Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898.VII. Abschnitt. [Gleich. 290] Thermodynamik und, unbeschadet ihrer nie zu erschütterndenWichtigkeit, auch die Pflege mechanischer Bilder zu ihrer Versinnlichung für die Vertiefung unserer Naturerkenntniss förderlich und zwar nicht trotzdem, sondern gerade weil sie sich nicht in allen Stücken mit der allgemeinen Thermo- dynamik deckt, sondern den Ausblick auf neue Gesichtspunkte bietet. So hält die allgemeine Thermodynamik an der unbe- dingten ausnahmslosen Irreversibilität aller Naturvorgänge fest. Sie nimmt eine Function an (die Entropie), deren Werth durch jegliches Geschehen in der Natur sich nur einseitig ändern, z. B. zunehmen kann. Es unterscheidet sich also jeder spätere Zustand der Welt von jedem früheren durch einen wesentlich grösseren Entropiewerth. Die Differenz der Entropie von ihrem Maximumwerthe, welcher das Treibende aller Naturvor- gänge ist, wird immer geringer. Trotz der Unveränder- lichkeit der Gesammtenergie wird daher deren Umwandel- barkeit immer geringer, das Naturgeschehen immer matter und jede Widerherstellung des alten Entropievorrathes ist aus- geschlossen. Man kann nicht behaupten, dass diese Consequenz der § 90. Anwendung auf das Universum. Ist nun die erfahrungsmässig gegebene Irreversibilität des VII. Abschnitt. [Gleich. 290] Thermodynamik und, unbeschadet ihrer nie zu erschütterndenWichtigkeit, auch die Pflege mechanischer Bilder zu ihrer Versinnlichung für die Vertiefung unserer Naturerkenntniss förderlich und zwar nicht trotzdem, sondern gerade weil sie sich nicht in allen Stücken mit der allgemeinen Thermo- dynamik deckt, sondern den Ausblick auf neue Gesichtspunkte bietet. So hält die allgemeine Thermodynamik an der unbe- dingten ausnahmslosen Irreversibilität aller Naturvorgänge fest. Sie nimmt eine Function an (die Entropie), deren Werth durch jegliches Geschehen in der Natur sich nur einseitig ändern, z. B. zunehmen kann. Es unterscheidet sich also jeder spätere Zustand der Welt von jedem früheren durch einen wesentlich grösseren Entropiewerth. Die Differenz der Entropie von ihrem Maximumwerthe, welcher das Treibende aller Naturvor- gänge ist, wird immer geringer. Trotz der Unveränder- lichkeit der Gesammtenergie wird daher deren Umwandel- barkeit immer geringer, das Naturgeschehen immer matter und jede Widerherstellung des alten Entropievorrathes ist aus- geschlossen. Man kann nicht behaupten, dass diese Consequenz der § 90. Anwendung auf das Universum. Ist nun die erfahrungsmässig gegebene Irreversibilität des <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0274" n="256"/><fw place="top" type="header">VII. Abschnitt. 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VII. Abschnitt. [Gleich. 290]
Thermodynamik und, unbeschadet ihrer nie zu erschütternden
Wichtigkeit, auch die Pflege mechanischer Bilder zu ihrer
Versinnlichung für die Vertiefung unserer Naturerkenntniss
förderlich und zwar nicht trotzdem, sondern gerade weil sie
sich nicht in allen Stücken mit der allgemeinen Thermo-
dynamik deckt, sondern den Ausblick auf neue Gesichtspunkte
bietet. So hält die allgemeine Thermodynamik an der unbe-
dingten ausnahmslosen Irreversibilität aller Naturvorgänge fest.
Sie nimmt eine Function an (die Entropie), deren Werth durch
jegliches Geschehen in der Natur sich nur einseitig ändern,
z. B. zunehmen kann. Es unterscheidet sich also jeder spätere
Zustand der Welt von jedem früheren durch einen wesentlich
grösseren Entropiewerth. Die Differenz der Entropie von
ihrem Maximumwerthe, welcher das Treibende aller Naturvor-
gänge ist, wird immer geringer. Trotz der Unveränder-
lichkeit der Gesammtenergie wird daher deren Umwandel-
barkeit immer geringer, das Naturgeschehen immer matter
und jede Widerherstellung des alten Entropievorrathes ist aus-
geschlossen.
Man kann nicht behaupten, dass diese Consequenz der
Erfahrung widerspricht, da sie ja über unsere gegenwärtigen
Erfahrungen hinausgeht, aber bei aller Anerkennung der Vor-
sicht, welche bei solchen über die Erfahrung hinausgehenden
Schlüssen auf das Weltganze nothwendig ist, muss man doch
zugeben, dass sie wenig befriedigend ist und die Auffindung
eines allseitig befriedigenden Ausweges wünschenswerth er-
scheinen lässt, mag man sich nun die Zeit als unendlich oder
als einen geschlossenen Ring denken. In jedem Falle werden
wir lieber die uns gegebene erfahrungsmässige Einseitigkeit
derselben als einen bloss durch unseren speciellen beschränkten
Gesichtspunkt erzeugten Schein betrachten.
§ 90. Anwendung auf das Universum.
Ist nun die erfahrungsmässig gegebene Irreversibilität des
Verlaufes aller uns bekannter Naturvorgänge mit dem Ge-
danken einer Unbeschränktheit des Naturgeschehens, die uns
gegebene Einseitigkeit der Zeitfolge mit der Unendlichkeit oder
ringförmigen Geschlossenheit derselben vereinbar? Wer diese
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