burg gethan. Er war großmüthig, gerührt, roman¬ tisch, empfindlich. Er schmollte mit der Regierung wie mit einem Liebchen. Er schrieb seinen Commit¬ tenten einen gerührten Brief: er entsage ihrer Wahl; denn durch deren Annahme würde er einen falschen Grundsatz, den die Minister geltend machen wollen, anerkennen und das wolle er nicht. Er verlasse Stuttgart, wünsche ihnen wohl zu leben, danke ihnen noch einmal herzlich und vertraue übrigens auf Gott. Wäre Herr von Wangenheim in die Kammer getre¬ ten, hätte er der Opposition die wenigen Stimmen die ihr zur Majorität noch fehlen, durch seinen Ein¬ fluß zuführen können. Aber um eines Paragraphs seines moralisch-politischen Kompendiums willen, ver¬ läßt er das Schlachtfeld, mögen Volk und Freiheit darüber ganz zu Grunde gehen. Möchte man sich da nicht die Haare aus dem Kopfe reißen? Ein Edelmann und doch edel! Ein Minister und doch großmüthig! Ein Diplomat und doch romantisch! So oft ich mit Schmerz und Unwillen wahrnahm, daß unsere deutschen bürgerlichen Deputirten, der Macht der Regierungen, die ein ungeheures Zeug¬ haus von Listen und Schelmereien besitzen, worin alle Waffen aufgehäuft liegen, welche geistliche und weltliche Tyrannei seit dreitausend Jahren geschmie¬ det haben, von den Leviten bis zu den Jesuiten, von dem Römischen Senate bis zu dem Venetianischen,
burg gethan. Er war großmüthig, gerührt, roman¬ tiſch, empfindlich. Er ſchmollte mit der Regierung wie mit einem Liebchen. Er ſchrieb ſeinen Commit¬ tenten einen gerührten Brief: er entſage ihrer Wahl; denn durch deren Annahme würde er einen falſchen Grundſatz, den die Miniſter geltend machen wollen, anerkennen und das wolle er nicht. Er verlaſſe Stuttgart, wünſche ihnen wohl zu leben, danke ihnen noch einmal herzlich und vertraue übrigens auf Gott. Wäre Herr von Wangenheim in die Kammer getre¬ ten, hätte er der Oppoſition die wenigen Stimmen die ihr zur Majorität noch fehlen, durch ſeinen Ein¬ fluß zuführen können. Aber um eines Paragraphs ſeines moraliſch-politiſchen Kompendiums willen, ver¬ läßt er das Schlachtfeld, mögen Volk und Freiheit darüber ganz zu Grunde gehen. Möchte man ſich da nicht die Haare aus dem Kopfe reißen? Ein Edelmann und doch edel! Ein Miniſter und doch großmüthig! Ein Diplomat und doch romantiſch! So oft ich mit Schmerz und Unwillen wahrnahm, daß unſere deutſchen bürgerlichen Deputirten, der Macht der Regierungen, die ein ungeheures Zeug¬ haus von Liſten und Schelmereien beſitzen, worin alle Waffen aufgehäuft liegen, welche geiſtliche und weltliche Tyrannei ſeit dreitauſend Jahren geſchmie¬ det haben, von den Leviten bis zu den Jeſuiten, von dem Römiſchen Senate bis zu dem Venetianiſchen,
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burg gethan. Er war großmüthig, gerührt, roman¬
tiſch, empfindlich. Er ſchmollte mit der Regierung
wie mit einem Liebchen. Er ſchrieb ſeinen Commit¬
tenten einen gerührten Brief: er entſage ihrer Wahl;
denn durch deren Annahme würde er einen falſchen
Grundſatz, den die Miniſter geltend machen wollen,
anerkennen und das wolle er nicht. Er verlaſſe
Stuttgart, wünſche ihnen wohl zu leben, danke ihnen
noch einmal herzlich und vertraue übrigens auf Gott.
Wäre Herr von Wangenheim in die Kammer getre¬
ten, hätte er der Oppoſition die wenigen Stimmen
die ihr zur Majorität noch fehlen, durch ſeinen Ein¬
fluß zuführen können. Aber um eines Paragraphs
ſeines moraliſch-politiſchen Kompendiums willen, ver¬
läßt er das Schlachtfeld, mögen Volk und Freiheit
darüber ganz zu Grunde gehen. Möchte man ſich
da nicht die Haare aus dem Kopfe reißen? Ein
Edelmann und doch edel! Ein Miniſter und doch
großmüthig! Ein Diplomat und doch romantiſch!
So oft ich mit Schmerz und Unwillen wahrnahm,
daß unſere deutſchen bürgerlichen Deputirten, der
Macht der Regierungen, die ein ungeheures Zeug¬
haus von Liſten und Schelmereien beſitzen, worin
alle Waffen aufgehäuft liegen, welche geiſtliche und
weltliche Tyrannei ſeit dreitauſend Jahren geſchmie¬
det haben, von den Leviten bis zu den Jeſuiten, von
dem Römiſchen Senate bis zu dem Venetianiſchen,
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/176>, abgerufen am 17.02.2025.
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