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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.

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Flasche, und überreicht ihn ihrem Sohne. Der
Herzog verläßt höhnisch das Zimmer. Lucrecia
schreit ihrem Sohne zu: Ihr seid vergiftet; um
Gotteswillen trinkt schnell aus diesem Fläschchen;
es ist Gegengift, ein Tropfen und ihr seid gerettet.
Aber Gennaro weigert sich zu trinken. Er sagt
ihr: es sei ihm wohl bekannt, wie sie einst einen
Fürsten vergiftet, indem sie ihm glauben gemacht, er
sei es schon, und ihm im Gegengift ein Gift gegeben.
Lucrecia verzweifelt über dieses verschuldete Mistrauen;
aber die Mutterliebe giebt ihr Beredsamkeit, Gennaro
glaubt und trinkt. Jetzt solle er schnell aus Ferrara
eilen. Aber der unglückliche Jüngling läßt sich von
seinen Freunden aufhalten und sich Abends zu dem
Giftmahle verlocken. Dort, wie wir erfahren, stirbt
er, nachdem er seine Mutter getödtet.

Und wozu, wozu alle diese Greuel? Außer
den Schandthaten, die auf der Bühne unter unsern
Augen geschehen, werden auch alle die erzählt, welche
die Borgias seit jeher begangen. Warum die Kunst
zur Schinderin, die Bühne zu einem Schindanger
machen? Victor Hugo sagt in der Vorrede zum
Drama: "La paternite sanctifiant la difformite
"physique, viola le roi s'amuse: la maternite
"purifiant la difformite morale, voila
Lucrece
" Borgia ... a la chose la plus hideuse
"melez une idee religieuse, elle deviendra

Flaſche, und überreicht ihn ihrem Sohne. Der
Herzog verläßt höhniſch das Zimmer. Lucrecia
ſchreit ihrem Sohne zu: Ihr ſeid vergiftet; um
Gotteswillen trinkt ſchnell aus dieſem Fläſchchen;
es iſt Gegengift, ein Tropfen und ihr ſeid gerettet.
Aber Gennaro weigert ſich zu trinken. Er ſagt
ihr: es ſei ihm wohl bekannt, wie ſie einſt einen
Fürſten vergiftet, indem ſie ihm glauben gemacht, er
ſei es ſchon, und ihm im Gegengift ein Gift gegeben.
Lucrecia verzweifelt über dieſes verſchuldete Mistrauen;
aber die Mutterliebe giebt ihr Beredſamkeit, Gennaro
glaubt und trinkt. Jetzt ſolle er ſchnell aus Ferrara
eilen. Aber der unglückliche Jüngling läßt ſich von
ſeinen Freunden aufhalten und ſich Abends zu dem
Giftmahle verlocken. Dort, wie wir erfahren, ſtirbt
er, nachdem er ſeine Mutter getödtet.

Und wozu, wozu alle dieſe Greuel? Außer
den Schandthaten, die auf der Bühne unter unſern
Augen geſchehen, werden auch alle die erzählt, welche
die Borgias ſeit jeher begangen. Warum die Kunſt
zur Schinderin, die Bühne zu einem Schindanger
machen? Victor Hugo ſagt in der Vorrede zum
Drama: „La paternité sanctifiant la difformité
„physique, violà le roi s'amuse: la maternité
„purifiant la difformité morale, voilà
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[130/0142] Flaſche, und überreicht ihn ihrem Sohne. Der Herzog verläßt höhniſch das Zimmer. Lucrecia ſchreit ihrem Sohne zu: Ihr ſeid vergiftet; um Gotteswillen trinkt ſchnell aus dieſem Fläſchchen; es iſt Gegengift, ein Tropfen und ihr ſeid gerettet. Aber Gennaro weigert ſich zu trinken. Er ſagt ihr: es ſei ihm wohl bekannt, wie ſie einſt einen Fürſten vergiftet, indem ſie ihm glauben gemacht, er ſei es ſchon, und ihm im Gegengift ein Gift gegeben. Lucrecia verzweifelt über dieſes verſchuldete Mistrauen; aber die Mutterliebe giebt ihr Beredſamkeit, Gennaro glaubt und trinkt. Jetzt ſolle er ſchnell aus Ferrara eilen. Aber der unglückliche Jüngling läßt ſich von ſeinen Freunden aufhalten und ſich Abends zu dem Giftmahle verlocken. Dort, wie wir erfahren, ſtirbt er, nachdem er ſeine Mutter getödtet. Und wozu, wozu alle dieſe Greuel? Außer den Schandthaten, die auf der Bühne unter unſern Augen geſchehen, werden auch alle die erzählt, welche die Borgias ſeit jeher begangen. Warum die Kunſt zur Schinderin, die Bühne zu einem Schindanger machen? Victor Hugo ſagt in der Vorrede zum Drama: „La paternité sanctifiant la difformité „physique, violà le roi s'amuse: la maternité „purifiant la difformité morale, voilà Lucrece „ Borgia ... à la chose la plus hideuse „mêlez une idée réligieuse, elle deviendra

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/142>, abgerufen am 28.11.2024.