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Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898.

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VII. Abschnitt. [Gleich. 290]
bespötteln, könnte noch fraglich sein. Wer weiss, ob sie nicht
doch den Horizont unseres Ideenkreises erweitern und durch
Erhöhung der Beweglichkeit der Gedanken auch die Erkenntniss
des erfahrungsmässig Gegebenen fördern?

Dass sich in der Natur der Uebergang von einem wahr-
scheinlichen zu einem unwahrscheinlichen Zustande nicht
ebenso oft vollzieht als der umgekehrte, dürfte durch die An-
nahme eines sehr unwahrscheinlichen Anfangszustandes des
ganzen uns umgebenden Universums genügend erklärt sein, in
Folge dessen sich auch ein beliebiges System in Wechsel-
wirkung tretender Körper im Allgemeinen anfangs in einem
unwahrscheinlichen Zustande befindet. Aber, könnte man
einwenden, hier und da muss doch auch ein Uebergang von
wahrscheinlichen zu unwahrscheinlichen Zuständen vorkommen
und zur Beobachtung gelangen. Darauf geben gerade die
zuletzt angestellten kosmologischen Betrachtungen Antwort.
Aus den Zahlenangaben über die unvorstellbar grosse Seltenheit
eines in beobachtbaren Dimensionen während beobachtbarer Zeit
sich abspielenden Ueberganges von einem wahrscheinlichen zu
unwahrscheinlicheren Zuständen erklärt sich, dass ein solcher
Vorgang innerhalb dessen, was wir in der kosmologischen Be-
trachtung eine Einzelwelt, speciell unsere Einzelwelt genannt
haben, so überaus selten ist, dass jede Beobachtbarkeit aus-
geschlossen ist.

Im ganzen Universum, dem Inbegriffe aller Einzelwelten,
aber kommen in der That Vorgänge in der umgekehrten
Reihenfolge vor. Nur zählen die sie etwa beobachtenden
Wesen die Zeit wieder von den unwahrscheinlicheren zu
den wahrscheinlicheren Zuständen fortschreitend und es kann
niemals entdeckt werden, ob sie die Zeit entgegengesetzt wie
wir zählen, da sie in der Zeit durch Aeonen, im Raume durch
[Formel 1] Siriusfernen von uns getrennt sind und obendrein ihre
Sprache keine Beziehung zur unserigen hat.

Man belächelt dies, gut; aber man muss zugeben, dass das
hier entwickelte Weltbild ein mögliches, von inneren Wider-
sprüchen freies und auch ein nützliches ist, da es uns manche
neue Gesichtspunkte eröffnet und uns vielfach nicht nur zur
Speculation, sondern auch zu Experimenten (z. B. über die
Grenze der Theilbarkeit, die Grösse der Wirkungssphäre und

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bespötteln, könnte noch fraglich sein. Wer weiss, ob sie nicht
doch den Horizont unseres Ideenkreises erweitern und durch
Erhöhung der Beweglichkeit der Gedanken auch die Erkenntniss
des erfahrungsmässig Gegebenen fördern?

Dass sich in der Natur der Uebergang von einem wahr-
scheinlichen zu einem unwahrscheinlichen Zustande nicht
ebenso oft vollzieht als der umgekehrte, dürfte durch die An-
nahme eines sehr unwahrscheinlichen Anfangszustandes des
ganzen uns umgebenden Universums genügend erklärt sein, in
Folge dessen sich auch ein beliebiges System in Wechsel-
wirkung tretender Körper im Allgemeinen anfangs in einem
unwahrscheinlichen Zustande befindet. Aber, könnte man
einwenden, hier und da muss doch auch ein Uebergang von
wahrscheinlichen zu unwahrscheinlichen Zuständen vorkommen
und zur Beobachtung gelangen. Darauf geben gerade die
zuletzt angestellten kosmologischen Betrachtungen Antwort.
Aus den Zahlenangaben über die unvorstellbar grosse Seltenheit
eines in beobachtbaren Dimensionen während beobachtbarer Zeit
sich abspielenden Ueberganges von einem wahrscheinlichen zu
unwahrscheinlicheren Zuständen erklärt sich, dass ein solcher
Vorgang innerhalb dessen, was wir in der kosmologischen Be-
trachtung eine Einzelwelt, speciell unsere Einzelwelt genannt
haben, so überaus selten ist, dass jede Beobachtbarkeit aus-
geschlossen ist.

Im ganzen Universum, dem Inbegriffe aller Einzelwelten,
aber kommen in der That Vorgänge in der umgekehrten
Reihenfolge vor. Nur zählen die sie etwa beobachtenden
Wesen die Zeit wieder von den unwahrscheinlicheren zu
den wahrscheinlicheren Zuständen fortschreitend und es kann
niemals entdeckt werden, ob sie die Zeit entgegengesetzt wie
wir zählen, da sie in der Zeit durch Aeonen, im Raume durch
[Formel 1] Siriusfernen von uns getrennt sind und obendrein ihre
Sprache keine Beziehung zur unserigen hat.

Man belächelt dies, gut; aber man muss zugeben, dass das
hier entwickelte Weltbild ein mögliches, von inneren Wider-
sprüchen freies und auch ein nützliches ist, da es uns manche
neue Gesichtspunkte eröffnet und uns vielfach nicht nur zur
Speculation, sondern auch zu Experimenten (z. B. über die
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[258/0276] VII. Abschnitt. [Gleich. 290] bespötteln, könnte noch fraglich sein. Wer weiss, ob sie nicht doch den Horizont unseres Ideenkreises erweitern und durch Erhöhung der Beweglichkeit der Gedanken auch die Erkenntniss des erfahrungsmässig Gegebenen fördern? Dass sich in der Natur der Uebergang von einem wahr- scheinlichen zu einem unwahrscheinlichen Zustande nicht ebenso oft vollzieht als der umgekehrte, dürfte durch die An- nahme eines sehr unwahrscheinlichen Anfangszustandes des ganzen uns umgebenden Universums genügend erklärt sein, in Folge dessen sich auch ein beliebiges System in Wechsel- wirkung tretender Körper im Allgemeinen anfangs in einem unwahrscheinlichen Zustande befindet. Aber, könnte man einwenden, hier und da muss doch auch ein Uebergang von wahrscheinlichen zu unwahrscheinlichen Zuständen vorkommen und zur Beobachtung gelangen. Darauf geben gerade die zuletzt angestellten kosmologischen Betrachtungen Antwort. Aus den Zahlenangaben über die unvorstellbar grosse Seltenheit eines in beobachtbaren Dimensionen während beobachtbarer Zeit sich abspielenden Ueberganges von einem wahrscheinlichen zu unwahrscheinlicheren Zuständen erklärt sich, dass ein solcher Vorgang innerhalb dessen, was wir in der kosmologischen Be- trachtung eine Einzelwelt, speciell unsere Einzelwelt genannt haben, so überaus selten ist, dass jede Beobachtbarkeit aus- geschlossen ist. Im ganzen Universum, dem Inbegriffe aller Einzelwelten, aber kommen in der That Vorgänge in der umgekehrten Reihenfolge vor. Nur zählen die sie etwa beobachtenden Wesen die Zeit wieder von den unwahrscheinlicheren zu den wahrscheinlicheren Zuständen fortschreitend und es kann niemals entdeckt werden, ob sie die Zeit entgegengesetzt wie wir zählen, da sie in der Zeit durch Aeonen, im Raume durch [FORMEL] Siriusfernen von uns getrennt sind und obendrein ihre Sprache keine Beziehung zur unserigen hat. Man belächelt dies, gut; aber man muss zugeben, dass das hier entwickelte Weltbild ein mögliches, von inneren Wider- sprüchen freies und auch ein nützliches ist, da es uns manche neue Gesichtspunkte eröffnet und uns vielfach nicht nur zur Speculation, sondern auch zu Experimenten (z. B. über die Grenze der Theilbarkeit, die Grösse der Wirkungssphäre und

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Zitationshilfe: Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie02_1898/276>, abgerufen am 24.11.2024.