stark die bestehende Ordnung der Dinge; aber ihr Eifer war doch mehr gegen die Staatsverwaltung als gegen die Verfassung gerichtet. Rousseau's Sy¬ stem machte auf praktische Wirkung keinen Anspruch Voltaire schrieb nie auch nur ein einziges Wort ge¬ gen den Adel. Nur von Chamfort ist mir bekannt, daß er aufrührerische Wünsche und Hoffnungen aus¬ gesprochen; aber das geschah sehr spät, nur in ver¬ trauter mündlicher Unterhaltung, und seine Gleichge¬ sinnten selbst haben ihn wie einen tollen Menschen angehört. Der Haß und der Kampf aller jener re¬ volutionärenSchriftsteller waren nur gegen die Geist¬ lichkeit gerichtet. Es scheint also daß die geistliche Macht, wenn auch nicht die stärkste, doch die vorderste und höchste Mauer bildete, welche als Befestigung die Tyrannei umzog, und daß man erst, nachdem diese Mauer durchbrochen war, dahinter Adel und Fürstenthum als Graben und Wall, gewahrte, aus¬ füllte und stürmte. Waren selbst damals die Philo¬ sophen so blind, darf man sich über die Verblendung des Adels und der Fürsten gewiß nicht wundern. Wie wurden die französischen Schriftsteller des acht¬ zehnten Jahrhunderts von allen Großen geliebkost! Freilich stellten sie sie nicht höher als gute Schau¬ spieler und schöne Opertänzerinnen; aber sie wären gewiß nicht so freundlich gegen sie gewesen, hätten
ſtark die beſtehende Ordnung der Dinge; aber ihr Eifer war doch mehr gegen die Staatsverwaltung als gegen die Verfaſſung gerichtet. Rouſſeau's Sy¬ ſtem machte auf praktiſche Wirkung keinen Anſpruch Voltaire ſchrieb nie auch nur ein einziges Wort ge¬ gen den Adel. Nur von Chamfort iſt mir bekannt, daß er aufrühreriſche Wünſche und Hoffnungen aus¬ geſprochen; aber das geſchah ſehr ſpät, nur in ver¬ trauter mündlicher Unterhaltung, und ſeine Gleichge¬ ſinnten ſelbſt haben ihn wie einen tollen Menſchen angehört. Der Haß und der Kampf aller jener re¬ volutionärenSchriftſteller waren nur gegen die Geiſt¬ lichkeit gerichtet. Es ſcheint alſo daß die geiſtliche Macht, wenn auch nicht die ſtärkſte, doch die vorderſte und höchſte Mauer bildete, welche als Befeſtigung die Tyrannei umzog, und daß man erſt, nachdem dieſe Mauer durchbrochen war, dahinter Adel und Fürſtenthum als Graben und Wall, gewahrte, aus¬ füllte und ſtürmte. Waren ſelbſt damals die Philo¬ ſophen ſo blind, darf man ſich über die Verblendung des Adels und der Fürſten gewiß nicht wundern. Wie wurden die franzöſiſchen Schriftſteller des acht¬ zehnten Jahrhunderts von allen Großen geliebkoſt! Freilich ſtellten ſie ſie nicht höher als gute Schau¬ ſpieler und ſchöne Opertänzerinnen; aber ſie wären gewiß nicht ſo freundlich gegen ſie geweſen, hätten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0048"n="36"/>ſtark die beſtehende Ordnung der Dinge; aber ihr<lb/>
Eifer war doch mehr gegen die Staatsverwaltung<lb/>
als gegen die Verfaſſung gerichtet. Rouſſeau's Sy¬<lb/>ſtem machte auf praktiſche Wirkung keinen Anſpruch<lb/>
Voltaire ſchrieb nie auch nur ein einziges Wort ge¬<lb/>
gen den Adel. Nur von Chamfort iſt mir bekannt,<lb/>
daß er aufrühreriſche Wünſche und Hoffnungen aus¬<lb/>
geſprochen; aber das geſchah ſehr ſpät, nur in ver¬<lb/>
trauter mündlicher Unterhaltung, und ſeine Gleichge¬<lb/>ſinnten ſelbſt haben ihn wie einen tollen Menſchen<lb/>
angehört. Der Haß und der Kampf aller jener <choice><sic>re¬<lb/>
volutianären</sic><corr>re¬<lb/>
volutionären</corr></choice><choice><sic>Schrifſteller</sic><corr>Schriftſteller</corr></choice> waren nur gegen die Geiſt¬<lb/>
lichkeit gerichtet. Es ſcheint alſo daß die geiſtliche<lb/>
Macht, wenn auch nicht die ſtärkſte, doch die vorderſte<lb/>
und höchſte Mauer bildete, welche als Befeſtigung<lb/>
die Tyrannei umzog, und daß man erſt, nachdem<lb/>
dieſe Mauer durchbrochen war, dahinter Adel und<lb/>
Fürſtenthum als Graben und Wall, gewahrte, aus¬<lb/>
füllte und ſtürmte. Waren ſelbſt damals die Philo¬<lb/>ſophen ſo blind, darf man ſich über die Verblendung<lb/>
des Adels und der Fürſten gewiß nicht wundern.<lb/>
Wie wurden die franzöſiſchen Schriftſteller des acht¬<lb/>
zehnten Jahrhunderts von allen Großen geliebkoſt!<lb/>
Freilich ſtellten ſie ſie nicht höher als gute Schau¬<lb/>ſpieler und ſchöne Opertänzerinnen; aber ſie wären<lb/>
gewiß nicht ſo freundlich gegen ſie geweſen, hätten<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[36/0048]
ſtark die beſtehende Ordnung der Dinge; aber ihr
Eifer war doch mehr gegen die Staatsverwaltung
als gegen die Verfaſſung gerichtet. Rouſſeau's Sy¬
ſtem machte auf praktiſche Wirkung keinen Anſpruch
Voltaire ſchrieb nie auch nur ein einziges Wort ge¬
gen den Adel. Nur von Chamfort iſt mir bekannt,
daß er aufrühreriſche Wünſche und Hoffnungen aus¬
geſprochen; aber das geſchah ſehr ſpät, nur in ver¬
trauter mündlicher Unterhaltung, und ſeine Gleichge¬
ſinnten ſelbſt haben ihn wie einen tollen Menſchen
angehört. Der Haß und der Kampf aller jener re¬
volutionären Schriftſteller waren nur gegen die Geiſt¬
lichkeit gerichtet. Es ſcheint alſo daß die geiſtliche
Macht, wenn auch nicht die ſtärkſte, doch die vorderſte
und höchſte Mauer bildete, welche als Befeſtigung
die Tyrannei umzog, und daß man erſt, nachdem
dieſe Mauer durchbrochen war, dahinter Adel und
Fürſtenthum als Graben und Wall, gewahrte, aus¬
füllte und ſtürmte. Waren ſelbſt damals die Philo¬
ſophen ſo blind, darf man ſich über die Verblendung
des Adels und der Fürſten gewiß nicht wundern.
Wie wurden die franzöſiſchen Schriftſteller des acht¬
zehnten Jahrhunderts von allen Großen geliebkoſt!
Freilich ſtellten ſie ſie nicht höher als gute Schau¬
ſpieler und ſchöne Opertänzerinnen; aber ſie wären
gewiß nicht ſo freundlich gegen ſie geweſen, hätten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/48>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.