Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 1. Leipzig, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Abschnitt. [Gleich. 35]
keitspunkte der Moleküle in unsere Zellen wird daher die-
jenige sein, für welche l Z ein Maximum, daher der Aus-
druck:
o [n1 l n1 + n2 l n2 + ...]
ein Minimum wird. Schreiben wir wieder d x d e d z für o und
f (x, e, z) für n1, n2 u. s. f., so verwandelt sich die Summe in
ein Integral und es wird
o (n1 l n1 + n2 l n2 + ...) = integral f (x, e, z) l f (x, e, z) d x d e d z.

Dieser Ausdruck ist aber vollkommen identisch mit dem
Ausdrucke, in welchen die durch Formel 28 gegebene Grösse H
für ein einzelnes Gas übergeht. Das Theorem des vorigen
Paragraphen, dass H durch die Zusammenstösse abnimmt, be-
sagt also nichts Anderes, als dass durch die Zusammenstösse
die Geschwindigkeitsvertheilung unter den Gasmolekülen sich
immer mehr und mehr der wahrscheinlichsten nähert, sobald
der Zustand molekular ungeordnet ist, also die Wahrschein-
lichkeitsrechnung Platz greift. Ich muss mich hier mit dieser
ganz beiläufigen Andeutung begnügen und verweise auf die
Sitzungsberichte der Wiener Akademie, Bd. 76, 11. October 1877.

Damit im Zusammenhange steht folgende, schon längst
einmal von Loschmidt gemachte Bemerkung. Gesetzt ein Gas
sei von absolut glatten, elastischen Wänden umschlossen. Zu
Anfang herrsche irgend eine unwahrscheinliche, aber molekular
ungeordnete Zustandsvertheilung, z. B. alle Moleküle haben
gleich grosse Geschwindigkeit c. Nach Verlauf einer gewissen
Zeit t wird sich nahezu die Maxwell'sche Geschwindigkeits-
vertheilung hergestellt haben. Wir denken uns nun zur Zeit t
die Richtung der Geschwindigkeit jedes Moleküls genau um-
gekehrt, ohne Veränderung der Grösse derselben. Das Gas
wird jetzt alle Zustände wieder rückwärts durchlaufen. Wir
haben also hier den Fall, dass eine wahrscheinlichere Ge-
schwindigkeitsvertheilung durch die Zusammenstösse in immer
unwahrscheinlichere übergeführt wird, dass also die Grösse H
durch die Zusammenstösse zunimmt. Es widerspricht dies
keineswegs dem im § 5 bewiesenen; denn die dort gemachte
Annahme, dass die Zustandsvertheilung eine molekular un-
geordnete sei, ist hier nicht erfüllt, da nach genauer Um-
kehrung aller Geschwindigkeiten jedes Molekül nicht den Wahr-

I. Abschnitt. [Gleich. 35]
keitspunkte der Moleküle in unsere Zellen wird daher die-
jenige sein, für welche l Z ein Maximum, daher der Aus-
druck:
ω [n1 l n1 + n2 l n2 + …]
ein Minimum wird. Schreiben wir wieder d ξ d η d ζ für ω und
f (ξ, η, ζ) für n1, n2 u. s. f., so verwandelt sich die Summe in
ein Integral und es wird
ω (n1 l n1 + n2 l n2 + …) = ∫ f (ξ, η, ζ) l f (ξ, η, ζ) d ξ d η d ζ.

Dieser Ausdruck ist aber vollkommen identisch mit dem
Ausdrucke, in welchen die durch Formel 28 gegebene Grösse H
für ein einzelnes Gas übergeht. Das Theorem des vorigen
Paragraphen, dass H durch die Zusammenstösse abnimmt, be-
sagt also nichts Anderes, als dass durch die Zusammenstösse
die Geschwindigkeitsvertheilung unter den Gasmolekülen sich
immer mehr und mehr der wahrscheinlichsten nähert, sobald
der Zustand molekular ungeordnet ist, also die Wahrschein-
lichkeitsrechnung Platz greift. Ich muss mich hier mit dieser
ganz beiläufigen Andeutung begnügen und verweise auf die
Sitzungsberichte der Wiener Akademie, Bd. 76, 11. October 1877.

Damit im Zusammenhange steht folgende, schon längst
einmal von Loschmidt gemachte Bemerkung. Gesetzt ein Gas
sei von absolut glatten, elastischen Wänden umschlossen. Zu
Anfang herrsche irgend eine unwahrscheinliche, aber molekular
ungeordnete Zustandsvertheilung, z. B. alle Moleküle haben
gleich grosse Geschwindigkeit c. Nach Verlauf einer gewissen
Zeit t wird sich nahezu die Maxwell’sche Geschwindigkeits-
vertheilung hergestellt haben. Wir denken uns nun zur Zeit t
die Richtung der Geschwindigkeit jedes Moleküls genau um-
gekehrt, ohne Veränderung der Grösse derselben. Das Gas
wird jetzt alle Zustände wieder rückwärts durchlaufen. Wir
haben also hier den Fall, dass eine wahrscheinlichere Ge-
schwindigkeitsvertheilung durch die Zusammenstösse in immer
unwahrscheinlichere übergeführt wird, dass also die Grösse H
durch die Zusammenstösse zunimmt. Es widerspricht dies
keineswegs dem im § 5 bewiesenen; denn die dort gemachte
Annahme, dass die Zustandsvertheilung eine molekular un-
geordnete sei, ist hier nicht erfüllt, da nach genauer Um-
kehrung aller Geschwindigkeiten jedes Molekül nicht den Wahr-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0056" n="42"/><fw place="top" type="header">I. Abschnitt. [Gleich. 35]</fw><lb/>
keitspunkte der Moleküle in unsere Zellen wird daher die-<lb/>
jenige sein, für welche <hi rendition="#i">l Z</hi> ein Maximum, daher der Aus-<lb/>
druck:<lb/><hi rendition="#c"><hi rendition="#i">&#x03C9;</hi> [<hi rendition="#i">n</hi><hi rendition="#sub">1</hi> <hi rendition="#i">l n</hi><hi rendition="#sub">1</hi> + <hi rendition="#i">n</hi><hi rendition="#sub">2</hi> <hi rendition="#i">l n</hi><hi rendition="#sub">2</hi> + &#x2026;]</hi><lb/>
ein Minimum wird. Schreiben wir wieder <hi rendition="#i">d &#x03BE; d &#x03B7; d &#x03B6;</hi> für <hi rendition="#i">&#x03C9;</hi> und<lb/><hi rendition="#i">f</hi> (<hi rendition="#i">&#x03BE;</hi>, <hi rendition="#i">&#x03B7;</hi>, <hi rendition="#i">&#x03B6;</hi>) für <hi rendition="#i">n</hi><hi rendition="#sub">1</hi>, <hi rendition="#i">n</hi><hi rendition="#sub">2</hi> u. s. f., so verwandelt sich die Summe in<lb/>
ein Integral und es wird<lb/><hi rendition="#c"><hi rendition="#i">&#x03C9;</hi> (<hi rendition="#i">n</hi><hi rendition="#sub">1</hi> <hi rendition="#i">l n</hi><hi rendition="#sub">1</hi> + <hi rendition="#i">n</hi><hi rendition="#sub">2</hi> <hi rendition="#i">l n</hi><hi rendition="#sub">2</hi> + &#x2026;) = &#x222B; <hi rendition="#i">f</hi> (<hi rendition="#i">&#x03BE;</hi>, <hi rendition="#i">&#x03B7;</hi>, <hi rendition="#i">&#x03B6;</hi>) <hi rendition="#i">l f</hi> (<hi rendition="#i">&#x03BE;</hi>, <hi rendition="#i">&#x03B7;</hi>, <hi rendition="#i">&#x03B6;</hi>) <hi rendition="#i">d &#x03BE; d &#x03B7; d &#x03B6;</hi>.</hi></p><lb/>
          <p>Dieser Ausdruck ist aber vollkommen identisch mit dem<lb/>
Ausdrucke, in welchen die durch Formel 28 gegebene Grösse <hi rendition="#i">H</hi><lb/>
für ein einzelnes Gas übergeht. Das Theorem des vorigen<lb/>
Paragraphen, dass <hi rendition="#i">H</hi> durch die Zusammenstösse abnimmt, be-<lb/>
sagt also nichts Anderes, als dass durch die Zusammenstösse<lb/>
die Geschwindigkeitsvertheilung unter den Gasmolekülen sich<lb/>
immer mehr und mehr der wahrscheinlichsten nähert, sobald<lb/>
der Zustand molekular ungeordnet ist, also die Wahrschein-<lb/>
lichkeitsrechnung Platz greift. Ich muss mich hier mit dieser<lb/>
ganz beiläufigen Andeutung begnügen und verweise auf die<lb/>
Sitzungsberichte der Wiener Akademie, Bd. 76, 11. October 1877.</p><lb/>
          <p>Damit im Zusammenhange steht folgende, schon längst<lb/>
einmal von <hi rendition="#g">Loschmidt</hi> gemachte Bemerkung. Gesetzt ein Gas<lb/>
sei von absolut glatten, elastischen Wänden umschlossen. Zu<lb/>
Anfang herrsche irgend eine unwahrscheinliche, aber molekular<lb/>
ungeordnete Zustandsvertheilung, z. B. alle Moleküle haben<lb/>
gleich grosse Geschwindigkeit <hi rendition="#i">c</hi>. Nach Verlauf einer gewissen<lb/>
Zeit <hi rendition="#i">t</hi> wird sich nahezu die <hi rendition="#g">Maxwell&#x2019;</hi>sche Geschwindigkeits-<lb/>
vertheilung hergestellt haben. Wir denken uns nun zur Zeit <hi rendition="#i">t</hi><lb/>
die Richtung der Geschwindigkeit jedes Moleküls genau um-<lb/>
gekehrt, ohne Veränderung der Grösse derselben. Das Gas<lb/>
wird jetzt alle Zustände wieder rückwärts durchlaufen. Wir<lb/>
haben also hier den Fall, dass eine wahrscheinlichere Ge-<lb/>
schwindigkeitsvertheilung durch die Zusammenstösse in immer<lb/>
unwahrscheinlichere übergeführt wird, dass also die Grösse <hi rendition="#i">H</hi><lb/>
durch die Zusammenstösse zunimmt. Es widerspricht dies<lb/>
keineswegs dem im § 5 bewiesenen; denn die dort gemachte<lb/>
Annahme, dass die Zustandsvertheilung eine molekular un-<lb/>
geordnete sei, ist hier nicht erfüllt, da nach genauer Um-<lb/>
kehrung aller Geschwindigkeiten jedes Molekül nicht den Wahr-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0056] I. Abschnitt. [Gleich. 35] keitspunkte der Moleküle in unsere Zellen wird daher die- jenige sein, für welche l Z ein Maximum, daher der Aus- druck: ω [n1 l n1 + n2 l n2 + …] ein Minimum wird. Schreiben wir wieder d ξ d η d ζ für ω und f (ξ, η, ζ) für n1, n2 u. s. f., so verwandelt sich die Summe in ein Integral und es wird ω (n1 l n1 + n2 l n2 + …) = ∫ f (ξ, η, ζ) l f (ξ, η, ζ) d ξ d η d ζ. Dieser Ausdruck ist aber vollkommen identisch mit dem Ausdrucke, in welchen die durch Formel 28 gegebene Grösse H für ein einzelnes Gas übergeht. Das Theorem des vorigen Paragraphen, dass H durch die Zusammenstösse abnimmt, be- sagt also nichts Anderes, als dass durch die Zusammenstösse die Geschwindigkeitsvertheilung unter den Gasmolekülen sich immer mehr und mehr der wahrscheinlichsten nähert, sobald der Zustand molekular ungeordnet ist, also die Wahrschein- lichkeitsrechnung Platz greift. Ich muss mich hier mit dieser ganz beiläufigen Andeutung begnügen und verweise auf die Sitzungsberichte der Wiener Akademie, Bd. 76, 11. October 1877. Damit im Zusammenhange steht folgende, schon längst einmal von Loschmidt gemachte Bemerkung. Gesetzt ein Gas sei von absolut glatten, elastischen Wänden umschlossen. Zu Anfang herrsche irgend eine unwahrscheinliche, aber molekular ungeordnete Zustandsvertheilung, z. B. alle Moleküle haben gleich grosse Geschwindigkeit c. Nach Verlauf einer gewissen Zeit t wird sich nahezu die Maxwell’sche Geschwindigkeits- vertheilung hergestellt haben. Wir denken uns nun zur Zeit t die Richtung der Geschwindigkeit jedes Moleküls genau um- gekehrt, ohne Veränderung der Grösse derselben. Das Gas wird jetzt alle Zustände wieder rückwärts durchlaufen. Wir haben also hier den Fall, dass eine wahrscheinlichere Ge- schwindigkeitsvertheilung durch die Zusammenstösse in immer unwahrscheinlichere übergeführt wird, dass also die Grösse H durch die Zusammenstösse zunimmt. Es widerspricht dies keineswegs dem im § 5 bewiesenen; denn die dort gemachte Annahme, dass die Zustandsvertheilung eine molekular un- geordnete sei, ist hier nicht erfüllt, da nach genauer Um- kehrung aller Geschwindigkeiten jedes Molekül nicht den Wahr-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie01_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie01_1896/56
Zitationshilfe: Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 1. Leipzig, 1896, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie01_1896/56>, abgerufen am 09.11.2024.