wenn ihre Unterthanen sie nicht für so niederträchtig halten, daß sie die Briefe öffne! So sind alle Monarchien. Jede monarchische Rgierung will für jedes Unrecht, mit welchem sie ihre Unterthanen verschont, gelobt sein; dann soll man ihre Gerechtigkeit preisen. Jedes Gut, das sie ihren Unterthanen nicht raubt, will sie als Geschenk betrachtet wissen, wofür man Dank schuldig sei. Wenn sie den Bürgern erlaubt, jedem so gut er es versteht, den Weg seines Glückes zu verfolgen, seinem Wohlstande nachzugehen, wenn sie ja einmal nicht hindert, rühmt sie sich, Wohlstand über das Land zu verbreiten und die Selbsthuldigung nimmt kein Ende. Das ist wörtlich wahr. War doch neulich in einem Russischen Zeitungsartikel zu lesen: "Die Polen hatten alle ihre moralischen und "physischen Kräfte der Regierung zu verdanken, "die sie schmählich verriethen, ob sie ihnen gleich "die Mittel verschafft hat, mit denen ein "achtmonatlicher blutiger Krieg geführt ward." Wenn ein unglückliches Volk, nachdem es die Ty¬ rannei ausgesogen, noch so viel Kraft behielt, sich der Tyrannei zu widersetzen, wird ihm das als Ver¬ brechen, als Undank angerechnet! Nichts haben sie den Polen übrig gelassen; aber um für die Freiheit zu kämpfen braucht es keiner andern Waffe, als der Liebe zu ihr.
wenn ihre Unterthanen ſie nicht für ſo niederträchtig halten, daß ſie die Briefe öffne! So ſind alle Monarchien. Jede monarchiſche Rgierung will für jedes Unrecht, mit welchem ſie ihre Unterthanen verſchont, gelobt ſein; dann ſoll man ihre Gerechtigkeit preiſen. Jedes Gut, das ſie ihren Unterthanen nicht raubt, will ſie als Geſchenk betrachtet wiſſen, wofür man Dank ſchuldig ſei. Wenn ſie den Bürgern erlaubt, jedem ſo gut er es verſteht, den Weg ſeines Glückes zu verfolgen, ſeinem Wohlſtande nachzugehen, wenn ſie ja einmal nicht hindert, rühmt ſie ſich, Wohlſtand über das Land zu verbreiten und die Selbſthuldigung nimmt kein Ende. Das iſt wörtlich wahr. War doch neulich in einem Ruſſiſchen Zeitungsartikel zu leſen: „Die Polen hatten alle ihre moraliſchen und „phyſiſchen Kräfte der Regierung zu verdanken, „die ſie ſchmählich verriethen, ob ſie ihnen gleich „die Mittel verſchafft hat, mit denen ein „achtmonatlicher blutiger Krieg geführt ward.“ Wenn ein unglückliches Volk, nachdem es die Ty¬ rannei ausgeſogen, noch ſo viel Kraft behielt, ſich der Tyrannei zu widerſetzen, wird ihm das als Ver¬ brechen, als Undank angerechnet! Nichts haben ſie den Polen übrig gelaſſen; aber um für die Freiheit zu kämpfen braucht es keiner andern Waffe, als der Liebe zu ihr.
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wenn ihre Unterthanen ſie nicht für ſo niederträchtig
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Monarchien. Jede monarchiſche Rgierung will für
jedes Unrecht, mit welchem ſie ihre Unterthanen
verſchont, gelobt ſein; dann ſoll man ihre
Gerechtigkeit preiſen. Jedes Gut, das ſie ihren
Unterthanen nicht raubt, will ſie als Geſchenk
betrachtet wiſſen, wofür man Dank ſchuldig ſei.
Wenn ſie den Bürgern erlaubt, jedem ſo gut
er es verſteht, den Weg ſeines Glückes zu verfolgen,
ſeinem Wohlſtande nachzugehen, wenn ſie ja einmal
nicht hindert, rühmt ſie ſich, Wohlſtand über das
Land zu verbreiten und die Selbſthuldigung nimmt
kein Ende. Das iſt wörtlich wahr. War doch
neulich in einem Ruſſiſchen Zeitungsartikel zu leſen:
„Die Polen hatten alle ihre moraliſchen und
„phyſiſchen Kräfte der Regierung zu verdanken,
„die ſie ſchmählich verriethen, ob ſie ihnen gleich
„die Mittel verſchafft hat, mit denen ein
„achtmonatlicher blutiger Krieg geführt ward.“
Wenn ein unglückliches Volk, nachdem es die Ty¬
rannei ausgeſogen, noch ſo viel Kraft behielt, ſich
der Tyrannei zu widerſetzen, wird ihm das als Ver¬
brechen, als Undank angerechnet! Nichts haben ſie
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/24>, abgerufen am 16.07.2024.
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