Bohrer, Bertha: Die Lehrerinnen und das Frauenstimmrecht. Berlin, 1911 (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 9).Daß die Erfüllung sozialer, kommunaler und staatlicher Pflichten Daß die Lehrerinnen noch ebensowenig Staatsbürgerinnen sind wie Daß die Erfüllung sozialer, kommunaler und staatlicher Pflichten Daß die Lehrerinnen noch ebensowenig Staatsbürgerinnen sind wie <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0005" n="2"/> <p>Daß die Erfüllung sozialer, kommunaler und staatlicher Pflichten<lb/> ohne staatsbürgerliche Rechte nicht möglich ist, wird ohne weiteres jede<lb/> Frau zugeben, die ihre Kräfte jahrelang in den Dienst der Allgemeinheit<lb/> gestellt hat. Zu diesen, dem Allgemeinwohl dienenden Frauen, gehören<lb/> auch die Lehrerinnen, besonders die Volksschullehrerinnen, die Erzieherinnen<lb/> des Volkes. Folglich müssen auch sie zu der Erkenntnis kommen, daß all<lb/> ihr Wirken in Stadt und Dorf nichtig, im besten Falle Stückwerk ist,<lb/> weil sie keine Stelle haben, von der aus sie ihren Wünschen und<lb/> Forderungen Nachdruck verleihen können. <hi rendition="#g">Sie müssen zur Forderung<lb/> ihres vollen Staatsbürgertums, also zur Forderung des<lb/> Frauenstimmrechts kommen.</hi> Bescheidenheit und Aengstlichkeit der<lb/> Lehrerinnen sind heutzutage nicht mehr am Platze. Der Staat braucht<lb/> die Lehrerin ebenso nötig wie den Lehrer, er kann ihre Arbeit nicht mehr<lb/> entbehren. Die Lehrerin zahlt ihre Steuern wie jeder andere Staats-<lb/> bürger und kann darum auch verlangen, daß man ihr staatsbürgerliche Rechte zuerkennt.</p><lb/> <p>Daß die Lehrerinnen noch ebensowenig Staatsbürgerinnen sind wie<lb/> alle übrigen Frauen, drückt sich schon rein äußerlich durch die viel <hi rendition="#g">ge-<lb/> ringere Bezahlung der gleichen Arbeit</hi> gegenüber dem männlichen,<lb/> Lehrkollegen aus. Das Lehrerbesoldungsgesetz vom 26. Mai 1909 be¬<lb/> stimmt in § 3: Das Grundgehalt beträgt für die Lehrerstelle 1400, für<lb/> die Lehrerinnenstelle 1200 Mk. Dazu kommen nach § 8 an Alterszulagen,<lb/> in 31 Dienstjahren erreichbar, für den Lehrer 1900, für die Lehrerin<lb/> 1250 Mk. Wie wenig das Gesetz den Lehrerinnen gerecht wird, ersieht<lb/> man beispielsweise daran, daß eine Lehrerin, die 18 Jahre im Amte ist,<lb/> an Gehalt noch 100 Mk. weniger bezieht als der Lehrer, der 10 Jahre<lb/> tätig ist. Man muß die Ungerechtigkeit dieses Besoldungsgesetzes am<lb/> eigenen Leibe erfahren haben, um die Unzufriedenheit mancher Lehrerinnen<lb/> verstehen zu können. Als ich 22 Jahre im Amte war, bezog ich ein<lb/> jährliches Gehalt von 2000 Mk.; das Einkommen des Kollegen aber, der<lb/> genau dieselbe Anzahl von Dienstjahren hatte, betrug mit dem Mehr an<lb/> Wohnungsgeldzuschuß 3000 Mk. Dabei hatte ich eine Mädchen-Ober-<lb/> klasse, 65 Schülerinnen von 12 und 13 Jahren, 26 Pflichtstunden und<lb/> viele häusliche Vorbereitungen und Korrekturen. Der betreffende Lehrer<lb/> aber hatte das 3. Schuljahr, keine häusliche Vorbereitung und auch keine<lb/> Korrekturen. – Das Höchstgehalt ist für den Lehrer, abgesehen von den<lb/> Ortszulagen, die in das Belieben der einzelnen Gemeinden gestellt und<lb/> darum hier nicht mitgerechnet werden können, 3300 Mk., für die Lehrerin<lb/> 2450 Mk. Dieses Höchstgehalt steht aber für die große Mehrzahl der<lb/> Lehrerinnen nur auf dem Papier, da die wenigsten Lehrerinnen 31 Jahre<lb/> im Schuldienste aushalten können; sie müssen aus Gesundheitsrücksichten<lb/> meist früher in den Ruhestand treten und erhalten dann selbstverständlich<lb/></p> </body> </text> </TEI> [2/0005]
Daß die Erfüllung sozialer, kommunaler und staatlicher Pflichten
ohne staatsbürgerliche Rechte nicht möglich ist, wird ohne weiteres jede
Frau zugeben, die ihre Kräfte jahrelang in den Dienst der Allgemeinheit
gestellt hat. Zu diesen, dem Allgemeinwohl dienenden Frauen, gehören
auch die Lehrerinnen, besonders die Volksschullehrerinnen, die Erzieherinnen
des Volkes. Folglich müssen auch sie zu der Erkenntnis kommen, daß all
ihr Wirken in Stadt und Dorf nichtig, im besten Falle Stückwerk ist,
weil sie keine Stelle haben, von der aus sie ihren Wünschen und
Forderungen Nachdruck verleihen können. Sie müssen zur Forderung
ihres vollen Staatsbürgertums, also zur Forderung des
Frauenstimmrechts kommen. Bescheidenheit und Aengstlichkeit der
Lehrerinnen sind heutzutage nicht mehr am Platze. Der Staat braucht
die Lehrerin ebenso nötig wie den Lehrer, er kann ihre Arbeit nicht mehr
entbehren. Die Lehrerin zahlt ihre Steuern wie jeder andere Staats-
bürger und kann darum auch verlangen, daß man ihr staatsbürgerliche Rechte zuerkennt.
Daß die Lehrerinnen noch ebensowenig Staatsbürgerinnen sind wie
alle übrigen Frauen, drückt sich schon rein äußerlich durch die viel ge-
ringere Bezahlung der gleichen Arbeit gegenüber dem männlichen,
Lehrkollegen aus. Das Lehrerbesoldungsgesetz vom 26. Mai 1909 be¬
stimmt in § 3: Das Grundgehalt beträgt für die Lehrerstelle 1400, für
die Lehrerinnenstelle 1200 Mk. Dazu kommen nach § 8 an Alterszulagen,
in 31 Dienstjahren erreichbar, für den Lehrer 1900, für die Lehrerin
1250 Mk. Wie wenig das Gesetz den Lehrerinnen gerecht wird, ersieht
man beispielsweise daran, daß eine Lehrerin, die 18 Jahre im Amte ist,
an Gehalt noch 100 Mk. weniger bezieht als der Lehrer, der 10 Jahre
tätig ist. Man muß die Ungerechtigkeit dieses Besoldungsgesetzes am
eigenen Leibe erfahren haben, um die Unzufriedenheit mancher Lehrerinnen
verstehen zu können. Als ich 22 Jahre im Amte war, bezog ich ein
jährliches Gehalt von 2000 Mk.; das Einkommen des Kollegen aber, der
genau dieselbe Anzahl von Dienstjahren hatte, betrug mit dem Mehr an
Wohnungsgeldzuschuß 3000 Mk. Dabei hatte ich eine Mädchen-Ober-
klasse, 65 Schülerinnen von 12 und 13 Jahren, 26 Pflichtstunden und
viele häusliche Vorbereitungen und Korrekturen. Der betreffende Lehrer
aber hatte das 3. Schuljahr, keine häusliche Vorbereitung und auch keine
Korrekturen. – Das Höchstgehalt ist für den Lehrer, abgesehen von den
Ortszulagen, die in das Belieben der einzelnen Gemeinden gestellt und
darum hier nicht mitgerechnet werden können, 3300 Mk., für die Lehrerin
2450 Mk. Dieses Höchstgehalt steht aber für die große Mehrzahl der
Lehrerinnen nur auf dem Papier, da die wenigsten Lehrerinnen 31 Jahre
im Schuldienste aushalten können; sie müssen aus Gesundheitsrücksichten
meist früher in den Ruhestand treten und erhalten dann selbstverständlich
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(2017-12-13T13:13:46Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition.
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