viele Menschen diese dummen Lügen annehmen; denn sie brauchten nur die Hand nach ihrem Bücher¬ schranke auszustrecken, sie brauchten nur eine Stunde lang die Weltgeschichte zu durchblättern, um mit Schaamröthe zu erfahren, wie grob man sie getäuscht. Drei Jahre haben die Gräuel der französischen Re¬ volution gedauert, diese rechnet man; aber daß die schweizerische Republik jetzt schon fünf hundert Jahre schuldlos lebt, daß die amerikanische Republik keinen Tropfen Bürgerblut gekostet, daß Rom ein halbes Jahrtausend, daß Athen, Sparta, die italienischen Republiken des Mittelalters, die vielen freien Städte Deutschlands ein vielhundertjähriges Leben glücklich und ruhmvoll vollendet, das rechnet man nicht! Seitdem der letzte Römer fiel, von Augustus bis Don Miguel, durch neunzehen Jahrhunderte, haben tausend Königsgeschlechter die Welt gemartert, durch¬ mordet, vergiftet -- das rechnet man nicht! und die Gewaltthätigkeiten der französischen Revolution haben nur das sinnliche Glück derer zerstört, welche jene betroffen; aber die Gewaltthätigkeiten der Monar¬ chien haben die Sittlichkeit der Bürger verdorben, haben Treue, Recht, Wahrheit, Glaube und Liebe rund umher ausgerottet und haben uns nicht bloß unglücklich gemacht, sondern uns auch so umgeschaf¬ fen daß wir unser Unglück verdienten. Am Grabe der Schlachtopfer der Revolution darf man doch wei¬
viele Menſchen dieſe dummen Lügen annehmen; denn ſie brauchten nur die Hand nach ihrem Bücher¬ ſchranke auszuſtrecken, ſie brauchten nur eine Stunde lang die Weltgeſchichte zu durchblättern, um mit Schaamröthe zu erfahren, wie grob man ſie getäuſcht. Drei Jahre haben die Gräuel der franzöſiſchen Re¬ volution gedauert, dieſe rechnet man; aber daß die ſchweizeriſche Republik jetzt ſchon fünf hundert Jahre ſchuldlos lebt, daß die amerikaniſche Republik keinen Tropfen Bürgerblut gekoſtet, daß Rom ein halbes Jahrtauſend, daß Athen, Sparta, die italieniſchen Republiken des Mittelalters, die vielen freien Städte Deutſchlands ein vielhundertjähriges Leben glücklich und ruhmvoll vollendet, das rechnet man nicht! Seitdem der letzte Römer fiel, von Auguſtus bis Don Miguel, durch neunzehen Jahrhunderte, haben tauſend Königsgeſchlechter die Welt gemartert, durch¬ mordet, vergiftet — das rechnet man nicht! und die Gewaltthätigkeiten der franzöſiſchen Revolution haben nur das ſinnliche Glück derer zerſtört, welche jene betroffen; aber die Gewaltthätigkeiten der Monar¬ chien haben die Sittlichkeit der Bürger verdorben, haben Treue, Recht, Wahrheit, Glaube und Liebe rund umher ausgerottet und haben uns nicht bloß unglücklich gemacht, ſondern uns auch ſo umgeſchaf¬ fen daß wir unſer Unglück verdienten. Am Grabe der Schlachtopfer der Revolution darf man doch wei¬
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viele Menſchen dieſe dummen Lügen annehmen;
denn ſie brauchten nur die Hand nach ihrem Bücher¬
ſchranke auszuſtrecken, ſie brauchten nur eine Stunde
lang die Weltgeſchichte zu durchblättern, um mit
Schaamröthe zu erfahren, wie grob man ſie getäuſcht.
Drei Jahre haben die Gräuel der franzöſiſchen Re¬
volution gedauert, dieſe rechnet man; aber daß die
ſchweizeriſche Republik jetzt ſchon fünf hundert Jahre
ſchuldlos lebt, daß die amerikaniſche Republik keinen
Tropfen Bürgerblut gekoſtet, daß Rom ein halbes
Jahrtauſend, daß Athen, Sparta, die italieniſchen
Republiken des Mittelalters, die vielen freien Städte
Deutſchlands ein vielhundertjähriges Leben glücklich
und ruhmvoll vollendet, das rechnet man nicht!
Seitdem der letzte Römer fiel, von Auguſtus bis
Don Miguel, durch neunzehen Jahrhunderte, haben
tauſend Königsgeſchlechter die Welt gemartert, durch¬
mordet, vergiftet — das rechnet man nicht! und die
Gewaltthätigkeiten der franzöſiſchen Revolution haben
nur das ſinnliche Glück derer zerſtört, welche jene
betroffen; aber die Gewaltthätigkeiten der Monar¬
chien haben die Sittlichkeit der Bürger verdorben,
haben Treue, Recht, Wahrheit, Glaube und Liebe
rund umher ausgerottet und haben uns nicht bloß
unglücklich gemacht, ſondern uns auch ſo umgeſchaf¬
fen daß wir unſer Unglück verdienten. Am Grabe
der Schlachtopfer der Revolution darf man doch wei¬
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/57>, abgerufen am 16.07.2024.
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