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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.

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Ende der Welt und den Antipoden, wohin man zur
Entdeckung der Mitschuldigen gereist, zurückkäme,
ein ganzes Menschengeschlecht aussterben müsse.
Millionen Deutsche würde man konfrontiren, das
ganze Volk würde man zu Protokoll nehmen. Hat
man doch den unglücklichen Sand, der sein Ver¬
brechen fast öffentlich beging, der mit blutigem Dolche
auf die Straße stürzte, und die That augenblicklich
eingestand, trotz seiner schmerzlichen Wunde, ein
ganzes Jahr lang im Gefängnisse schmachten lassen!
Man wollte damals alle Patrioten hinein verflechten,
und die edelsten des Volkes zu Meuchelmördern
brandmarken.

Woher kömmt nun dieser Unterschied zwischen
Frankreich und Deutschland? In Frankreich herrscht
die öffentliche Meinung, die man wohl irre zu
führen sucht, der man aber nicht zu trotzen wagt.
Sie ist mächtiger als die Regierung und weit mächtiger
als der König. In Frankreich ist das Volk der
Staat. In Deutschland hat die öffentliche Meinung
sich noch nich geltend zu machen verstanden, darum
ist das Volk nichts; der Fürst ist der Staat, der
Fürst ist alles. Wenn unsere Fürsten noch nicht,
wie einst Ludwig XIV. mit der Reitpeitsche in der
Hand, ihre Stände auseinander gejagt, so geschah

Ende der Welt und den Antipoden, wohin man zur
Entdeckung der Mitſchuldigen gereiſt, zurückkäme,
ein ganzes Menſchengeſchlecht ausſterben müſſe.
Millionen Deutſche würde man konfrontiren, das
ganze Volk würde man zu Protokoll nehmen. Hat
man doch den unglücklichen Sand, der ſein Ver¬
brechen faſt öffentlich beging, der mit blutigem Dolche
auf die Straße ſtürzte, und die That augenblicklich
eingeſtand, trotz ſeiner ſchmerzlichen Wunde, ein
ganzes Jahr lang im Gefängniſſe ſchmachten laſſen!
Man wollte damals alle Patrioten hinein verflechten,
und die edelſten des Volkes zu Meuchelmördern
brandmarken.

Woher kömmt nun dieſer Unterſchied zwiſchen
Frankreich und Deutſchland? In Frankreich herrſcht
die öffentliche Meinung, die man wohl irre zu
führen ſucht, der man aber nicht zu trotzen wagt.
Sie iſt mächtiger als die Regierung und weit mächtiger
als der König. In Frankreich iſt das Volk der
Staat. In Deutſchland hat die öffentliche Meinung
ſich noch nich geltend zu machen verſtanden, darum
iſt das Volk nichts; der Fürſt iſt der Staat, der
Fürſt iſt alles. Wenn unſere Fürſten noch nicht,
wie einſt Ludwig XIV. mit der Reitpeitſche in der
Hand, ihre Stände auseinander gejagt, ſo geſchah

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[213/0225] Ende der Welt und den Antipoden, wohin man zur Entdeckung der Mitſchuldigen gereiſt, zurückkäme, ein ganzes Menſchengeſchlecht ausſterben müſſe. Millionen Deutſche würde man konfrontiren, das ganze Volk würde man zu Protokoll nehmen. Hat man doch den unglücklichen Sand, der ſein Ver¬ brechen faſt öffentlich beging, der mit blutigem Dolche auf die Straße ſtürzte, und die That augenblicklich eingeſtand, trotz ſeiner ſchmerzlichen Wunde, ein ganzes Jahr lang im Gefängniſſe ſchmachten laſſen! Man wollte damals alle Patrioten hinein verflechten, und die edelſten des Volkes zu Meuchelmördern brandmarken. Woher kömmt nun dieſer Unterſchied zwiſchen Frankreich und Deutſchland? In Frankreich herrſcht die öffentliche Meinung, die man wohl irre zu führen ſucht, der man aber nicht zu trotzen wagt. Sie iſt mächtiger als die Regierung und weit mächtiger als der König. In Frankreich iſt das Volk der Staat. In Deutſchland hat die öffentliche Meinung ſich noch nich geltend zu machen verſtanden, darum iſt das Volk nichts; der Fürſt iſt der Staat, der Fürſt iſt alles. Wenn unſere Fürſten noch nicht, wie einſt Ludwig XIV. mit der Reitpeitſche in der Hand, ihre Stände auseinander gejagt, ſo geſchah

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/225>, abgerufen am 24.11.2024.