Es war 18** und December und 24 Grad Kälte, Mondschein und Hochzeit, und zwar im Dorfe Ober-Eyseln, da oben in Lithauen, hart an der russischen Grenze. Christoph Lagies hatte seine Urte Bernotike im Arm und auf der Brust hatte er ein Ehrenzeichen. Das Eine ließ ihn als den glücklichen Ehemann, das Andere als einen braven Streiter für sein Vaterland erkennen.
Christoph saß mit seiner Urte im Brautwinkel, das ist der Platz in der Ecke des Zimmers, der dem gewaltigen Ofen schräg gegenüber beim Neubau eines Hauses in dortiger Gegend expreß dazu angelegt wird. Er verlangt seine gehörige Breite zwischen den Fenstern der Wände, damit man ihn ordentlich ausschmücken könne. Unter grünen Tannenzweigen, mit Goldflitter und bunten Bändern verziert, saßen die Brautleute gleich den Lämmlein im Moos einer Weihnachtpyramide. Der Jubel ringsumher war nicht klein, denn der Christoph hatte für todt gegolten, geblieben auf dem Felde der Ehre. Als aber die Lithauer wieder heimmarschirt waren, da war auch der Christoph mit ihnen zurückgekommen,
Allen zur Freude, zumeist aber seiner Liebsten, seinem Vater und seiner Mutter.
Einem nur war es zu Muthe dabei gewesen, als sollte ihm das keine Freude sein, und das war sein leiblicher Bruder. Dieser saß neben seinem Vater und machte ein gar trübselig Gesicht, das um so trübseliger aussah, als er es unter verstellter Lustigkeit zu verstecken suchte, was ihm nicht gelang. Der alte Lagies hatte es schon lange bemerkt. Er benutzte daher die Gelegenheit, als sein Sohn aufstand, um hinauszugehen in die frische Luft, ein Wort im Vertrauen mit ihm zu reden. Michael, sagte er zu ihm, dein Bruder hat Hochzeit, und dein Bruder ist deines Vaters Sohn. Kannst du um seinetwillen nicht fröhlich sein, sei es um meinetwillen und verdirb uns den Tag nicht. Dein Bruder hatte das Herz deiner Braut, und wollte sie dir gleich ihre Hand nicht versagen, ihr Herz flog dem Wiederkehrenden entgegen, und Das muß gelten. Ich will nicht hoffen, du hegst jetzt den Wunsch: wäre mein Bruder doch geblieben im Feld! — wie das Gerücht uns einst fürchten gemacht.
Nein, gewiß nicht! Nein, Vater! Nein — aber —
Was aber? — Ich will wissen, was dies Aber soll.
Vater, der Gedanke, daß, wenn das nun wahr gewesen wäre — Es kommt einem doch so in den Kopf — und ich wäre dann glücklich gewesen — —
Was sollte wahr gewesen sein?
Ich denke den Gedanken nicht gern, ich ärgere mich sehr über ihn, ich sage mir selbst, wie abscheulich er ist
— aber ich kann nicht dafür, er kommt mir immer und immer wieder in den Sinn — —
Daß dein Bruder geblieben sein möchte?
Gott sieht's, ich gebe mir Mühe, gar nichts mehr zu denken! — Ach, wäre diese Hochzeit nur erst vorüber!
Junge, das ist ein Brandmal auf deiner Seele! Bist du nicht mit in der Kirche gewesen, hast du nicht mitgesungen, mitgebetet für deinen Bruder, und haben des Pastors Worte keinen Eindruck auf dich gemacht?
Ja, Vater, ich habe mitgesungen, mitgebetet — aber in meinem Herzen saßen tausend Teufel, ich weiß nicht, daß ich gesungen und gebetet in der Kirche. Doch laßt mich nur, ich geb' Euch mein Wort: die Urte will ich vergessen und den Christoph dazu — Wären diese Tage nur erst vorüber!
Der Vater sah seinem Sohne mit ernster, aber freundlicher Miene ins Gesicht, klopfte ihm auf die Schulter, sprach gute Worte und ging wieder ins Haus. Drinnen war indessen abgespeis't. Die Alten wischten sich den Mund, den Jungen brannte es unter den Fußsohlen, den Boden zu stampfen. Die Musikanten machten auch eine Pause, um sich für die Arbeit beim Tanze zu stärken an den ihnen vorgesetzten Leckerbissen. Frisch langten sie zu nach dem eigengeschlachteten Schinken mit handhohem Fett, nach dem Schweins- und Gänsebraten, nach der vortrefflichen Bratwurst und füllten sich dazu aus dem blumenumkränzten Brangwine-Napf einen Löffel nach dem andern, daß ihnen die Schnurrbärte
zusammenklebten wie Zöpfe. Brangwine ist nämlich das aus Kornbranntwein, Honig, Rosinen und Korinthen bereitete Lieblingsgetränk der Lithauer und hält ihnen Leib und Seele zusammen. Endlich hatten die Alten ihre Sitze bei Tische verlassen, und die Platzmeister fingen an auszuräumen für den Tanz. Da entwand sich auch Christoph den Armen seiner Braut, gab ihr einen derben Schmatz und sagte: Nun plaudere, Herzliebste, mit den Muhmen und Basen. Bis zum Tanz hoffe ich wieder zurück zu sein. Ich habe etwas vor, das uns Glück bringen soll. Damit gab er ihr noch einen Kuß und überließ sie dem Gespräch mit den Verwandten. Er war mit einem Satze aus der Stube heraus und über die schneebedeckte, im Mondlichte flimmernde Straße hinweg in das Haus seiner Eltern hinein. Dort angelangt, zog er in aller Eile ein Paar Hosen von Schaffell, eine lange Weste aus eben solchem Stoff, eine eben solche Jacke und noch einen Pelz von demselben Thiere über seine Staatskleidung, so daß ihm das Pelzwerk auf den Beinen einfach, auf den Armen zweifach, auf der Brust sogar dreifach zu liegen kam. Gut gegen den Frost, wenn man im Schnee liegen muß, sagte er dabei, setzte sich eine Mütze von Fuchsfell auf den Kopf und nahm seine Büchse von der Wand. Einen Fuchs am Hochzeittage geschossen, so hörte ich in Flandern, das bringt Glück, sagte er für sich; ich muß doch zusehen, daß ich's erjage! Damit hatte er den Ladestock in die Büchse gestoßen, um zu prüfen, ob sie geladen, und als
er sich davon überzeugt hatte, griff er nach dem Pulverhorn und dem Kugelbeutel, steckte Beides zu sich und war mit wenigen Sätzen zur Hinterthür hinaus und durch den Garten an den Niemen, dessen breite Eisdecke er hastig überschritt, um sich in der Nähe des Ufers in eine zu seinem Zwecke schon am Tage von ihm erbaute, sehr niedrige, schneeüberworfene Hütte flach auf den Boden zu legen. Die Musikanten ließen eben wieder eine ihrer lustigsten Weisen erschallen, und den Jubel der Gäste hörte er dazwischen aus dem Dorfe herüber, als er sich kaum in eine für den Anschlag geeignete Lage gebracht und nun sein Auge über die weite, freie Ebene schweifen ließ, wo er den Köder gelegt wußte. Bald sah Christoph Etwas, das Dem ähnlich sah, was er suchte. Mit einem raschen Griff prüfte er das Schloß seiner Büchse, und als er Alles in Ordnung fand, richtete er den Blick wieder in die Ferne und sprach vor sich hin: Bewegung ist in dem Dinge; die Art der Bewegung läßt mich aber nicht schließen auf einen Fuchs — müßten sich ihrer auch an andern Orten noch zeigen — läßt sich aber Nichts weiter erblicken auf dem Schneefelde vor mir. Es muß ein Feind der Füchse sein, was da kommt. Mir schon recht, ich bin ihr Freund auch nicht, werden aber trotzdem keine Kameradschaft machen mit einander.
Wieder sah er hinaus auf das dunkle sich nähernde Etwas.
Der Brangwine und die Hochzeit — es flimmert mir vor den Augen wie all nichts Gutes. — Was fällt
mir ein! Das wird auch der Grund sein, warum es die Leute in Flandern für ein so großes Glück erklären, einem Fuchs am Hochzeitstage Eins auf den Pelz zu brennen! Ich will's aber doch fertig kriegen! Wenn nur das Ding da — kein Wolf ist? Und das Ding ist wahrhaftig zu groß für einen Fuchs. — Ein Wolf aber — Na warte nur Bursche, ich will mir den Rehposten abziehen und eine Kugel aufsetzen. Mein Auge ist sicher, meine Hand ist fest: einem Wolf auch will ich's leid machen, mir die Füchse zu verjagen. Aber verteufelt lang scheint mir der Kerl zu sein. Ei nun, wir haben ihrer, die sich sehen lassen können; ausgewachsene Bursche — aber wahrhaftig, Christoph, das müssen wohl zwei sein! Zwei Wölfe, zwei Wölfe, und, wenn ich den einen auch wirklich nicht fehle, so kommt mir der andere auf den Hals. Ausreißen und die Jagd im Stiche lassen, das ginge wohl noch — dann müßt' ich mich bei Zeiten auf die Strümpfe machen. Wäre aber das ganze Rudel nicht weit? Ja, dann würde ich so wie so an mein Testament zu denken haben! Ein Rudel aber kann's nicht sein, mein Auge müßte etwas davon entdecken, und was ich nicht in der Blickweite habe, kann mich auch über den Niemen nicht einholen. Also geblieben und den Einen sicher aufs Korn genommen, mit dem Andern dann wirst du schon fertig werden, reißt er nicht selber gar aus vor dem Feuer, wie das gar häufig der Fall ist. Käme er mir aber doch noch zu Leibe, so ein Wolf hat ein steifes Genick, der kann nicht wenden; mit einigen Kreuz- und
Quersprüngen, und noch dazu auf dem Eise, will ich ihm's Leben schon sauer machen.
Alles Dies ungefähr dachte der Mann schneller als es sich sagen läßt. Mit festem Blicke und das Gewehr im Arme blieb Christoph auf dem Boden seiner Laubhütte und rührte kein Glied.
Die beiden wandelnden Geschöpfe — zwei waren es wirklich — waren indessen so nahe gekommen, daß man ihren Gang deutlich unterscheiden konnte. Sie waren groß wie die Wölfe, auch so stark wie die Wölfe, hatten aber nicht ihren Gang. Als der Mann diese Entdeckung gemacht hatte, lief es ihm heiß über den Körper und aus den Augen hüpften ihm Funken, aber er drückte seinen Ellnbogen in den Schnee, wartete in athemloser Spannung noch ein leises Zittern lang, brachte dann die Büchse an die Schulter, zielte und schoß los. Eins der Thiere hob sich in die Höhe, taumelte, stieß ein kurzes Gebrüll aus und stürzte zu Boden.
Der frißt mich nicht! rief Christoph und lachte hell auf, aber nur einen Augenblick, dann stockte sein Athem vor dem Wuthgeheul, welches das andere Thier ausstieß und das wie ein kurzer Donner daher scholl. Fast zu gleicher Zeit aber setzte es sich auch in Trab und bewegte seine je näher immer riesiger werdenden Glieder mit der Schnelligkeit eines Pferdes auf den Schützen zu. Dieser verlor keine Zeit, sprang auf vom Boden und erwartete seinen Feind mit erhobenem Kolben. Eine Manneslänge von ihm stand das Thier still. Seine Zunge hing
dampfend aus dem Rachen, die Augen glühten wie Kohlen. Einen Augenblick, dann erhob sich's, und jetzt schmetterte Christoph den Büchsenkolben auf seinen Schädel, daß er zersplittert vom Laufe flog. Das Thier stieß ein zorniges Brummen aus, ließ sich den Schlag aber nicht rühren, sondern erhob sich vollends auf die Hinterbeine. Christoph, als er die Nutzlosigkeit seines Schlags erkannt hatte, warf seine Waffe in den Schnee und war mit Einem Sprunge an seinem Feind, legte seine Hände wie ein Paar Daumenschrauben um dessen Hals und hielt ihn so Armesweit von sich ab.
Festhalten oder erwürgen, was war seine Absicht bei dieser Handlung? Er that, was ihm der Augenblick eingab.
Voll Grimmes erhob der Gegner seine Tatzen, schlug sie dem Mann auf die Schultern, daß die Krallen sich eingruben durch den doppelten Schafpelz bis auf das Fleisch. Ein unwillkürlicher Angstschrei entfuhr Christoph’s Lippen; fester aber schnürten sich seine Hände um das Thier, das sich in kurzen, heftigen Drehungen dieser Unbequemlichkeit zu entwinden suchte; weiter schien es ihm nichts zu sein, da die Hände nicht hinreichten, den Hals ganz zu umspannen. Fest hielt Christoph mit der Kraft der Verzweiflung; das Thier leckte mit der Zunge nach dem Arm seines Feindes und drückte den Kopf seitwärts herunter. Ein Biß, und er wäre zermalmt gewesen. Mit gewaltiger Anstrengung preßte Christoph des Thieres Kopf wieder in die Höhe. Das aber hatte
nur die Wirkung, daß nun dessen Tatzen seine Schultern wie mit Hämmern bearbeiteten. So stramm der Mann auf seinen Beinen stand, bei jedem Schlage fühlte er sich wie in die Erde eingerammt. Die Krallen des Thieres rissen den Schafpelz in Fetzen, endlich mußten sie das Fleisch treffen. Jedem Schlag folgt ein kurzer Ruck, den Schützen in des Thieres Umschlingung zu bringen, jedem Ruck mußten sich die Sehnen seiner Arme blitzschnell entgegensteifen — und dazu die rollenden, glühenden Äugen im dunkeln Gesichte des Thieres, sein heißer Athem und der weiße Tod auf den zolllangen Zähnen; er schien unserm Christoph zu tanzen von einer Reihe des Gebisses zur andern, und grins’te ihn an, und es wurden ihrer bald mehr, immer mehr, und wirbelten sich zuletzt ein ganzes Schock vor seinen Augen, daß ihm der Angstschweiß von der Stirn lief und die Sinne vergingen. Da war's ihm noch, als fahre ein Feuerstrom seinen Augen vorüber, als erfülle ein Donner sein Ohr — seine Arme erschlafften — seine Kniee brachen zusammen, er lag ohne Leben am Boden.
Im Brautvaterhause lockten die Musikanten indeß unverdrossen zum Tanz und vergeblich. Die Braut schaute nach ihrem Bräutigam aus und ebenso vergeblich. Ihr wurde gar bänglich ums Herz; zuletzt fragte sie ihren Schwieger nach seinem Sohne.
Der hatte sich eben zu den Karten gesetzt und machte den Trumpf; es war Treffbube. Das fuhr dem alten Manne gar sonderbar in die Krone. Treffbube ist Trumpf!
rief er laut, und zu Urten gewendet, fragte er flüsternd, als hätte er ihre Frage nicht verstanden: Der Christoph ist fort?
Ja, Vater! Er wollte bald zurück sein; er wollte etwas thun, das uns Glück bringen solle; das sagte er zum Abschied — aber er kommt nicht zurück!
Ich passe! rief der alte Lagies zu seinen Gevattern, legte die Karten auf den Tisch und stand auf.
Urte, meine Tochter, wo ist der Michael?
Der ist auch fort, Vater, der ist auch nicht zu sehen!
Der alte Mann preßte die Hand an die Stirn, und ein tiefes Stöhnen entfuhr seiner Brust. Es kam ihm an wie ein Schwindel, er mußte sich gegen die Thürpfoste lehnen. Urte legte ihren Arm um seinen Nacken und rief ängstlich: Was ist Euch? Was ist Euch? Ihr macht mir Bange!
Diese Ausrufe und das Benehmen des Alten brachten die ganze Gesellschaft in Aufruhr. Viele hatten ihn taumeln gesehen, Alle sahen ihn jetzt ein Bild des Schreckens und Jammers in den Mienen und bedrängten ihn mit Fragen. Der aber hörte und sah nicht, seine Augen waren an den Boden geheftet. Endlich richtete er den Kopf in die Höhe, preßte sein Weib in seine Arme und rief in einem Tone, der nicht ganz mit dem Sinn seiner Worte im Einklang stand: Es ist nicht möglich, Mutter, es nicht möglich! Du hast sie mir Beide geboren, du hast sie — nein, es nicht möglich, daß Einer dem Andern einen Schaden thun könne!
Zu dem Pastor gewendet, der sich schon angeschickt hatte, nach Hause zu gehen, und nur noch wartete, um dem Bräutigam eine gute Nacht zu bieten, sagte er mit mehr Hoffnung im Ton: Ihr habt sie mir unterrichtet, in der Furcht Gottes zu wandeln; es kann Keiner einen schlechten Gedanken bekommen haben! Dabei nahm er ihn bei Seite und theilte ihm kurz seine Befürchtungen und wieder seine Zweifel dagegen mit.
Der Pastor war kein Mann von vielen Worten. Er hatte kaum zu Ende gehört, so rief er auch schon die ganze Gesellschaft auf, den Vermißten zu suchen; danach erst nahm er den Vater unter dem Arm, ihn zu trösten, seinen Glauben wieder aufzurichten. In wenig Minuten war Alles mit Lichtern und Fackeln und brennenden Kienspähnen auf dem Wege. Da jedoch Niemand wußte, wohin er sich zu wenden habe, so blieben die Meisten in einem langen Zuge zusammen, welcher dem Pastor, der Braut und den Eltern des Brautpaars gefolgt war. Der Geistliche aber lenkte seinen Schritt, wie geleitet durch Instinct und aus langjähriger Gewohnheit, nach der Kirche. Vor dem Gotteshause, das in seinem Schneekleide, vom Monde beschienen, mit den Gräbern und Kreuzen umher, den armen Menschen vor seiner Pforte zu rufen schien: Ich berge euch die Leuchte des Lebens! hielt er still und schien zu überlegen, ob er vorbeigehen sollte oder nicht.
In diesem Augenblicke der Unschlüssigkeit gewahrte Urte einen Menschen aus dem Schatten der Straße,
welche nach dem Niemen hinführt, heraustreten. Er trug Etwas, einen Andern. Das Herz sagte ihr: sie sind es, die wir suchen, und eilte ihnen entgegen. Ein lauter Ausruf des Schreckens bestätigte ihre Vermuthung Allen, die sie davoneilen gesehen.
Es waren zwei Menschen, Christoph und Michael. Dieser trug abwechselnd Jenen, bald unterstützte er ihn im Gehen.
Was ist? rief der alte Lagies, seine Stimme bebte, und seine Arme streckten sich aus gegen seine Kinder.
Es folgte ein kurzer Augenblick der Wonne und des Entzückens — denn Christoph erholte sich zusehends —; dann berichtete Michael den Kampf seines Bruders mit einem Ungethüm. Zum Vater und zum Bruder sprach er:
Du weißt, Bruder, ich machte mir Hoffnung auf dein Weib — man hatte dich todt gesagt — und die Urte hat mich wie behext! Der Vater hatte nichts dagegen, für den Fall nämlich, du wärst in Wahrheit geblieben — — Das Alles ließ mich die Urte schon als die Meine betrachten, und ich empfand es kaum, daß ich danach einen Bruder verloren haben müßte — Es ist so, wie ich sage! Du mußt dich erinnern, daß ich mehr erschreckt als erfreut war bei deiner Heimkehr — — Doch still davon! Ich stand heute vor der Thür, und Vater hatte mich eben getrumpft, als du das Haus deines Schwieger verließest. Du warst an mir vorbei, und es war mir wohl so und war mir auch wieder nicht so, als wärst du's gewesen; es war zu geschwind gegangen. Ich
achtete aber nicht drauf, mir war der Kopf voll ohne dies. Erst als ich in die Stube eingetreten und du vermißt wurdest, da wußte ich's gewiß. Kein Mensch aber dachte dich zu suchen, ich dachte selbst nicht, nur sehen wollt' ich, wo du geblieben seiest, und das auch nur aus Langeweile oder um mich zu zerstreuen. Ich hatte keinen Gefallen an all der Lust. So kam ich nach unserm Hause, und der Mond schien hell gegen die Wand, wo die Büchse hängt. Ich hatte sie wahrhaftig nicht gesucht aber ich vermißte sie auf dem Fleck. Der Tausend, wo ist die Büchse geblieben? Das fuhr mir durch den Kopf. Damit sah ich hinaus auf den Hof. Mein Auge hat ein gutes Gedächtniß, so erkannt' ich eine ganz frische Spur in dem Schnee, die ich am Tage nicht gesehen hatte. Ich weiß nicht, warum ich's that, aber ich folgte der Spur durch den Garten. Ich dachte an einen Dieb mit der Büchse, ich dacht' auch an dich, aber ich konnt's nicht zusammenreimen, mit dem Diebe so wenig als mit dir. Daß ein Dieb nur die Büchse genommen haben sollte, wo doch noch Besseres zu finden gewesen, oder daß du gar auf Wilddieberei aus seiest, an deinem Hochzeittage — mir waren's böhmische Dörfer. In diesen Gedanken aber war ich bis an den Niemen gekommen, da hört' ich einen Schuß fallen von jenseit. Das fuhr mir in die Glieder und machte mich springen und brachte mich über das Eis, ich weiß nicht wie. Ach, Bruder, ich hatte mich kaum auf das steile Ufer hinaufgearbeitet — —! Wie ein Pfahl stand ich im ersten Schreck!
Dich sah ich von dem Bären umschlungen! Nicht wie ein Pfahl: all meine Nerven zuckten, dir beizuspringen. Da aber mit einem mal — — mir war's, als flüstere mir Jemand ins Ohr — es ging mir wie ein Frost ins Herz, und zu meiner Linken sah ich eine Erscheinung, die grins’te mich an mit geschlitzten Augen, gekniffenen Lippen, verzogener Nase — Verhalte dich ruhig, rief die Gestalt mir zu, und du wirst Mann einer Wittwe, die du frisch weg für eine Jungfrau darfst nehmen! – Deine Urte stand neben dem bösen Geist, urplötzlich wie ein Bild aus der Zauberlaterne, und wie schön und schmuck! Aber ein Schatten, eine Wolke lag über ihrem Gesicht, und ich hatte nicht den Muth, ihr ins Auge zu sehen. Da hört ich dein Wimmern von Neuem, da sah ich, wie die Tatzen des Bären deine Schultern schlugen, ich sah ihn den Pelz dir vom Leibe reißen. Mörder deines Bruders! rief mir’s von rechts her ins Ohr, und diese Stimme klang warnend und mild, diese Stimme traf mein Herz, und mein Auge ging an den Boden. Mir vor den Füßen lag deine zerschlagene Büchse, ein Griff, in meiner Hand war sie und das Schloß noch am Schafte. An deiner Seite sah ich das Pulverhorn hängen, ich riß dir's vom Leibe, du wirst's nicht gemerkt haben in deiner Angst. Meine Hände flogen, da ich das Pulver in den Lauf schüttete; ich hatte die Kraft kaum, die Pfanne zu untersuchen und den Deckel wieder daraufzuschlagen — da noch einmal trat mich der Teufel an, hieß mich einen Narren und versuchte es mit dem
Spott. Gott aber machte mir klaren Blick. Deinen Bruder, deinen Bruder gewinne dir wieder! so rief's mir ins Herz; damit hielt ich dem Bären den Lauf in den Rachen, drückte los über deiner Schulter, und mit zersprengtem Schädel sank das Unthier zu Boden. Mit seinem Leben war auch der böse Geist von mir gewichen — Gott Lob und Dank, daß ich dich rettete, wo ich dich verderben lassen konnte! Mit deinem Leben gönne ich dir jetzt auch den Besitz deiner Liebe!
Michael schloß seinen Bruder ans Herz. So lagen beide Brüder in einer langen Umarmung. Der Vater segnete sie.
Der Pastor hatte indessen die Kirche öffnen lassen und sich in die Pforte derselben gestellt. Es war Allen eine Mahnung, einzutreten in das Heiligthum. In wenigen Augenblicken war der Kronleuchter angezündet, brannten die Kerzen vorm Altar, und ein “Herr Gott, dich loben wir!“ tönte aus der feierlichen, stillen Nacht gen Himmel.