer, wie in
der Luft nicht anders als auf unmittelbare Berührung des
Körpers der electriſchen Fiſche eine Commotion empfunden
wird; auch nicht durch die dünnſte Waſſerſchicht hindurch
geben ſie ihre Schläge. Dies iſt um ſo merkwürdiger, da
in den galvaniſchen Verſuchen, wo der Froſch in Waſſer
getaucht iſt, es bekanntlich hinreichend iſt, die ſilberne
Pincette den Muskeln zu nähern und Zuſammenziehung
erfolgt, wenn die Zwiſchenſchichte von Waſſer ein bis zwei
Millimeter dick iſt.
Dies ſind, mein hochachtungswürdiger Freund, die vor-
züglichſten Beobachtungen, die wir über den Zitterrochen
angeſtellt haben. Die Verſuche in 4. und 10. beweiſen,
daß die electriſchen Organe dieſer Thiere gar keine Span-
nung, keine überſchüſſige Ladung anzeigen. Man ſollte
vielmehr geneigt ſeyn, ihre Wirkung mit der einer Vereini-
gung von kleinen Leydener Flaſchen, als mit einer Voltai-
ſchen Säule, zu vergleichen. Ohne Kette läßt ſich gar
keine Commotion erhalten, und wenn ich vom Zitteraal
durch ſehr trockne Stricke hindurch Schläge erhalten habe,
ſo glaube ich, daß in dem Fall, wo dies mächtige Thier
mir ſtarke Erſchütterungen, ohne eine vorhandene Kette, zu
geben ſchien, letztere, wegen Unvollkommenheit meiner Jſo-
lirung, in der That doch da war. Wenn der Zitterroche
durch Pole wirkt, durch ein electriſches Gleichgewicht, wel-
ches ſich wieder herzuſtellen ſtrebt, ſo ſcheinen die Ver-
ſuche unter 5 und 6 zu beweiſen, daß dieſe Pole neben
einander, auf einer und derſelben Fläche des Organs, vor-
8. Von Humboldt's und Gay-Luſſac's Verſ. ꝛc.
handen ſind. Man erhält einen Schlag, indem man nur
eine einzige Fläche mit ſeinem Finger berührt. Eine zwi-
ſchen der Hand und dem Organ befindliche Platte (6) ſtellt
ſelbſt das Gleichgewicht wieder her, und die Hand, welche
jene Platte hält, empfindet nichts, weil ſie außer dem
Strome iſt. Nimt man aber eine Anzahl entgegengeſetzter
Pole auf jeder Fläche des Organs an: warum ſtellt ſich
das Gleichgewicht durch die Arme wieder her, wenn man
jene Flächen mit zwei Metallplatten, deren Ränder ſich
nicht berühren, bedeckt und die Hände auf dieſe Platten
legt? Warum, kann man fragen, ſucht die poſitive Elec-
tricität der untern Fläche, in dem Augenblick der Exploſion
nicht die negative des benachbarten Pols, und warum fin-
det ſie ſie nur auf der obern Fläche des electriſchen Or-
gans? Dieſe Schwierigkeiten ſind vielleicht nicht unüber-
ſteiglich, aber es werden noch viele Unterſuchungen zu der
Theorie dieſer Lebensverrichtungen erfordert. Geof-
froy hat bewieſen, daß die Rochen, welche keine An-
zeigen von Electricität geben, Organe beſitzen, die denen
des Zitterrochens ſehr ähnlich ſind. Die geringſte Verle-
tzung des Gehirns hindert die Wirkung dieſes electriſchen
Fiſches. Die Nerven ſpielen in dieſen Erſcheinungen ohne
Zweifel die größte Rolle, und der Phyſiolog, der die Le-
bensverrichtungen in ihrer Geſammtheit umfaßt, würde ſich
mit Grund gegen den Phyſiker auflehnen, der alles aus
der Berührung der eiweißgallertigen Pulpe und der apo-
neurotiſchen Blättchen, welche die Natur in den Organen
des Zitterrochens verbunden hat, zu erklären glauben
könnte.