Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

scheinung unserer Tage, erklärt der Verfasser gut.
Woher kömmt es, das so Viele in Deutschland, die
früher freisinnig gewesen, es später nicht geblieben?
Spötter werden sagen: sie haben sich der Regierung
verkauft; ich aber möchte nie so schlecht von den
Menschen denken. Ich war immer überzeugt, daß ein
Wechsel der Hoffnung, gewöhnlich dem Lohne voraus¬
ginge, mit dem Regierungen, zur Aufmunterung der
Tugend, diesen Wechsel bezahlten. "Sie könnten
"den Nachwuchs eines neuen Geschlechtes nicht er¬
"tragen; sie wollten nicht, daß man munterer, drei¬
"ster dem gemeinschaftlichen Feinde die Spitze bieten
"könne. Es ist in Frankreich ebenso gegangen. Die
"in der alten französischen Kammer einst die äußerste
"Linke bildeten, die ausgezeichnetsten Glieder der ehe¬
"maligen Opposition sind nur darum in die rechte
"Mitte des Centrums hinaufgerückt, weil sie nicht
"ertragen mochten, daß eine Weisheit, die ihnen ge¬
"borgt war, sich in jugendlichern Gemüthern lebendi¬
"ger bethätigte. So sind in Deutschland die ehema¬
"ligen Heerführer des Liberalismus die loyalsten Or¬
"gane der Regierung geworden. Früher sprachen sie
"allein über gewisse Wahrheiten, jetzt thun es ihnen
"hundert Andere nach."

An dem Buche habe ich nichts zu tadeln, als
seinen Titel. Man soll sich nicht toll, oder betrunken
stellen wenn man die Wahrheit sagt. Auch nicht ein¬

ſcheinung unſerer Tage, erklärt der Verfaſſer gut.
Woher kömmt es, das ſo Viele in Deutſchland, die
früher freiſinnig geweſen, es ſpäter nicht geblieben?
Spötter werden ſagen: ſie haben ſich der Regierung
verkauft; ich aber möchte nie ſo ſchlecht von den
Menſchen denken. Ich war immer überzeugt, daß ein
Wechſel der Hoffnung, gewöhnlich dem Lohne voraus¬
ginge, mit dem Regierungen, zur Aufmunterung der
Tugend, dieſen Wechſel bezahlten. „Sie könnten
„den Nachwuchs eines neuen Geſchlechtes nicht er¬
„tragen; ſie wollten nicht, daß man munterer, drei¬
„ſter dem gemeinſchaftlichen Feinde die Spitze bieten
„könne. Es iſt in Frankreich ebenſo gegangen. Die
„in der alten franzöſiſchen Kammer einſt die äußerſte
„Linke bildeten, die ausgezeichnetſten Glieder der ehe¬
„maligen Oppoſition ſind nur darum in die rechte
„Mitte des Centrums hinaufgerückt, weil ſie nicht
„ertragen mochten, daß eine Weisheit, die ihnen ge¬
„borgt war, ſich in jugendlichern Gemüthern lebendi¬
„ger bethätigte. So ſind in Deutſchland die ehema¬
„ligen Heerführer des Liberalismus die loyalſten Or¬
„gane der Regierung geworden. Früher ſprachen ſie
„allein über gewiſſe Wahrheiten, jetzt thun es ihnen
„hundert Andere nach.“

An dem Buche habe ich nichts zu tadeln, als
ſeinen Titel. Man ſoll ſich nicht toll, oder betrunken
ſtellen wenn man die Wahrheit ſagt. Auch nicht ein¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <p><pb facs="#f0026" n="14"/>
&#x017F;cheinung un&#x017F;erer Tage, erklärt der Verfa&#x017F;&#x017F;er gut.<lb/>
Woher kömmt es, das &#x017F;o Viele in Deut&#x017F;chland, die<lb/>
früher frei&#x017F;innig gewe&#x017F;en, es &#x017F;päter nicht geblieben?<lb/>
Spötter werden &#x017F;agen: &#x017F;ie haben &#x017F;ich der Regierung<lb/>
verkauft; ich aber möchte nie &#x017F;o &#x017F;chlecht von den<lb/>
Men&#x017F;chen denken. Ich war immer überzeugt, daß ein<lb/>
Wech&#x017F;el der Hoffnung, gewöhnlich dem Lohne voraus¬<lb/>
ginge, mit dem Regierungen, zur Aufmunterung der<lb/>
Tugend, die&#x017F;en Wech&#x017F;el bezahlten. &#x201E;Sie könnten<lb/>
&#x201E;den Nachwuchs eines neuen Ge&#x017F;chlechtes nicht er¬<lb/>
&#x201E;tragen; &#x017F;ie wollten nicht, daß man munterer, drei¬<lb/>
&#x201E;&#x017F;ter dem gemein&#x017F;chaftlichen Feinde die Spitze bieten<lb/>
&#x201E;könne. Es i&#x017F;t in Frankreich eben&#x017F;o gegangen. Die<lb/>
&#x201E;in der alten franzö&#x017F;i&#x017F;chen Kammer ein&#x017F;t die äußer&#x017F;te<lb/>
&#x201E;Linke bildeten, die ausgezeichnet&#x017F;ten Glieder der ehe¬<lb/>
&#x201E;maligen Oppo&#x017F;ition &#x017F;ind nur darum in die rechte<lb/>
&#x201E;Mitte des Centrums hinaufgerückt, weil &#x017F;ie nicht<lb/>
&#x201E;ertragen mochten, daß eine Weisheit, die ihnen ge¬<lb/>
&#x201E;borgt war, &#x017F;ich in jugendlichern Gemüthern lebendi¬<lb/>
&#x201E;ger bethätigte. So &#x017F;ind in Deut&#x017F;chland die ehema¬<lb/>
&#x201E;ligen Heerführer des Liberalismus die loyal&#x017F;ten Or¬<lb/>
&#x201E;gane der Regierung geworden. Früher &#x017F;prachen &#x017F;ie<lb/>
&#x201E;allein über gewi&#x017F;&#x017F;e Wahrheiten, jetzt thun es ihnen<lb/>
&#x201E;hundert Andere nach.&#x201C;</p><lb/>
          <p>An dem Buche habe ich nichts zu tadeln, als<lb/>
&#x017F;einen Titel. Man &#x017F;oll &#x017F;ich nicht toll, oder betrunken<lb/>
&#x017F;tellen wenn man die Wahrheit &#x017F;agt. Auch nicht ein¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[14/0026] ſcheinung unſerer Tage, erklärt der Verfaſſer gut. Woher kömmt es, das ſo Viele in Deutſchland, die früher freiſinnig geweſen, es ſpäter nicht geblieben? Spötter werden ſagen: ſie haben ſich der Regierung verkauft; ich aber möchte nie ſo ſchlecht von den Menſchen denken. Ich war immer überzeugt, daß ein Wechſel der Hoffnung, gewöhnlich dem Lohne voraus¬ ginge, mit dem Regierungen, zur Aufmunterung der Tugend, dieſen Wechſel bezahlten. „Sie könnten „den Nachwuchs eines neuen Geſchlechtes nicht er¬ „tragen; ſie wollten nicht, daß man munterer, drei¬ „ſter dem gemeinſchaftlichen Feinde die Spitze bieten „könne. Es iſt in Frankreich ebenſo gegangen. Die „in der alten franzöſiſchen Kammer einſt die äußerſte „Linke bildeten, die ausgezeichnetſten Glieder der ehe¬ „maligen Oppoſition ſind nur darum in die rechte „Mitte des Centrums hinaufgerückt, weil ſie nicht „ertragen mochten, daß eine Weisheit, die ihnen ge¬ „borgt war, ſich in jugendlichern Gemüthern lebendi¬ „ger bethätigte. So ſind in Deutſchland die ehema¬ „ligen Heerführer des Liberalismus die loyalſten Or¬ „gane der Regierung geworden. Früher ſprachen ſie „allein über gewiſſe Wahrheiten, jetzt thun es ihnen „hundert Andere nach.“ An dem Buche habe ich nichts zu tadeln, als ſeinen Titel. Man ſoll ſich nicht toll, oder betrunken ſtellen wenn man die Wahrheit ſagt. Auch nicht ein¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/26
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/26>, abgerufen am 25.11.2024.