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Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 1. Leipzig, 1896.

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[Gleich. 96] § 14. Allgemeine Diffusion.
der Grösse Q mehr aufgehalten, findet daher langsamer statt,
wenn sich ihr Betrag zwischen zwei zusammenstossenden
Molekülen ausgleicht, als wenn dies nicht der Fall ist.

Es wurden zahlreiche Versuche gemacht, den durch alle
diese Annahmen vernachlässigten Gliedern theilweise Rechnung
zu tragen, besonders durch Clausius, O. E. Meyer, Tait.
Allein unter Beibehaltung der Annahme, dass die Moleküle
elastische Kugeln seien, gelang es bisher nicht, die Verände-
rung der Geschwindigkeitsvertheilung durch innere Reibung,
Diffusion und Wärmeleitung exact zu berechnen, weshalb in
allen betreffenden Formeln noch Glieder von derselben Grössen-
ordnung wie die Ausschlag gebenden vernachlässigt sind, so
dass dieselben nicht wesentlich besser sind, als die hier in
einfacherer Weise gewonnenen.

Solche Vernachlässigungen, durch welche die erhaltenen
Resultate mathematisch incorrect werden, so dass sie nicht
mehr logische Consequenzen der gemachten Annahmen sind,
sind (wie schon am Schlusse von § 6 auseinandergesetzt wurde)
wohl zu unterscheiden von physikalisch nur angenähert rich-
tigen Annahmen, z. B. dass die Dauer eines Zusammenstosses
klein ist gegen die Zwischenzeit zwischen zwei Zusammen-
stössen u. s. w. In Folge der letzteren Annahme werden die
Resultate zwar auch physikalisch ungenau, d. h. ihre exacte
Bestätigung durch das Experiment ist nicht zu erwarten; aber
sie bleiben mathematisch richtig, sie bilden mit logischer Noth-
wendigkeit den Grenzfall, dem sich die Gesetze um so mehr
nähern müssten, je genauer jene Annahmen realisirt wären.


Wir wollen hier noch die Diffusion zweier Gase, falls
Masse und Durchmesser eines Moleküls für beide Gase ver-
schieden ist, jedoch nur unter der die Rechnung vereinfachenden
Annahme berechnen, dass die Geschwindigkeiten c aller Mole-
küle der ersten Gasart unter sich gleich sind, ebenso die
Geschwindigkeiten c1 aller Moleküle der zweiten Gasart.

Dann gilt für die erste Gasart die Formel 95. Die mitt-
lere Weglänge würden wir dann freilich consequenter aus
Formel 68 berechnen. Wir wollen aber, da die ganze Rechnung
ohnedies nur eine angenäherte ist, hier das Vorkommen ver-
schiedener Geschwindigkeiten berücksichtigen, weil dies hier die

[Gleich. 96] § 14. Allgemeine Diffusion.
der Grösse Q mehr aufgehalten, findet daher langsamer statt,
wenn sich ihr Betrag zwischen zwei zusammenstossenden
Molekülen ausgleicht, als wenn dies nicht der Fall ist.

Es wurden zahlreiche Versuche gemacht, den durch alle
diese Annahmen vernachlässigten Gliedern theilweise Rechnung
zu tragen, besonders durch Clausius, O. E. Meyer, Tait.
Allein unter Beibehaltung der Annahme, dass die Moleküle
elastische Kugeln seien, gelang es bisher nicht, die Verände-
rung der Geschwindigkeitsvertheilung durch innere Reibung,
Diffusion und Wärmeleitung exact zu berechnen, weshalb in
allen betreffenden Formeln noch Glieder von derselben Grössen-
ordnung wie die Ausschlag gebenden vernachlässigt sind, so
dass dieselben nicht wesentlich besser sind, als die hier in
einfacherer Weise gewonnenen.

Solche Vernachlässigungen, durch welche die erhaltenen
Resultate mathematisch incorrect werden, so dass sie nicht
mehr logische Consequenzen der gemachten Annahmen sind,
sind (wie schon am Schlusse von § 6 auseinandergesetzt wurde)
wohl zu unterscheiden von physikalisch nur angenähert rich-
tigen Annahmen, z. B. dass die Dauer eines Zusammenstosses
klein ist gegen die Zwischenzeit zwischen zwei Zusammen-
stössen u. s. w. In Folge der letzteren Annahme werden die
Resultate zwar auch physikalisch ungenau, d. h. ihre exacte
Bestätigung durch das Experiment ist nicht zu erwarten; aber
sie bleiben mathematisch richtig, sie bilden mit logischer Noth-
wendigkeit den Grenzfall, dem sich die Gesetze um so mehr
nähern müssten, je genauer jene Annahmen realisirt wären.


Wir wollen hier noch die Diffusion zweier Gase, falls
Masse und Durchmesser eines Moleküls für beide Gase ver-
schieden ist, jedoch nur unter der die Rechnung vereinfachenden
Annahme berechnen, dass die Geschwindigkeiten c aller Mole-
küle der ersten Gasart unter sich gleich sind, ebenso die
Geschwindigkeiten c1 aller Moleküle der zweiten Gasart.

Dann gilt für die erste Gasart die Formel 95. Die mitt-
lere Weglänge würden wir dann freilich consequenter aus
Formel 68 berechnen. Wir wollen aber, da die ganze Rechnung
ohnedies nur eine angenäherte ist, hier das Vorkommen ver-
schiedener Geschwindigkeiten berücksichtigen, weil dies hier die

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[95/0109] [Gleich. 96] § 14. Allgemeine Diffusion. der Grösse Q mehr aufgehalten, findet daher langsamer statt, wenn sich ihr Betrag zwischen zwei zusammenstossenden Molekülen ausgleicht, als wenn dies nicht der Fall ist. Es wurden zahlreiche Versuche gemacht, den durch alle diese Annahmen vernachlässigten Gliedern theilweise Rechnung zu tragen, besonders durch Clausius, O. E. Meyer, Tait. Allein unter Beibehaltung der Annahme, dass die Moleküle elastische Kugeln seien, gelang es bisher nicht, die Verände- rung der Geschwindigkeitsvertheilung durch innere Reibung, Diffusion und Wärmeleitung exact zu berechnen, weshalb in allen betreffenden Formeln noch Glieder von derselben Grössen- ordnung wie die Ausschlag gebenden vernachlässigt sind, so dass dieselben nicht wesentlich besser sind, als die hier in einfacherer Weise gewonnenen. Solche Vernachlässigungen, durch welche die erhaltenen Resultate mathematisch incorrect werden, so dass sie nicht mehr logische Consequenzen der gemachten Annahmen sind, sind (wie schon am Schlusse von § 6 auseinandergesetzt wurde) wohl zu unterscheiden von physikalisch nur angenähert rich- tigen Annahmen, z. B. dass die Dauer eines Zusammenstosses klein ist gegen die Zwischenzeit zwischen zwei Zusammen- stössen u. s. w. In Folge der letzteren Annahme werden die Resultate zwar auch physikalisch ungenau, d. h. ihre exacte Bestätigung durch das Experiment ist nicht zu erwarten; aber sie bleiben mathematisch richtig, sie bilden mit logischer Noth- wendigkeit den Grenzfall, dem sich die Gesetze um so mehr nähern müssten, je genauer jene Annahmen realisirt wären. Wir wollen hier noch die Diffusion zweier Gase, falls Masse und Durchmesser eines Moleküls für beide Gase ver- schieden ist, jedoch nur unter der die Rechnung vereinfachenden Annahme berechnen, dass die Geschwindigkeiten c aller Mole- küle der ersten Gasart unter sich gleich sind, ebenso die Geschwindigkeiten c1 aller Moleküle der zweiten Gasart. Dann gilt für die erste Gasart die Formel 95. Die mitt- lere Weglänge würden wir dann freilich consequenter aus Formel 68 berechnen. Wir wollen aber, da die ganze Rechnung ohnedies nur eine angenäherte ist, hier das Vorkommen ver- schiedener Geschwindigkeiten berücksichtigen, weil dies hier die

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Zitationshilfe: Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 1. Leipzig, 1896, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie01_1896/109>, abgerufen am 23.11.2024.