seiner Vorgesetzten haben und diese Erlaubniß wird oft verweigert. Welche Feinheit dahinter steckt begreife ich nicht. Nun wurde Jordan, Professor in Mar¬ burg, einer der edelsten und muthigsten freisinnigen Männer Deutschlands, zum Deputirten in die Hessi¬ schen Stände gewählt. Die Minister erklärten, sie erlaubten Jordan nicht seine Stelle anzutreten, und sie verboten ihm nach Cassel zu kommen. Jordan sagte: nach der Verfassung brauche ein gewählter Staatsbeamter nur die Erlaubniß seines unmittel¬ baren Vorgesetzten. Dieser sein Vorgesetzter sei die Universität die ihn gewählt habe; die Erlaubniß des Ministers brauche er nicht. Jordan reiste nach Cassel, und die Mehrheit der Kammer entschied sich für ihn. Der Minister ließ Jordan den Befehl zu¬ kommen, binnen 24 Stunden bei 20 Thaler Strafe Cassel zu verlassen ... Stellen Sie sich vor: wenn hier ein Minister die Frechheit hätte, einem Deputirten bei 50 Franken Strafe den Be¬ fehl zukommen zu lassen, binnen 24 Stunden Paris zu verlassen! In Anklage-Zustand versetzte man den Narren nicht; aber man schickte ihn augenblicklich in einer Zwangsweste gekleidet nach Charenton. Aber unsere deutschen Philister hören so etwas erzählen, ohne daß sie sich darüber echauffiren, ja nicht einmal die Pfeife geht ihnen darüber aus. Gott erhalte mir meinen König Louis Philipp!
ſeiner Vorgeſetzten haben und dieſe Erlaubniß wird oft verweigert. Welche Feinheit dahinter ſteckt begreife ich nicht. Nun wurde Jordan, Profeſſor in Mar¬ burg, einer der edelſten und muthigſten freiſinnigen Männer Deutſchlands, zum Deputirten in die Heſſi¬ ſchen Stände gewählt. Die Miniſter erklärten, ſie erlaubten Jordan nicht ſeine Stelle anzutreten, und ſie verboten ihm nach Caſſel zu kommen. Jordan ſagte: nach der Verfaſſung brauche ein gewählter Staatsbeamter nur die Erlaubniß ſeines unmittel¬ baren Vorgeſetzten. Dieſer ſein Vorgeſetzter ſei die Univerſität die ihn gewählt habe; die Erlaubniß des Miniſters brauche er nicht. Jordan reiſte nach Caſſel, und die Mehrheit der Kammer entſchied ſich für ihn. Der Miniſter ließ Jordan den Befehl zu¬ kommen, binnen 24 Stunden bei 20 Thaler Strafe Caſſel zu verlaſſen ... Stellen Sie ſich vor: wenn hier ein Miniſter die Frechheit hätte, einem Deputirten bei 50 Franken Strafe den Be¬ fehl zukommen zu laſſen, binnen 24 Stunden Paris zu verlaſſen! In Anklage-Zuſtand verſetzte man den Narren nicht; aber man ſchickte ihn augenblicklich in einer Zwangsweſte gekleidet nach Charenton. Aber unſere deutſchen Philiſter hören ſo etwas erzählen, ohne daß ſie ſich darüber echauffiren, ja nicht einmal die Pfeife geht ihnen darüber aus. Gott erhalte mir meinen König Louis Philipp!
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oft verweigert. Welche Feinheit dahinter ſteckt begreife
ich nicht. Nun wurde Jordan, Profeſſor in Mar¬
burg, einer der edelſten und muthigſten freiſinnigen
Männer Deutſchlands, zum Deputirten in die Heſſi¬
ſchen Stände gewählt. Die Miniſter erklärten, ſie
erlaubten Jordan nicht ſeine Stelle anzutreten, und
ſie verboten ihm nach Caſſel zu kommen. Jordan
ſagte: nach der Verfaſſung brauche ein gewählter
Staatsbeamter nur die Erlaubniß ſeines unmittel¬
baren Vorgeſetzten. Dieſer ſein Vorgeſetzter ſei die
Univerſität die ihn gewählt habe; die Erlaubniß des
Miniſters brauche er nicht. Jordan reiſte nach
Caſſel, und die Mehrheit der Kammer entſchied ſich
für ihn. Der Miniſter ließ Jordan den Befehl zu¬
kommen, binnen 24 Stunden bei 20 Thaler
Strafe Caſſel zu verlaſſen ... Stellen Sie
ſich vor: wenn hier ein Miniſter die Frechheit hätte,
einem Deputirten bei 50 Franken Strafe den Be¬
fehl zukommen zu laſſen, binnen 24 Stunden Paris
zu verlaſſen! In Anklage-Zuſtand verſetzte man den
Narren nicht; aber man ſchickte ihn augenblicklich
in einer Zwangsweſte gekleidet nach Charenton.
Aber unſere deutſchen Philiſter hören ſo etwas
erzählen, ohne daß ſie ſich darüber echauffiren, ja
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/167>, abgerufen am 16.07.2024.
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