Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Von Chateaubriand ist eine neue Schrift erschie¬
nen: Memoire sur la captivite de la de Madame
la Duchesse de Berry
. Sie sollen sich aus
Freundschaft für mich etwas darüber freuen; denn
dieser gute Mann nimmt mir jeden Winter die
Hälfte meines Zornes ab. So oft er erscheint, gehe
ich in mein Zelt und lasse ihn kämpfen. Freilich
muß ich diese Hülfe mit melancholischen Gedanken
bezahlen. Wenn ich sehe, wie ein so geistreicher und
edler Mensch von der Legitimität faselt, greife ich
nach meinem Kopfe und rufe betrübt aus: Auch
Chateaubriand hat den Verstand verloren und war
doch mehr als du! Die Legitimität, diese Hoff¬
nungslosigkeit des Unglücks, diese Erblichkeit der tief¬
sten menschlichen Erniedrigung -- das vertheidigen,
das preisen! O Wahnsinn!

Als Chateaubriand von der Gefangenschaft der
Herzogin erfuhr, eilte er aus der Schweiz nach Pa¬
ris, und bot sich ihr in einem Schreiben zu ihrem
Sachwalter an. Aber die Minister erlaubten weder
ihm noch seinen Briefen den Einlaß in Blaye.
Schon dreimal seit der Revolution hat Chateaubriand
von der Welt Abschied genommen und sich in die Ein¬
samkeit begeben, und dreimal schon kehrte er zurück.


Von Chateaubriand iſt eine neue Schrift erſchie¬
nen: Mémoire sur la captivité de la de Madame
la Duchesse de Berry
. Sie ſollen ſich aus
Freundſchaft für mich etwas darüber freuen; denn
dieſer gute Mann nimmt mir jeden Winter die
Hälfte meines Zornes ab. So oft er erſcheint, gehe
ich in mein Zelt und laſſe ihn kämpfen. Freilich
muß ich dieſe Hülfe mit melancholiſchen Gedanken
bezahlen. Wenn ich ſehe, wie ein ſo geiſtreicher und
edler Menſch von der Legitimität faſelt, greife ich
nach meinem Kopfe und rufe betrübt aus: Auch
Chateaubriand hat den Verſtand verloren und war
doch mehr als du! Die Legitimität, dieſe Hoff¬
nungsloſigkeit des Unglücks, dieſe Erblichkeit der tief¬
ſten menſchlichen Erniedrigung — das vertheidigen,
das preiſen! O Wahnſinn!

Als Chateaubriand von der Gefangenſchaft der
Herzogin erfuhr, eilte er aus der Schweiz nach Pa¬
ris, und bot ſich ihr in einem Schreiben zu ihrem
Sachwalter an. Aber die Miniſter erlaubten weder
ihm noch ſeinen Briefen den Einlaß in Blaye.
Schon dreimal ſeit der Revolution hat Chateaubriand
von der Welt Abſchied genommen und ſich in die Ein¬
ſamkeit begeben, und dreimal ſchon kehrte er zurück.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <pb facs="#f0192" n="180"/>
          <div>
            <dateline rendition="#right">Montag, den 7. Januar.</dateline><lb/>
            <p>Von Chateaubriand i&#x017F;t eine neue Schrift er&#x017F;chie¬<lb/>
nen: <hi rendition="#aq #g">Mémoire sur la captivité de la de Madame<lb/>
la Duchesse de Berry</hi>. Sie &#x017F;ollen &#x017F;ich aus<lb/>
Freund&#x017F;chaft für mich etwas darüber freuen; denn<lb/>
die&#x017F;er gute Mann nimmt mir jeden Winter die<lb/>
Hälfte meines Zornes ab. So oft er er&#x017F;cheint, gehe<lb/>
ich in mein Zelt und la&#x017F;&#x017F;e ihn kämpfen. Freilich<lb/>
muß ich die&#x017F;e Hülfe mit melancholi&#x017F;chen Gedanken<lb/>
bezahlen. Wenn ich &#x017F;ehe, wie ein &#x017F;o gei&#x017F;treicher und<lb/>
edler Men&#x017F;ch von der Legitimität fa&#x017F;elt, greife ich<lb/>
nach meinem Kopfe und rufe betrübt aus: Auch<lb/>
Chateaubriand hat den Ver&#x017F;tand verloren und war<lb/>
doch mehr als du! Die <hi rendition="#g">Legitimität</hi>, die&#x017F;e Hoff¬<lb/>
nungslo&#x017F;igkeit des Unglücks, die&#x017F;e Erblichkeit der tief¬<lb/>
&#x017F;ten men&#x017F;chlichen Erniedrigung &#x2014; das vertheidigen,<lb/>
das prei&#x017F;en! O Wahn&#x017F;inn!</p><lb/>
            <p>Als Chateaubriand von der Gefangen&#x017F;chaft der<lb/>
Herzogin erfuhr, eilte er aus der Schweiz nach Pa¬<lb/>
ris, und bot &#x017F;ich ihr in einem Schreiben zu ihrem<lb/>
Sachwalter an. Aber die Mini&#x017F;ter erlaubten weder<lb/>
ihm noch &#x017F;einen Briefen den Einlaß in Blaye.<lb/>
Schon dreimal &#x017F;eit der Revolution hat Chateaubriand<lb/>
von der Welt Ab&#x017F;chied genommen und &#x017F;ich in die Ein¬<lb/>
&#x017F;amkeit begeben, und dreimal &#x017F;chon kehrte er zurück.<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0192] Montag, den 7. Januar. Von Chateaubriand iſt eine neue Schrift erſchie¬ nen: Mémoire sur la captivité de la de Madame la Duchesse de Berry. Sie ſollen ſich aus Freundſchaft für mich etwas darüber freuen; denn dieſer gute Mann nimmt mir jeden Winter die Hälfte meines Zornes ab. So oft er erſcheint, gehe ich in mein Zelt und laſſe ihn kämpfen. Freilich muß ich dieſe Hülfe mit melancholiſchen Gedanken bezahlen. Wenn ich ſehe, wie ein ſo geiſtreicher und edler Menſch von der Legitimität faſelt, greife ich nach meinem Kopfe und rufe betrübt aus: Auch Chateaubriand hat den Verſtand verloren und war doch mehr als du! Die Legitimität, dieſe Hoff¬ nungsloſigkeit des Unglücks, dieſe Erblichkeit der tief¬ ſten menſchlichen Erniedrigung — das vertheidigen, das preiſen! O Wahnſinn! Als Chateaubriand von der Gefangenſchaft der Herzogin erfuhr, eilte er aus der Schweiz nach Pa¬ ris, und bot ſich ihr in einem Schreiben zu ihrem Sachwalter an. Aber die Miniſter erlaubten weder ihm noch ſeinen Briefen den Einlaß in Blaye. Schon dreimal ſeit der Revolution hat Chateaubriand von der Welt Abſchied genommen und ſich in die Ein¬ ſamkeit begeben, und dreimal ſchon kehrte er zurück.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/192
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/192>, abgerufen am 21.11.2024.