Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Es hieß dort nach Anführung der unerhörtesten Gräuel:
"Durch das ganze Gesetz blinkt ein Geist
"der Milde und der Versöhnung durch,
"vorzüglich aber das Bestreben des Staats,
"die Juden wieder zu dem alten Satze zurück¬
"zuführen: im Schweiße deines Angesichts
"sollst du dein Brod essen." Diese Schwei߬
treibende Eigenschaft der Judenordnung ist das
wahre Kennzeichen jeder ächt deutschen Gesetzgebung.
Was man aber mit diesem Carnewals-Spaße
bezweckte: ob es ein kleiner Luftballon war, den
man, um den Wind zu erforschen dem großen vor¬
aussteigen ließ? Ob man in Preußen oder einem
andern Staate wirklich daran denkt, die Juden in
den Status quo des fünfzehnten Jahrhunderts zurück¬
zuschnellen, und man vorher versuchen wollte, ob sie
noch Elastizität genug haben sich das gefallen zu
lassen? Ob man die Juden, und aus welchem
Grunde nur ängstigen wollte? Ob es eine Wacht¬
parade war, das deutsche Volk überhaupt in Schrecken
zu setzen? Ob der Entwurf, wie ich mich früher
einmal ausgedrückt, ein Ochse war, den man
der Boa-Schlange der deutschen Revolution
in den Rachen jagen wollte
, um sie wehrlos
zu machen und dann zu tödten
? Oder was
es sonst sein möchte -- das kann ich nicht errathen.
Doch es wird kund werden früher oder später.

Es hieß dort nach Anführung der unerhörteſten Gräuel:
Durch das ganze Geſetz blinkt ein Geiſt
der Milde und der Verſöhnung durch,
vorzüglich aber das Beſtreben des Staats,
die Juden wieder zu dem alten Satze zurück¬
zuführen: im Schweiße deines Angeſichts
ſollſt du dein Brod eſſen.“ Dieſe Schwei߬
treibende Eigenſchaft der Judenordnung iſt das
wahre Kennzeichen jeder ächt deutſchen Geſetzgebung.
Was man aber mit dieſem Carnewals-Spaße
bezweckte: ob es ein kleiner Luftballon war, den
man, um den Wind zu erforſchen dem großen vor¬
ausſteigen ließ? Ob man in Preußen oder einem
andern Staate wirklich daran denkt, die Juden in
den Status quo des fünfzehnten Jahrhunderts zurück¬
zuſchnellen, und man vorher verſuchen wollte, ob ſie
noch Elaſtizität genug haben ſich das gefallen zu
laſſen? Ob man die Juden, und aus welchem
Grunde nur ängſtigen wollte? Ob es eine Wacht¬
parade war, das deutſche Volk überhaupt in Schrecken
zu ſetzen? Ob der Entwurf, wie ich mich früher
einmal ausgedrückt, ein Ochſe war, den man
der Boa-Schlange der deutſchen Revolution
in den Rachen jagen wollte
, um ſie wehrlos
zu machen und dann zu tödten
? Oder was
es ſonſt ſein möchte — das kann ich nicht errathen.
Doch es wird kund werden früher oder ſpäter.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <p><pb facs="#f0182" n="170"/>
Es hieß dort nach Anführung der unerhörte&#x017F;ten Gräuel:<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">Durch das ganze Ge&#x017F;etz blinkt ein Gei&#x017F;t</hi><lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">der Milde und der Ver&#x017F;öhnung durch</hi>,<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">vorzüglich aber das Be&#x017F;treben des Staats</hi>,<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">die Juden wieder zu dem alten Satze zurück¬</hi><lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">zuführen</hi>: <hi rendition="#g">im Schweiße deines Ange&#x017F;ichts</hi><lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">&#x017F;oll&#x017F;t du dein Brod e&#x017F;&#x017F;en</hi>.&#x201C; Die&#x017F;e Schwei߬<lb/>
treibende Eigen&#x017F;chaft der Judenordnung i&#x017F;t das<lb/>
wahre Kennzeichen jeder ächt deut&#x017F;chen Ge&#x017F;etzgebung.<lb/>
Was man aber mit die&#x017F;em Carnewals-Spaße<lb/>
bezweckte: ob es ein kleiner Luftballon war, den<lb/>
man, um den Wind zu erfor&#x017F;chen dem großen vor¬<lb/>
aus&#x017F;teigen ließ? Ob man in Preußen oder einem<lb/>
andern Staate wirklich daran denkt, die Juden in<lb/>
den <hi rendition="#aq">Status quo</hi> des fünfzehnten Jahrhunderts zurück¬<lb/>
zu&#x017F;chnellen, und man vorher ver&#x017F;uchen wollte, ob &#x017F;ie<lb/>
noch Ela&#x017F;tizität genug haben &#x017F;ich das gefallen zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en? Ob man die Juden, und aus welchem<lb/>
Grunde nur äng&#x017F;tigen wollte? Ob es eine Wacht¬<lb/>
parade war, das deut&#x017F;che Volk überhaupt in Schrecken<lb/>
zu &#x017F;etzen? Ob der Entwurf, wie ich mich früher<lb/>
einmal ausgedrückt, <hi rendition="#g">ein Och&#x017F;e war</hi>, <hi rendition="#g">den man<lb/>
der Boa-Schlange der deut&#x017F;chen Revolution<lb/>
in den Rachen jagen wollte</hi>, <hi rendition="#g">um &#x017F;ie wehrlos<lb/>
zu machen und dann zu tödten</hi>? Oder was<lb/>
es &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;ein möchte &#x2014; das kann ich nicht errathen.<lb/>
Doch es wird kund werden früher oder &#x017F;päter.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0182] Es hieß dort nach Anführung der unerhörteſten Gräuel: „Durch das ganze Geſetz blinkt ein Geiſt „der Milde und der Verſöhnung durch, „vorzüglich aber das Beſtreben des Staats, „die Juden wieder zu dem alten Satze zurück¬ „zuführen: im Schweiße deines Angeſichts „ſollſt du dein Brod eſſen.“ Dieſe Schwei߬ treibende Eigenſchaft der Judenordnung iſt das wahre Kennzeichen jeder ächt deutſchen Geſetzgebung. Was man aber mit dieſem Carnewals-Spaße bezweckte: ob es ein kleiner Luftballon war, den man, um den Wind zu erforſchen dem großen vor¬ ausſteigen ließ? Ob man in Preußen oder einem andern Staate wirklich daran denkt, die Juden in den Status quo des fünfzehnten Jahrhunderts zurück¬ zuſchnellen, und man vorher verſuchen wollte, ob ſie noch Elaſtizität genug haben ſich das gefallen zu laſſen? Ob man die Juden, und aus welchem Grunde nur ängſtigen wollte? Ob es eine Wacht¬ parade war, das deutſche Volk überhaupt in Schrecken zu ſetzen? Ob der Entwurf, wie ich mich früher einmal ausgedrückt, ein Ochſe war, den man der Boa-Schlange der deutſchen Revolution in den Rachen jagen wollte, um ſie wehrlos zu machen und dann zu tödten? Oder was es ſonſt ſein möchte — das kann ich nicht errathen. Doch es wird kund werden früher oder ſpäter.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/182
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/182>, abgerufen am 23.11.2024.