Genauere Beſtimmung der Sittlichkeit in dem
Gebrauch der Kuͤnſte.
Wir haben vor einiger Zeit eine allgemeine Erin-
nerung von dem rechten Gebrauch und Mißbrauch
der Kuͤnſte gegeben;S. d. 32 Stuͤck. 1746. wir nehmen uns die Freyheit,
ein wenig genauer zu beſtimmen, worinnen der
rechte Gebrauch und Mißbrauch vorerwehnter
Kuͤnſte beſtehe. Daß die Muſic, Mahlerey und
Dichtkunſt, den Mitteln nach, deren ſie ſich in der
Nachahmung bedienen, unterſchieden ſind. Daß
ſich die Mahlerey der Zeichnungen und Farben, die
Muſic des Klanges und der Bewegungen, und folg-
lich natuͤrlicher Mittel, die Dichtkunſt aber ſich der
kuͤnſtlichen Mittel bediene. Dieſes wird ſehr wohl
und umſtaͤndlich gezeiget in einem Buch, welches
1744 in Londen unter folgenden Titul zum Vor-
ſchein kam: Three Treatiſes. The firſt, con-
cerning Art. The ſecond Muſic, Painting, and
Poetry. The Third concerning Happineß. Es
wird ferner gezeigt, wie man ſich dieſer Mittel ſo
wohl bey jeder Kunſt ins beſondre zur Nachahmung
bedienen muͤſſe, als auch, wie man ſich deren in Zu-
ſammenſetzung zweyer Kuͤnſte, z. E. der Muſic und
Dichtkunſt bedienen koͤnne. Weil die Kunſt in der
Nachahmung des Guten und Boͤſen, der Laſter und
Tugenden, ſich gleichguͤltig verhaͤlt, ſo wuͤrde der
Verfaſſer wohl gethan haben, wenn er noch gezeigt
haͤtte, wie man ſich in jeder Kunſt der Nachahmung
zu Befoͤrderung guter Sitten bedienen koͤnne. Doch
dieſes iſt vielleicht ſeiner Abſicht zuwider geweſen.
Es beruhet die Sittlichkeit bey den Gebrauch, und
die Schaͤdlichkeit bey den Mißbrauch der Kuͤnſte,
auf der Art der Zuſammenſetzung einzelner Bilder,
Umſtaͤnde und ſinnlichen Empfindungen. Es iſt
leichter bey einem, oder wenigen Perſonen, durch
Kuͤnſte etwas gutes zu ſtiften, als bey vielen zu-
gleich. Alſo wird nach unſern Europaͤiſchen Ge-
wohnheiten, ein nackend gemahltes Frauenzimmer
ſehr vielen aͤrgerlich ſcheinen, dahingegen wann es
die Wahrheit vorſtellt, und neben ihr eine andre
Perſon gemahlt wird, die ihr ein Kleid zuwirſt, ſo
iſt es wenigen, die keine verderbte Einbildungskraft
haben, ein Sittlich Bild. Wenn man in der Muſic
einerley Affect erregende Thoͤne ſich bedient, Tu-
genden und Laſter vorzuſtellen, ſo befoͤrdert im er-
ſten Fall die Kunſt bey einigen gute Sitten, wenn
die Tugend reitzend, und das Laſter abſcheulich vor-
geſtellt wird, im andern Fall, befoͤrdert die Kunſt
die Sclaverey der Affecten, wenn naͤmlich das La-
ſter angenehm, und die Tugend widrig vorgeſtellt
wird. Die Zuſammenſetzung der Thoͤne iſt biswei-
len ſo beſchaffen, daß man auf eine Melodey ein
gutes, und ein Buhlerlied dichten kann. Daher ge-
ſchiehet es, daß ein ſolches geiſtliches Lied denjeni-
gen, dem das Buhlerlied bekannt iſt, aͤrgerlich wird.
Aus eben dergleichen Urſachen haͤlt Riccoboni in
den Tractat de la Reformation du Theatre, den
gegenwaͤrtigen Gebrauch der Schaubuͤhne, den gu-
ten Sitten fuͤr ſchaͤdlich und nachtheilig, ob er
ſchon ſelbſt 25 Jahre ſich von den Theatro hat naͤh-
ren muͤſſen. Quiſtorp, in Roſtock, behauptet in
einem beſonders in dieſer Abſicht geſchriebnen Tra-
ctat, daß die Poeſie ihre Liebhaber nicht ſo wohl un-
gluͤcklich, als ungluͤckſeelig machen koͤnne. Noch
andre glauben, daß die Opern der Verbeſſerung des
gemeinen Weſens hinderlich fallen. Alles dieſes
hat ſeinen guten Grund, wenn man die Urſachen
davon in dem Mißbrauch, und nicht in der Kunſt
ſelbſt zu finden vermeynt. Man kann die Sittlich-
keit der Kuͤnſte betrachten 1) in Abſicht auf den
Kuͤnſtler, 2) in Anſehung des Kunſt-Stuͤcks, 3)
in Anſehung derer, welchen ein Kunſt-Stuͤck ſoll
vorgeleget werden. Ein Kuͤnſtler handelt wider
die Pflichten gegen ſich ſelbſt, wenn er etwas zu
verfertigen unternimmt, wobey er ſich nicht gleich-
guͤltig verhalten kann, ein Kuͤnſtler von verdorbner
Einbildungs-Kraft, muß ſich nicht unterſtehen,
auch einige Sittliche Bilder zu verfertigen, wenn
in deren Zuſammenſetzung, ihm, etwas anſtoͤßiges
vorkoͤmmt. Weil wir gewohnt ſind mit ſinnlichen
Empfindungen und Bildern moraliſche Gedanken
zu verknuͤpfen, ſo muß ſich ein Kunſt-Stuͤck nach
den gewohnten guten Verſtellungen richten laſſen,
daher geſchiehet es, daß oft ein Kunſt-Stuͤck einen
Menſchen zu guten, und einen andern zu boͤſen Vor-
ſtellungen reitzt. Es giebt Kunſt-Stuͤcke, die die
meiſten, wo nicht alle, zur Tugend reitzen. Es
giebt deren einige, welche die meiſten, wo nicht alle,
zu boͤſen Gedanken verleiten. Die erſte Art kann
man vielen vorlegen. Die andern kaum einen oder
den andern. Von der erſten Art ſind die Fabeln,
welche keine Vorurtheile befoͤrdern helfen. Sol-
ches ſind Sittliche Kunſt-Stuͤcke. Wie man die
Sittlichkeit in Anſehung andrer, welchen die Kunſt-
Stuͤcke vorgeleget werden, befoͤrdern muͤſſe, ſol-
ches laͤßt ſich am beſten aus den beſondern Umſtaͤn-
den beurtheilen, die naͤmlich zu der Zeit vorhanden
ſind, wenn man jemand etwas ſehen laͤßt. Alter,
Gewohnheiten, Neigungen und andere Eigenſchaf-
ten der Perſonen muͤſſen zuvor erwogen werden, ehe
man jemand etwas vorlegt. Vornehmlich muß
man dahin ſehen, daß ihnen die Vorbilder der Bil-
der nicht unbekannt ſind, wie dieſes Herr Schle-
gel in der 11 Abhandlung von der Nachahmung
erinnert. Siehe des Buͤcher-Saales 1 Band. 5
Stuͤck. p. 419. Sind dieſe nicht bekannt, ſo muß
man ſie ihnen lieber vorenthalten. Diejenigen,
welche anſtoͤßige Kunſt-Stuͤcke durch Druck und
Kupfer gemein machen, verſuͤndigen ſich an vielen
in der menſchlichen Geſellſchaft, denn ſie haben eine
Pflicht, etwas geheim zu halten, daß ihnen ohn-
wiſſend andren Schaden kann, wer kann wiſſen,
was fuͤr Perſonen dergleichen Sachen in die Haͤnde
fallen muͤſſen? Geſetzt, daß eines Menſchen Ein-
bildungs-Kraft durch ſolches Kunſt-Stuͤck, als
durch ein boͤſes Exempel in eine unheilbare Krank-
heit verfaͤllt, wer muß es verantworten? Der
Kuͤnſtler oder der Verfuͤhrte? Es iſt eine unnuͤtze
Entſchuldigung, wenn man ſagt; Ein Kuͤnſtler
koͤnne die beſten Sachen vor den Mißbrauch nicht
verwahren, er habe ſich nicht um den Gebrauch zu
bekuͤmmern Urſach. Jſt es einerley, eine gute
Sache mißbrauchen, und durch eine boͤſe Arbeit
zum Mißbrauch Gelegenheit geben? Die gute Wuͤr-
kung der Kuͤnſte ſollte ſich im Staat, in der Kirche
und in gemeinen Leben zeigen, und bey den Kuͤnſtlern
zuerſt. Dieſes geſchiehet ſelten, oͤfters das Gegen-
theil, daher iſt das Sprichwort entſtanden: Muſici,
Mahler und Poeten ſind Luͤgner und halbe Naxren.
Wir wuͤnſchen, daß man eyfriger die guten Sitten
durch die Kuͤnſte, die Kuͤnſte ſelbſt zu befoͤrdern ſeyn
moͤchte. Wir wuͤnſchen auch, daß man bemuͤht
ſeyn moͤchte, die Sittlichkeit jedes Kunſt-Stuͤcks
ins beſondre zu zeigen, wobey man gar wohl den
Mißbrauch oft verſchweigen koͤnnte.