stürzte auf die Straße hinunter, lief ohne Hut und Mantel zum Thore hinaus und kam so glücklich über die Grenze. Auch ist in diesen Tagen ein Bier¬ brauer aus Leipzig hier angekommen, der zu fünf¬ zehnjähriger Zuchthausstrafe verurtheilt war. Er saß schon lange in Pirna fest, als es ihm gelang seinen Kerker zu durchbrechen um den weiten Weg durch Deutschland nicht unerkannt, aber unverrathen zurückzulegen. So haben sich schon sehr viele Patrio¬ ten gerettet, von welchen ich sechs in Frankreich be¬ gegnet und gesprochen habe. Wenn man die Er¬ zählung von ihrer oft wunderbaren Rettung anhört, gewahrt man leicht und mit großer Freude, daß die¬ jenigen welche sie zu bewachen hatten, mit ihrer Flucht einverstanden waren, so, daß wenn sie auch nicht behülflich dabei gewesen, sie doch die Augen zu¬ gedrückt. Die Flüchtlinge dürfen zwar aus Klugheit und Dankbarkeit von einem solchen Einverständnisse nicht sprechen, doch aus den angegebenen Umständen erräth man es bald. Einer dieser Patrioten aber, der das Vertrauen zu mir unbedenklich fand, gestand es, daß ein Polizei-Beamter, und zwar ein solcher, der sich seit mehreren Jahren durch seine blinde Folg¬ samkeit gegen die Tyrannei ausgezeichnet hat, und darum in der ganzen Stadt verhaßt ist, ihm, ob er ihn früher zwar gar nicht gekannt, zu seiner Flucht behülflich ge¬ wesen. Wie erfreulich ist es nicht warzunehmen,
ſtürzte auf die Straße hinunter, lief ohne Hut und Mantel zum Thore hinaus und kam ſo glücklich über die Grenze. Auch iſt in dieſen Tagen ein Bier¬ brauer aus Leipzig hier angekommen, der zu fünf¬ zehnjähriger Zuchthausſtrafe verurtheilt war. Er ſaß ſchon lange in Pirna feſt, als es ihm gelang ſeinen Kerker zu durchbrechen um den weiten Weg durch Deutſchland nicht unerkannt, aber unverrathen zurückzulegen. So haben ſich ſchon ſehr viele Patrio¬ ten gerettet, von welchen ich ſechs in Frankreich be¬ gegnet und geſprochen habe. Wenn man die Er¬ zählung von ihrer oft wunderbaren Rettung anhört, gewahrt man leicht und mit großer Freude, daß die¬ jenigen welche ſie zu bewachen hatten, mit ihrer Flucht einverſtanden waren, ſo, daß wenn ſie auch nicht behülflich dabei geweſen, ſie doch die Augen zu¬ gedrückt. Die Flüchtlinge dürfen zwar aus Klugheit und Dankbarkeit von einem ſolchen Einverſtändniſſe nicht ſprechen, doch aus den angegebenen Umſtänden erräth man es bald. Einer dieſer Patrioten aber, der das Vertrauen zu mir unbedenklich fand, geſtand es, daß ein Polizei-Beamter, und zwar ein ſolcher, der ſich ſeit mehreren Jahren durch ſeine blinde Folg¬ ſamkeit gegen die Tyrannei ausgezeichnet hat, und darum in der ganzen Stadt verhaßt iſt, ihm, ob er ihn früher zwar gar nicht gekannt, zu ſeiner Flucht behülflich ge¬ weſen. Wie erfreulich iſt es nicht warzunehmen,
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[75/0087]
ſtürzte auf die Straße hinunter, lief ohne Hut und
Mantel zum Thore hinaus und kam ſo glücklich über
die Grenze. Auch iſt in dieſen Tagen ein Bier¬
brauer aus Leipzig hier angekommen, der zu fünf¬
zehnjähriger Zuchthausſtrafe verurtheilt war. Er
ſaß ſchon lange in Pirna feſt, als es ihm gelang
ſeinen Kerker zu durchbrechen um den weiten Weg
durch Deutſchland nicht unerkannt, aber unverrathen
zurückzulegen. So haben ſich ſchon ſehr viele Patrio¬
ten gerettet, von welchen ich ſechs in Frankreich be¬
gegnet und geſprochen habe. Wenn man die Er¬
zählung von ihrer oft wunderbaren Rettung anhört,
gewahrt man leicht und mit großer Freude, daß die¬
jenigen welche ſie zu bewachen hatten, mit ihrer
Flucht einverſtanden waren, ſo, daß wenn ſie auch
nicht behülflich dabei geweſen, ſie doch die Augen zu¬
gedrückt. Die Flüchtlinge dürfen zwar aus Klugheit
und Dankbarkeit von einem ſolchen Einverſtändniſſe
nicht ſprechen, doch aus den angegebenen Umſtänden
erräth man es bald. Einer dieſer Patrioten aber,
der das Vertrauen zu mir unbedenklich fand, geſtand
es, daß ein Polizei-Beamter, und zwar ein ſolcher,
der ſich ſeit mehreren Jahren durch ſeine blinde Folg¬
ſamkeit gegen die Tyrannei ausgezeichnet hat, und darum
in der ganzen Stadt verhaßt iſt, ihm, ob er ihn früher
zwar gar nicht gekannt, zu ſeiner Flucht behülflich ge¬
weſen. Wie erfreulich iſt es nicht warzunehmen,
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/87>, abgerufen am 02.03.2025.
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