einem Tage des blutigsten Kampfes ein Knabe, der auf dem Schlachtfelde nach Schmetterlingen jagt, mir zwischen die Beine kömmt; wenn an einem Tage der höchsten Noth, wo wir heiß zu Gott beten, ein junger Geck uns zur Seite, in der Kirche nichts sieht als die schönen Mädchen, und mit ihnen lieb¬ äugelt und flüstert -- so darf uns das, unbeschadet unserer Philosophie und Menschlichkeit, wohl ärgerlich machen.
Heine ist ein Künstler, ein Dichter, und zur allgemeinsten Anerkennung fehlt ihm nur noch seine eigne. Weil er oft noch etwas anders sein will als ein Dichter, verliert er sich oft. Wem wie ihm, die Form das höchste ist, dem muß sie auch das einzige bleiben; denn sobald er den Rand übersteigt fließt er in's Schrankenlose hinab, und es trinkt ihn der Sand. Wer die Kunst als seine Gottheit verehrt, und je nach Laune auch manches Gebet an die Natur richtet, der frevelt gegen Kunst und Natur zugleich. Heine bettelt der Natur ihren Nektar und Blüthenstaub ab, und bauet mit bildendem Wachse der Kunst ihre Zellen. Aber er bildet die Zelle nicht, daß sie den Honig bewahre, sondern sammelt den Honig, damit die Zelle auszufüllen. Darum rührt er auch nicht wenn er weint; denn man weiß,
einem Tage des blutigſten Kampfes ein Knabe, der auf dem Schlachtfelde nach Schmetterlingen jagt, mir zwiſchen die Beine kömmt; wenn an einem Tage der höchſten Noth, wo wir heiß zu Gott beten, ein junger Geck uns zur Seite, in der Kirche nichts ſieht als die ſchönen Mädchen, und mit ihnen lieb¬ äugelt und flüſtert — ſo darf uns das, unbeſchadet unſerer Philoſophie und Menſchlichkeit, wohl ärgerlich machen.
Heine iſt ein Künſtler, ein Dichter, und zur allgemeinſten Anerkennung fehlt ihm nur noch ſeine eigne. Weil er oft noch etwas anders ſein will als ein Dichter, verliert er ſich oft. Wem wie ihm, die Form das höchſte iſt, dem muß ſie auch das einzige bleiben; denn ſobald er den Rand überſteigt fließt er in's Schrankenloſe hinab, und es trinkt ihn der Sand. Wer die Kunſt als ſeine Gottheit verehrt, und je nach Laune auch manches Gebet an die Natur richtet, der frevelt gegen Kunſt und Natur zugleich. Heine bettelt der Natur ihren Nektar und Blüthenſtaub ab, und bauet mit bildendem Wachſe der Kunſt ihre Zellen. Aber er bildet die Zelle nicht, daß ſie den Honig bewahre, ſondern ſammelt den Honig, damit die Zelle auszufüllen. Darum rührt er auch nicht wenn er weint; denn man weiß,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0149"n="137"/>
einem Tage des blutigſten Kampfes ein Knabe, der<lb/>
auf dem Schlachtfelde nach Schmetterlingen jagt,<lb/>
mir zwiſchen die Beine kömmt; wenn an einem<lb/>
Tage der höchſten Noth, wo wir heiß zu Gott beten,<lb/>
ein junger Geck uns zur Seite, in der Kirche nichts<lb/>ſieht als die ſchönen Mädchen, und mit ihnen lieb¬<lb/>
äugelt und flüſtert —ſo darf uns das, unbeſchadet<lb/>
unſerer Philoſophie und Menſchlichkeit, wohl ärgerlich<lb/>
machen.</p><lb/><p>Heine iſt ein Künſtler, ein Dichter, und zur<lb/>
allgemeinſten Anerkennung fehlt ihm nur noch ſeine<lb/>
eigne. Weil er oft noch etwas anders ſein will<lb/>
als ein Dichter, verliert er ſich oft. Wem wie ihm,<lb/>
die Form das höchſte iſt, dem muß ſie auch das<lb/>
einzige bleiben; denn ſobald er den Rand überſteigt<lb/>
fließt er in's Schrankenloſe hinab, und es trinkt<lb/>
ihn der Sand. Wer die Kunſt als ſeine Gottheit<lb/>
verehrt, und je nach Laune auch manches Gebet an<lb/>
die Natur richtet, der frevelt gegen Kunſt und Natur<lb/>
zugleich. Heine bettelt der Natur ihren Nektar und<lb/>
Blüthenſtaub ab, und bauet mit bildendem Wachſe<lb/>
der Kunſt ihre Zellen. Aber er bildet die Zelle<lb/>
nicht, daß ſie den Honig bewahre, ſondern ſammelt<lb/>
den Honig, damit die Zelle auszufüllen. Darum<lb/>
rührt er auch nicht wenn er weint; denn man weiß,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[137/0149]
einem Tage des blutigſten Kampfes ein Knabe, der
auf dem Schlachtfelde nach Schmetterlingen jagt,
mir zwiſchen die Beine kömmt; wenn an einem
Tage der höchſten Noth, wo wir heiß zu Gott beten,
ein junger Geck uns zur Seite, in der Kirche nichts
ſieht als die ſchönen Mädchen, und mit ihnen lieb¬
äugelt und flüſtert — ſo darf uns das, unbeſchadet
unſerer Philoſophie und Menſchlichkeit, wohl ärgerlich
machen.
Heine iſt ein Künſtler, ein Dichter, und zur
allgemeinſten Anerkennung fehlt ihm nur noch ſeine
eigne. Weil er oft noch etwas anders ſein will
als ein Dichter, verliert er ſich oft. Wem wie ihm,
die Form das höchſte iſt, dem muß ſie auch das
einzige bleiben; denn ſobald er den Rand überſteigt
fließt er in's Schrankenloſe hinab, und es trinkt
ihn der Sand. Wer die Kunſt als ſeine Gottheit
verehrt, und je nach Laune auch manches Gebet an
die Natur richtet, der frevelt gegen Kunſt und Natur
zugleich. Heine bettelt der Natur ihren Nektar und
Blüthenſtaub ab, und bauet mit bildendem Wachſe
der Kunſt ihre Zellen. Aber er bildet die Zelle
nicht, daß ſie den Honig bewahre, ſondern ſammelt
den Honig, damit die Zelle auszufüllen. Darum
rührt er auch nicht wenn er weint; denn man weiß,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/149>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.