Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.auszureden. Er erklärt ihm sehr vernünftig und auszureden. Er erklärt ihm ſehr vernünftig und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0072" n="60"/> auszureden. Er erklärt ihm ſehr vernünftig und<lb/> pſychologiſch, woher es komme, daß er glaube den<lb/> Geiſt ſeines Vaters zu ſehen. Kürzlich wäre ein<lb/> König von England geſtorben und, dem Gerüchte<lb/> nach, am Gifte das ihm ſeine Gemahlin gereicht.<lb/> Ihn, Hamlet, habe dieſe Erzählung ſehr erſchüttert,<lb/> er denke von Morgens bis Abends daran, und wo¬<lb/> mit ſich der Menſch bei Tage beſchäftige, das komme<lb/> ihm im Traume vor. Der Schauſpieler Ligier,<lb/> Talma's Nachfolger — im Amte, aber nicht im<lb/> Gehalte — hat den Hamlet auf franzöſiſche Art gut<lb/> genug geſpielt. Aber mir ward ganz übel dabei;<lb/> es war eine Lazareth- und Tollhausſcene die zwei<lb/> Stunden gedauert. Als ich nach dem Schauſpiel<lb/> im Foyer Voltaires Büſte betrachtete, da ward mir<lb/> Dücis Hamlet erſt recht klar. Ein Geſicht wie<lb/> Scheidewaſſer, der wahre Anti-Hamlet. Man ſollte<lb/> einen Tempel für unglücklich Liebende bauen, und<lb/> Voltaires Bild als den Gott hineinſtellen. Auch ein<lb/> Werther käme geheilt heraus. Darum liebe ich ihn<lb/> ſo ſehr, weil ich ihn haſſen müßte wenn ich ihn nicht<lb/> liebte, und er hat mir doch ſo wohl gethan. An<lb/> einigen der wenigen unglücklichen Tage meines Lebens<lb/> warf er einen Strahl ſeines Geiſtes in mein dunkles<lb/> Herz, ich fand den Weg wieder und war gerettet.<lb/> Unglück iſt Dunkelheit; Wem man die Geſtalt ſeiner<lb/> Schmerzen zeigt dem zeigt man deren Grenzen.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [60/0072]
auszureden. Er erklärt ihm ſehr vernünftig und
pſychologiſch, woher es komme, daß er glaube den
Geiſt ſeines Vaters zu ſehen. Kürzlich wäre ein
König von England geſtorben und, dem Gerüchte
nach, am Gifte das ihm ſeine Gemahlin gereicht.
Ihn, Hamlet, habe dieſe Erzählung ſehr erſchüttert,
er denke von Morgens bis Abends daran, und wo¬
mit ſich der Menſch bei Tage beſchäftige, das komme
ihm im Traume vor. Der Schauſpieler Ligier,
Talma's Nachfolger — im Amte, aber nicht im
Gehalte — hat den Hamlet auf franzöſiſche Art gut
genug geſpielt. Aber mir ward ganz übel dabei;
es war eine Lazareth- und Tollhausſcene die zwei
Stunden gedauert. Als ich nach dem Schauſpiel
im Foyer Voltaires Büſte betrachtete, da ward mir
Dücis Hamlet erſt recht klar. Ein Geſicht wie
Scheidewaſſer, der wahre Anti-Hamlet. Man ſollte
einen Tempel für unglücklich Liebende bauen, und
Voltaires Bild als den Gott hineinſtellen. Auch ein
Werther käme geheilt heraus. Darum liebe ich ihn
ſo ſehr, weil ich ihn haſſen müßte wenn ich ihn nicht
liebte, und er hat mir doch ſo wohl gethan. An
einigen der wenigen unglücklichen Tage meines Lebens
warf er einen Strahl ſeines Geiſtes in mein dunkles
Herz, ich fand den Weg wieder und war gerettet.
Unglück iſt Dunkelheit; Wem man die Geſtalt ſeiner
Schmerzen zeigt dem zeigt man deren Grenzen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |