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Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 1. Leipzig, 1896.

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Einleitung.
wesentlichste Momente alle etwaigen Umwälzungen unserer
Anschauungen überdauern werden, ja welche möglicher Weise
einst noch als feststehende Thatsachen gelten werden, wie
schon heute die Hypothese, dass die Sterne riesige, Millionen
von Meilen abstehende Körper sind, die ja consequenter Weise
auch nur als mechanische Analogie zur Versinnlichung der
Wirkungen der Sonne und der durch die anderen Himmels-
körper erzeugten spärlichen Gesichtswahrnehmungen, aufzu-
fassen ist, der man auch vorwerfen könnte, dass sie eine ganze
Welt eingebildeter Dinge neben der Welt unserer Sinneswahr-
nehmungen construire und von der doch kaum irgend Jemand
annehmen wird, dass sie je durch eine andere verdrängt werden
könnte.

Ich hoffe, im Folgenden den Beweis liefern zu können,
dass auch die mechanische Analogie zwischen den dem so-
genannten zweiten Hauptsatze der Wärmelehre zu Grunde
liegenden Thatsachen und den Wahrscheinlichkeitsgesetzen in
den Bewegungen der Gasmoleküle weit über eine blosse äussere
Aehnlichkeit hinausgeht.

Die Frage nach der Zweckmässigkeit der atomistischen
Anschauungen ist natürlich völlig unberührt durch die von
Kirchhoff betonte Thatsache, dass sich unsere Theorien zur
Natur wie die Zeichen zum Bezeichneten, also wie die Buch-
staben zu den Lauten oder die Noten zu den Tönen verhalten
und durch die Frage, ob es nicht zweckmässig sei, die Theorien
als blosse Beschreibungen zu bezeichnen, um an dieses ihr
Verhältniss zur Natur stets zu erinnern. Es handelt sich eben
darum, ob sich die blossen Differentialgleichungen oder die
atomistischen Ansichten einst als vollständigere Beschreibungen
der Phänomene herausstellen werden.

Gibt man einmal zu, dass die Erklärung des Scheines
des Continuums durch die Anwesenheit ausserordentlich vieler
nebeneinander gelagerter discontinuirlicher Moleküle die An-
schauung fördert und denkt man sich dieselben den Gesetzen
der Mechanik unterworfen, so wird man zur weiteren Annahme
gedrängt, dass die Wärme eine fortdauernde Bewegung der
Moleküle sei. Denn diese müssen in ihrer relativen Lage that-
sächlich durch Kräfte festgehalten werden, deren Ursprung
man sich freilich denken mag, wie man will. Alle Kräfte aber,

Einleitung.
wesentlichste Momente alle etwaigen Umwälzungen unserer
Anschauungen überdauern werden, ja welche möglicher Weise
einst noch als feststehende Thatsachen gelten werden, wie
schon heute die Hypothese, dass die Sterne riesige, Millionen
von Meilen abstehende Körper sind, die ja consequenter Weise
auch nur als mechanische Analogie zur Versinnlichung der
Wirkungen der Sonne und der durch die anderen Himmels-
körper erzeugten spärlichen Gesichtswahrnehmungen, aufzu-
fassen ist, der man auch vorwerfen könnte, dass sie eine ganze
Welt eingebildeter Dinge neben der Welt unserer Sinneswahr-
nehmungen construire und von der doch kaum irgend Jemand
annehmen wird, dass sie je durch eine andere verdrängt werden
könnte.

Ich hoffe, im Folgenden den Beweis liefern zu können,
dass auch die mechanische Analogie zwischen den dem so-
genannten zweiten Hauptsatze der Wärmelehre zu Grunde
liegenden Thatsachen und den Wahrscheinlichkeitsgesetzen in
den Bewegungen der Gasmoleküle weit über eine blosse äussere
Aehnlichkeit hinausgeht.

Die Frage nach der Zweckmässigkeit der atomistischen
Anschauungen ist natürlich völlig unberührt durch die von
Kirchhoff betonte Thatsache, dass sich unsere Theorien zur
Natur wie die Zeichen zum Bezeichneten, also wie die Buch-
staben zu den Lauten oder die Noten zu den Tönen verhalten
und durch die Frage, ob es nicht zweckmässig sei, die Theorien
als blosse Beschreibungen zu bezeichnen, um an dieses ihr
Verhältniss zur Natur stets zu erinnern. Es handelt sich eben
darum, ob sich die blossen Differentialgleichungen oder die
atomistischen Ansichten einst als vollständigere Beschreibungen
der Phänomene herausstellen werden.

Gibt man einmal zu, dass die Erklärung des Scheines
des Continuums durch die Anwesenheit ausserordentlich vieler
nebeneinander gelagerter discontinuirlicher Moleküle die An-
schauung fördert und denkt man sich dieselben den Gesetzen
der Mechanik unterworfen, so wird man zur weiteren Annahme
gedrängt, dass die Wärme eine fortdauernde Bewegung der
Moleküle sei. Denn diese müssen in ihrer relativen Lage that-
sächlich durch Kräfte festgehalten werden, deren Ursprung
man sich freilich denken mag, wie man will. Alle Kräfte aber,

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[6/0020] Einleitung. wesentlichste Momente alle etwaigen Umwälzungen unserer Anschauungen überdauern werden, ja welche möglicher Weise einst noch als feststehende Thatsachen gelten werden, wie schon heute die Hypothese, dass die Sterne riesige, Millionen von Meilen abstehende Körper sind, die ja consequenter Weise auch nur als mechanische Analogie zur Versinnlichung der Wirkungen der Sonne und der durch die anderen Himmels- körper erzeugten spärlichen Gesichtswahrnehmungen, aufzu- fassen ist, der man auch vorwerfen könnte, dass sie eine ganze Welt eingebildeter Dinge neben der Welt unserer Sinneswahr- nehmungen construire und von der doch kaum irgend Jemand annehmen wird, dass sie je durch eine andere verdrängt werden könnte. Ich hoffe, im Folgenden den Beweis liefern zu können, dass auch die mechanische Analogie zwischen den dem so- genannten zweiten Hauptsatze der Wärmelehre zu Grunde liegenden Thatsachen und den Wahrscheinlichkeitsgesetzen in den Bewegungen der Gasmoleküle weit über eine blosse äussere Aehnlichkeit hinausgeht. Die Frage nach der Zweckmässigkeit der atomistischen Anschauungen ist natürlich völlig unberührt durch die von Kirchhoff betonte Thatsache, dass sich unsere Theorien zur Natur wie die Zeichen zum Bezeichneten, also wie die Buch- staben zu den Lauten oder die Noten zu den Tönen verhalten und durch die Frage, ob es nicht zweckmässig sei, die Theorien als blosse Beschreibungen zu bezeichnen, um an dieses ihr Verhältniss zur Natur stets zu erinnern. Es handelt sich eben darum, ob sich die blossen Differentialgleichungen oder die atomistischen Ansichten einst als vollständigere Beschreibungen der Phänomene herausstellen werden. Gibt man einmal zu, dass die Erklärung des Scheines des Continuums durch die Anwesenheit ausserordentlich vieler nebeneinander gelagerter discontinuirlicher Moleküle die An- schauung fördert und denkt man sich dieselben den Gesetzen der Mechanik unterworfen, so wird man zur weiteren Annahme gedrängt, dass die Wärme eine fortdauernde Bewegung der Moleküle sei. Denn diese müssen in ihrer relativen Lage that- sächlich durch Kräfte festgehalten werden, deren Ursprung man sich freilich denken mag, wie man will. Alle Kräfte aber,

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Zitationshilfe: Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 1. Leipzig, 1896, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie01_1896/20>, abgerufen am 23.11.2024.