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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.

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wäre geboren um regiert zu werden. Darin ist der
Wahnsinn. Sie können täglich in der Zeitung lesen
was in Baiern geschieht. Baiern in der Schule
Oesterreichischer, Preußen in der Schule Russischer
Tyrannei unterrichtet, jagen uns von Süd und Nord
ihre unglücksschwangern Wolken zu, und bald wird
das Verderben auf das Herz des Vaterlandes nieder¬
fahren und der Haselstock wird die Knute küssen und
jeden treffen der sich seiner Zärtlichkeit in den Weg
stellt. Ein Baierischer Handelsmann, der außer Lan¬
des ist, wird vorgeladen, sich "gegen die Anschul¬
"digung der Hülfsleistung zum entfernten
"Versuche des Hochverraths" zu verantworten!
Wäre das nicht so schrecklich, sollte man nicht glau¬
ben, eine Scene aus den femmes savantes oder den
Precieuses ridicules zu lesen? Ein Anderer, ein
Zeitungsredakteur, der sich geflüchtet, wurde wegen
eines Preßvergehens, außer der knienden Abbitte vor
dem Bilde des Königs und einer dreijährigen Zwangs¬
arbeitshaus-Strafe, noch verurtheilt: während seiner
dreijährigen Strafzeit jedes Jahr den Tag vom drit¬
ten Juli in einem einsamen Gefängnisse zuzubringen,
und während vierzehen Tage im Monat Juli, ab¬
wechselnd 3 Tage bei Wasser und Brod zu fasten.
Als ich das deutsch las, hatte ich es ganz mißver¬
standen und so gedeutet: Der Gefangene bekomme
drei Tage blos Wasser ohne Brod und drei Tage

wäre geboren um regiert zu werden. Darin iſt der
Wahnſinn. Sie können täglich in der Zeitung leſen
was in Baiern geſchieht. Baiern in der Schule
Oeſterreichiſcher, Preußen in der Schule Ruſſiſcher
Tyrannei unterrichtet, jagen uns von Süd und Nord
ihre unglücksſchwangern Wolken zu, und bald wird
das Verderben auf das Herz des Vaterlandes nieder¬
fahren und der Haſelſtock wird die Knute küſſen und
jeden treffen der ſich ſeiner Zärtlichkeit in den Weg
ſtellt. Ein Baieriſcher Handelsmann, der außer Lan¬
des iſt, wird vorgeladen, ſich „gegen die Anſchul¬
digung der Hülfsleiſtung zum entfernten
Verſuche des Hochverraths“ zu verantworten!
Wäre das nicht ſo ſchrecklich, ſollte man nicht glau¬
ben, eine Scene aus den femmes savantes oder den
Précieuses ridicules zu leſen? Ein Anderer, ein
Zeitungsredakteur, der ſich geflüchtet, wurde wegen
eines Preßvergehens, außer der knienden Abbitte vor
dem Bilde des Königs und einer dreijährigen Zwangs¬
arbeitshaus-Strafe, noch verurtheilt: während ſeiner
dreijährigen Strafzeit jedes Jahr den Tag vom drit¬
ten Juli in einem einſamen Gefängniſſe zuzubringen,
und während vierzehen Tage im Monat Juli, ab¬
wechſelnd 3 Tage bei Waſſer und Brod zu faſten.
Als ich das deutſch las, hatte ich es ganz mißver¬
ſtanden und ſo gedeutet: Der Gefangene bekomme
drei Tage blos Waſſer ohne Brod und drei Tage

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[207/0219] wäre geboren um regiert zu werden. Darin iſt der Wahnſinn. Sie können täglich in der Zeitung leſen was in Baiern geſchieht. Baiern in der Schule Oeſterreichiſcher, Preußen in der Schule Ruſſiſcher Tyrannei unterrichtet, jagen uns von Süd und Nord ihre unglücksſchwangern Wolken zu, und bald wird das Verderben auf das Herz des Vaterlandes nieder¬ fahren und der Haſelſtock wird die Knute küſſen und jeden treffen der ſich ſeiner Zärtlichkeit in den Weg ſtellt. Ein Baieriſcher Handelsmann, der außer Lan¬ des iſt, wird vorgeladen, ſich „gegen die Anſchul¬ „digung der Hülfsleiſtung zum entfernten „Verſuche des Hochverraths“ zu verantworten! Wäre das nicht ſo ſchrecklich, ſollte man nicht glau¬ ben, eine Scene aus den femmes savantes oder den Précieuses ridicules zu leſen? Ein Anderer, ein Zeitungsredakteur, der ſich geflüchtet, wurde wegen eines Preßvergehens, außer der knienden Abbitte vor dem Bilde des Königs und einer dreijährigen Zwangs¬ arbeitshaus-Strafe, noch verurtheilt: während ſeiner dreijährigen Strafzeit jedes Jahr den Tag vom drit¬ ten Juli in einem einſamen Gefängniſſe zuzubringen, und während vierzehen Tage im Monat Juli, ab¬ wechſelnd 3 Tage bei Waſſer und Brod zu faſten. Als ich das deutſch las, hatte ich es ganz mißver¬ ſtanden und ſo gedeutet: Der Gefangene bekomme drei Tage blos Waſſer ohne Brod und drei Tage

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/219>, abgerufen am 24.11.2024.