Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.zu retten, mit ihren Weibern und Kindern Hunger Und die bessern unter den deutschen Volksver¬ zu retten, mit ihren Weibern und Kindern Hunger Und die beſſern unter den deutſchen Volksver¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0211" n="199"/> zu retten, mit ihren Weibern und Kindern Hunger<lb/> ſterben? Ich ſage nein, das fordere ich nicht, ich<lb/> erwarte das nicht immer. Aber wie vergißt man<lb/> ſich nie, wie iſt man auf ſeinen Vortheil, bei Tage<lb/> und bei Nacht immer ſo wachſam, daß Einem nie¬<lb/> mals die Tugend überraſcht, und man mit Aufopferung<lb/> eine ſchmachvolle Beleidigung abwehrt? Erſt vor<lb/> einigen Tagen wurden hier zwei Staats-Beamte,<lb/> weil ſie den Tag vorher als Deputirte gegen die<lb/> Miniſter geſtimmt, ihrer Stellen entſetzt. Gleich in<lb/> der folgenden Sitzung erhoben ſich darauf eine Menge<lb/> miniſterieller Deputirten, die auch Beamte waren,<lb/> und eiferten auf das heftigſte gegen jene Abſetzungen,<lb/> gegen jenen ſchändlichen Seelenverkauf, den die Re¬<lb/> gierung von den Staatsbeamten fordert. Vielleicht<lb/> bereuten alle dieſe Männer ihre edle Aufwallung<lb/> ſchon eine Stunde ſpäter; vielleicht als ſie nach<lb/> Hauſe kamen, mit ihrer Familie um den vollen Tiſch<lb/> ſaßen, riefen ſie ſchmerzlich aus: morgen müſſen wir<lb/> hungern! und verwünſchten dann ihre Uebereilung.<lb/> Vielleicht war es kein ruhiges Pflichtgefühl, das ſie<lb/> ſo handeln ließ, ſondern nur eine Phantaſie des<lb/> Tugendrauſches. Doch genug, ſie vergaßen ſich.<lb/> Wehe aber denen die nie vergeſſen, daß ſie ſchwache<lb/> Menſchen ſind — Gott wird ſie vergeſſen!</p><lb/> <p>Und die beſſern unter den deutſchen Volksver¬<lb/> tretern, die Unglückſeligen! — ſie verſtehen den<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [199/0211]
zu retten, mit ihren Weibern und Kindern Hunger
ſterben? Ich ſage nein, das fordere ich nicht, ich
erwarte das nicht immer. Aber wie vergißt man
ſich nie, wie iſt man auf ſeinen Vortheil, bei Tage
und bei Nacht immer ſo wachſam, daß Einem nie¬
mals die Tugend überraſcht, und man mit Aufopferung
eine ſchmachvolle Beleidigung abwehrt? Erſt vor
einigen Tagen wurden hier zwei Staats-Beamte,
weil ſie den Tag vorher als Deputirte gegen die
Miniſter geſtimmt, ihrer Stellen entſetzt. Gleich in
der folgenden Sitzung erhoben ſich darauf eine Menge
miniſterieller Deputirten, die auch Beamte waren,
und eiferten auf das heftigſte gegen jene Abſetzungen,
gegen jenen ſchändlichen Seelenverkauf, den die Re¬
gierung von den Staatsbeamten fordert. Vielleicht
bereuten alle dieſe Männer ihre edle Aufwallung
ſchon eine Stunde ſpäter; vielleicht als ſie nach
Hauſe kamen, mit ihrer Familie um den vollen Tiſch
ſaßen, riefen ſie ſchmerzlich aus: morgen müſſen wir
hungern! und verwünſchten dann ihre Uebereilung.
Vielleicht war es kein ruhiges Pflichtgefühl, das ſie
ſo handeln ließ, ſondern nur eine Phantaſie des
Tugendrauſches. Doch genug, ſie vergaßen ſich.
Wehe aber denen die nie vergeſſen, daß ſie ſchwache
Menſchen ſind — Gott wird ſie vergeſſen!
Und die beſſern unter den deutſchen Volksver¬
tretern, die Unglückſeligen! — ſie verſtehen den
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