Auszug eines Schreibens aus Baſtia,
vom 1 Sept.
Nachdem die Deputirtrn, Deputirten, die ſich bey der allge-
meinen Verſammlung zu St. Fiorenzo eingefunden
hatten, wieder nach Hauſe gegangen, um von der
Einrichtung, die der Ritter Chauvelin vorgeſchla-
gen, Bericht abzuſtatten; ſo vernimmt man mit
der aͤuſſerſten Beſtuͤrzung, daß einige Communi-
taͤten ihre Repraͤſentanten nicht haben erkennen
wollen. Die von Niolo macht die groͤßten Schwie-
rigkeiten. Die Einwohner dieſes Orts ſind be-
ſtaͤndig fuͤr die hartnaͤckigſten in dieſer Inſel ge-
halten worden. Ihre Communitaͤt iſt ſehr an-
ſehnlich. Sie lieget recht mitten im Lande auf
zween Bergen, die ſich nicht leicht erſteigen laſ-
ſen, und an deren Fuße der See Crene lieget,
wo der Golo nahe an der Burg von Niolo ſeinen
Urſprung nimmt. Nachdem ſie von ihren De-
putirten die Hauptbedingungen der Einrichtung
vernommen, die ihnen der Ritter Chauvelin mit-
getheilet hatte; ſo haben ſie erklaͤret, daß ſie in
dieſen Bedingungen die Vortheile nicht fuͤnden,
womit ſie ſich geſchmeichelt haͤtten; ſie glaubten,
ſie haͤtten alle Gefaͤlligkeit bezeuget, die man von
ihnen verlangen koͤnnte, indem ſie die Souverai-
nitaͤt der Republik Genua erkannt haͤtten; ſie haͤt-
ten ſolches in der Hoffnung gethan, endlich der
Freyheiten zu genieſſen, warum ſie ſo lange ange-
halten; die Einrichtung verſicherte ihnen aber
dieſe Freyheiten nicht; es unterwuͤrfe ſie dieſelbe,
wie vorhin, dem Anſehen der Republik und der
willkuͤhrlichen Jurisdiction ihrer Beamte; es
fuͤnde ſich alſo nicht die geringſte vortheilhafte
Veraͤnderung in Anſehung ihrer Umſtaͤnde, und
die Sachen ſchienen ihnen nicht viel anders zu
ſeyn, als ſie vorhin geweſen waͤren. Einige an-
dere Communitaͤten jenſeit des Gebirges, die ſich
vor der Communitaͤt von Niolo nicht haben er-
klaͤren wollen, ſind dem Exempel derſelben ge-
folget. Der Abt von Olivetto, ein bey den Ein-
wohnern dieſes Theils der Inſel ſehr angeſehener
Geiſtlicher, hat ſein ganzes Anſehen angewendet,
um ſie zu uͤberzeugen, daß ſie die Einrichtung
nicht recht einſaͤhen, indem ihre Gemuͤther noch
zu ſehr erbittert waͤren, daß ſie den Wehrt der
Vortheile nicht recht ſchaͤtzen koͤnnten, die man
ihnen darinn bewilligte, und daß man, anſtatt
daß ſie die Urſache haͤtten ſich zu fuͤrchten, den Beam-
ten der Republik unterworfen zu werden, das
Anſehen derſelben auf eine ſolche Art eingeſchraͤn-
ket haͤtte, daß ſie deſſen nicht mißbrauchen koͤnn-
ten. Dieſer Abt hat ſie aber doch nicht voͤllig
uͤberreden koͤnnen. Er hat eingeſehen, wie ſchwer
es waͤre, ein Volk durch vernuͤnftige Gruͤnde zu
uͤberzeugen, das nicht gleich beym erſten Anblicke
die Vortheile gewahr wird, die man ihn vor Au-
gen leget. Sie haben nicht nur ihr Mißvergnuͤ-
gen nicht verhelet; ſondern ſie haben ſolches auch
wirklich dadurch an den Tag geleget, daß ſie die
Waffen wider die Parthey der Republik ergriffen.
Der Marquis von Curſay, der von dieſen Um-
ſtaͤnden Nachricht erhalten, hat einige Detaſche-
ments gegen dieſe Inſel anruͤcken laſſen. Er iſt
auch ſelbſt abgereiſet, um ſich zu bemuͤhen, dieſe
neue Unruhe durch ſeine eigne Gegenwart zu be-
ſaͤnftigen. Man ſchmeichelt ſich, es werde die-
ſelbe auf die Communitaͤten dieſſeit des Gebir-
ges keinen Einfluß haben. Sie haben jederzeit
eine weit zuverlaͤßige Gefaͤlligkeit, als die andern
bezeuget. In den Communitaͤten jenſeit des Ge-
birges iſt eine alte Parthey, die eine Independenz
zur Abſicht und ihre wahrhaftigen Geſinnungen
nur ſo lange verborgen hat, bis ſie einſehen koͤn-
nen, ob der entworfene Plan ſie zu ihrem Zwecke
wuͤrde kommen laſſen. Sie hat gar bald das
Gegentheil aus einem Plan geſehen, der den Frie-
den nach den Regeln der Ordnung und der Un-
terwuͤrfigkeit wieder herſtellte. So bald ſie alſo
bey der Verſtellung keinen Vortheil mehr fand,
ſo hat ſie ihre Geſinnungen entdecket, und der
Communitaͤt von Niolo ihre Anſpruͤche an die
Hand gegeben. Man hoffet indeſſen, ſie werden
ſich von ſelbſt in Anſehung ihres eignen Nutzen
wiederum in die gehoͤrigen Schranken begeben,
damit ſie die Verwirrung vermeiden, worinn ſie
wieder fallen wuͤrden, wenn der Koͤnig von Frank-
reich den Entſchluß faſſen ſollte, ſeine Truppen
wieder zuruͤck zu rufen, ehe das Friedensproject
zu ſeiner Erfuͤllung gelanget. Se. Allerchriſtl-
Majeſtaͤt werden ſich bey dieſer Sache nicht
lange bedenken. Der Ritter Chauvelin hat ſol-
ches in der allgemeinen Verſammlung zu St. Fio-
renzo auf das nachdruͤcklichſte bezeuget, da er den
Deputirten erklaͤret hat, wenn ſie anſtatt des Ver-
trauens und der Unterwerfung, ſo er bey dem Volke
zu finden erwartete, ein Mißtrauen bey ihnen ge-
wahr wuͤrden, oder wenn die Verſicherung, die ſie
gegeben haͤtten, ſich an die Entſcheidung des Koͤ-
nigs zu halten, nicht aufrichtig waͤre; ſo wuͤrde
er in ſolchem Falle kein Bedenken tragen, ſo gleich
die Truppen aus der Inſel zu ziehen, wozu er von
Sr. Allerchriſtlichſten Majeſtaͤt voͤllige Ordre haͤtte.
Die wohlgeſinneten Communitaͤten zittern bey der
bloſſen Vorſtellung des Uebels, ſo daraus entſtehen
wuͤrde; denn wenn keine Truppen mehr gegenwaͤr-
tig waͤren, um die Einrichtung zum Stande zu
bringen zu helfen; ſo wuͤrden die Cabalen und
Parteyen mit ſo viel mehrerer Wut wieder an-
fangen, indem ſich ein jeder zu der Partey ſchla-
gen wuͤrde, bey welcher er am ſicherſten verfah-
ren zu koͤnnen glaubte. Man vernimmt, daß
in der Communitaͤt von Niolo zwiſchen den Bau-
ren derſelben und einigen Genueſiſchen Soldaten
einige Scharmuͤtzel vorgefallen ſind.
Paris, den 24 September.
Nicht die geringſte bedenkliche Folge bey der
Niederkunft der Madame Dauphine vermindert
die Freude, ſo man daruͤber hat. Die oͤffentli-
chen Freudens-Bezeugungen werden erſt recht ih-
ren Anfang nehmen, wenn Ihro Koͤnigl. Hoheit
ihren Kirchgang halten, welche allhier in der Kirche
unſerer lieben Frauen geſchehen wird. Nachher
wird dieſelbe auf dem Rathhauſe ſpeiſen. Des
Abends wird ein ungemeines Feuerwerk bey dem
alten Louvre abgebrandt werden. Die fremden
Ambaſſadeurs und Miniſter legen noch taͤglich
ihre Gluͤckwuͤnſche bey dem Koͤnige ab. Da Se.
Majeſtaͤt verlanget haben, daß die Summen,
welche die Staͤdte des Koͤnigreichs zu oͤffentlichen
Freudens-Bezeugungen anwenden wollen, man der
Ausſteuer armer Toͤchter widmen ſolle, ſo rechnet
man, daß durch dieſe Koͤnigl. Gnade zum wenigſten
20000 Heyrathen und 1200 in dieſer Hauptſtadt
vor ſich gehen werden. Die Penſion, die der
Koͤnig dem Marquis von Puiſieulx bewilliget hat,
belaͤuft ſich auf 24000 Livres, davon 12000 der
Marquiſe, ſeiner Gemahlinn, nach ſeinem Tode
beſtimmet ſind. Folgender Umſtand iſt noch zu
bemerken. Als der Koͤnig auf die Nachricht, daß
ſich Madame Dauphine ihrer Entbindung naͤherte,
von Trianon nach Verſailles abgehen wollte; ſo
ſagte ein Soldat von der Schweizer-Garde voll
Vertrauen zu Sr. Majeſtaͤt: ”Sire, ich wuͤnſche
”Ew. Majeſtaͤt Gluͤck. Wir haben einen Herzog
”von Burgund. Dieſes iſt ſo gewiß, als ſie Koͤ-
”nig ſind.„ Kaum waren Se. Majeſtaͤt im Ge-
ſichte des Schloſſes, als man ihnen ankuͤndigte,
daß die Dauphine mit einem Prinzen entbunden
waͤre, worauf ſie erwiederten, „daß ſie ſolches be-
reits zu Trianon vernommen haͤtten.“ Der
Schweizer, welcher alſo zuerſt dem Koͤnige die
gewiſſe Verſicherung davon gegeben, iſt dafuͤr mit
einer jaͤhrlichen Penſion von 2000 Livres begna-
diget. Den 13ten dieſes Monats ſchickte der Koͤnig
folgenden Brief an den Erzbiſchof von Paris, wor-
inn er ihm befahl, das Te Deum ſingen zu laſſen.
Mein Vetter!
Die goͤttliche Vorſicht hat die Wohlethaten voll-
kommen gemacht, die ſie uͤber meinen Staat und
mich verbreitet, indem ſie meinen Wuͤnſchen die
Geburt eines Prinzen bewilliget hat, davon meine
wehrte Tochter, die Dauphine, gluͤcklich entbunden
worden. Eine ſo beſondere Gnade beſtaͤtiget mich
in der Hoffnung, daß der Oberherr aller Begeben-
heiten mein Reich beſtaͤndig zu beſchuͤtzen willens
iſt. Dieſes koſtbare Geſchenk verſichert meinen
getreuen Unterthanen ein Gluͤck, deſſen Dauer
meine Zaͤrtlichkeit mit dem groͤßten Vergnuͤgen
zum voraus ſiehet. Ihre Liebe fuͤr mich machet,
daß ſie heute an meiner Freude Antheil nehmen.
Um nun den Eifer zu beantworten, den ſie beſitzen,
ſich mit den feyerlichen Bezeugungen meiner Er-
kenntlichkeit zu vereinigen, und Gott den gehoͤri-
gen Dank abzuſtatten, laſſe ich dieſen Brief an
euch ergehen, um euch zu ſagen, meine Abſicht ſey,
daß ihr in der Hauptkirche meiner guten Stadt
Paris, an dem Tage und zu der Stunde, die euch
der Großmeiſter oder der Ceremonienmeiſter in
meinem Namen kund machen wird, das Te Deum
ſingen laͤſſet ꝛc.
Die Berathſchlagungen uͤber die Haͤndel mit
der Geiſtlichkeit werden mit Nachdruck fortgeſetzt.
Der Lord Marshall, Koͤnigl. Preußiſcher Bevoll-
maͤchtigter Miniſter, hat nach dem Ausgange einer
Conferenze, ſo er mit dem Marquis von Puiſieulx
und dem Marquis von St. Conteſt gehabt, wel-
cher bereits ſeine neue Wuͤrde verwaltet, einen
Courier nach Berlin abgefertiget; imgleichen iſt
an unſern Miniſter, den Lord Tyrconel, ein Courier
dahin abgegangen. Man redet von einer neuen
Allianz im Reiche, und von dem Beytritte eines
der vornehmſten Deutſchen Hoͤfe zu dem vorha-
benden Tractate.
Haag, den 27. Sept.
Nach den Briefen aus Aachen, wird der Erb-
ſtatthalter morgen ſeine Cur enden, und uͤbermor-
gen die Ruͤckreiſe antreten. Der Geſandtſchafts-
Secretair, welchen der Marquis von St. Conteſt
allhier zuruͤck gelaſſen, Hr. von Leſſeps, gehet gleich-
falls nach Paris zuruͤck, und wird daſelbſt beym
Departement der auswaͤrtigen Sachen gebraucht
werden. Man verſichert, daß der Herr Durand,
welcher gegenwaͤrtig bey den vornehmſten Deut-
ſchen Hoͤfen herum reiſet, wieder fuͤr ihn hieher
komme. Der Herr von Ayrolles iſt von London
hier eingetroffen und wird ſeinen Poſten als Engli-
ſcher Miniſter bey dem Hofe zu Bruͤſſel antreten.
Die Prinzeßinn Carolina iſt ſeit vorigen Sonntag
mit einem rothen Frieſel und einem ſtarken Fieber
befallen; man hoffet aber, daß ſie auſſer Gefahr
ſey. Von Genua wird gemeldet, daß daſelbſt in
einer Verſammlung des großen Raths der dortige
Haven auf 10 Jahre mit beſondern Vorrechten fuͤr
alle Nationen als ein freyer Haven waͤre erklaͤret
worden. Auch daß man die Zolle und Abgiften
von verſchiedenen Waaren gemindert, und uͤber-
haupt der Handlung anſehnliche Vortheile einge-
raͤumet haͤtte.
Wien, den 22 Sept.
Vorigen Sonnabend, den 18ten, trafen Se. Kay-
ſerl. Majeſt. nebſt des Herzogs Carls von Lothrin-
gen Koͤnigl. Hoheit, von Hollitſch zu Schoͤnbrunn
ein. Des folgenden Tages, um 5 Uhr des Abends,
hielte der Venetianiſche Geſandte, der Ritter Dron,
ſeinen oͤffentlichen Einzug mit ungemeiner Pracht.
Geſtern Vormittag hatte derſelbe bey Sr. Majeſt.
dem Kayſer ſeine oͤffentliche Audienz, und uͤberreichte
in derſelben ſein Creditiv. Kuͤnftigen Freytag wird
er bey Ihro Maj. der Kayſerinn Gehoͤr haben. Der
Neapolitaniſche und Franzoͤſiſche Geſandte werden
gleichfalls eheſter Tages ihren Einzug halten. Ihre
Maj. die Kayſerinn ſorgen als eine wahre Landes-
Mutter noch immer fuͤr eine heilſame Einrichtung
der Finanzen in den Erblanden, und man verſpuͤret
ſchon allenthalben eine gluͤckliche Wirkung davon.
Die hieſige Stadt-Banco kommt auch wiederum
zu ihrem voͤlligen Anſehen, und da man ſonſten ihre
Zettel nicht anders, als mit Verluſt, hat los werden
koͤnnen; ſo handelt man ſie gegenwaͤrtig mit 3 p.C.
Agio ein, und jedermann ſchaͤtzet ſich gluͤcklich, ſeine
Capitalien in derſelben anlegen zu koͤnnen, wie denn
ſeit etlichen Wochen bey 400000 Gulden ad Depo-
ſitum von Particulieren eingeliefert ſind.