Begnadigung mit dem Caucasus, auf die schuldigsten der Polen fallen zu lassen; diese kommen nach Si¬ birien oder werden hingerichtet oder werden im Ge¬ fängnisse erdrosselt und vergiftet. Was ich gestern gelesen das ist noch ungeheurer. Fünfzig Polen wur¬ den in Kronstadt, im Hafen, wie im Angesichte ganz Europas, auf Tod und Leben gegeiselt, weil sie ihr Vaterland nicht abschwören, weil sie dem Nicolaus nicht Treue schwören wollten. Und während sie die Reihen der Soldaten durchschlichen, durch Bajonette auf der Brust, am schnellen Gehen gehindert, ging ein Geistlicher zusprechend neben den Verurtheilten, und ermahnte sie zu schwören. Ein Geistlicher, das Cruzifix in der Hand, ermahnte im Namen des Er¬ lösers zum Meineide! Aber wo gab es je einen Kaiser oder König, der nicht einen Pfaffen gefunden hätte, der noch schlechter war als er? Dreitausend andere Polen, standen in einen Haufen zusammen¬ getrieben, auf dem Richtplatze, den Jammer ihrer Brüder mit anzusehen, und hinter ihnen sechstausend Russen, Kanonen vor sich, den Haufen Polen nieder¬ zuschmettern, wenn einer von ihnen murren sollte. Die anwesenden russischen Offiziere lachten -- o nein, ich erzähle das nicht ihnen zum Vorwurfe, son¬ dern daß man diese Schlachtopfer der Tyrannei auch beweine. Sie mußten lachen; nicht zu lachen wäre ihnen als Kaisermord angerechnet worden. Und das
Begnadigung mit dem Caucaſus, auf die ſchuldigſten der Polen fallen zu laſſen; dieſe kommen nach Si¬ birien oder werden hingerichtet oder werden im Ge¬ fängniſſe erdroſſelt und vergiftet. Was ich geſtern geleſen das iſt noch ungeheurer. Fünfzig Polen wur¬ den in Kronſtadt, im Hafen, wie im Angeſichte ganz Europas, auf Tod und Leben gegeiſelt, weil ſie ihr Vaterland nicht abſchwören, weil ſie dem Nicolaus nicht Treue ſchwören wollten. Und während ſie die Reihen der Soldaten durchſchlichen, durch Bajonette auf der Bruſt, am ſchnellen Gehen gehindert, ging ein Geiſtlicher zuſprechend neben den Verurtheilten, und ermahnte ſie zu ſchwören. Ein Geiſtlicher, das Cruzifix in der Hand, ermahnte im Namen des Er¬ löſers zum Meineide! Aber wo gab es je einen Kaiſer oder König, der nicht einen Pfaffen gefunden hätte, der noch ſchlechter war als er? Dreitauſend andere Polen, ſtanden in einen Haufen zuſammen¬ getrieben, auf dem Richtplatze, den Jammer ihrer Brüder mit anzuſehen, und hinter ihnen ſechstauſend Ruſſen, Kanonen vor ſich, den Haufen Polen nieder¬ zuſchmettern, wenn einer von ihnen murren ſollte. Die anweſenden ruſſiſchen Offiziere lachten — o nein, ich erzähle das nicht ihnen zum Vorwurfe, ſon¬ dern daß man dieſe Schlachtopfer der Tyrannei auch beweine. Sie mußten lachen; nicht zu lachen wäre ihnen als Kaiſermord angerechnet worden. Und das
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Begnadigung mit dem Caucaſus, auf die ſchuldigſten
der Polen fallen zu laſſen; dieſe kommen nach Si¬
birien oder werden hingerichtet oder werden im Ge¬
fängniſſe erdroſſelt und vergiftet. Was ich geſtern
geleſen das iſt noch ungeheurer. Fünfzig Polen wur¬
den in Kronſtadt, im Hafen, wie im Angeſichte ganz
Europas, auf Tod und Leben gegeiſelt, weil ſie ihr
Vaterland nicht abſchwören, weil ſie dem Nicolaus
nicht Treue ſchwören wollten. Und während ſie die
Reihen der Soldaten durchſchlichen, durch Bajonette
auf der Bruſt, am ſchnellen Gehen gehindert, ging
ein Geiſtlicher zuſprechend neben den Verurtheilten,
und ermahnte ſie zu ſchwören. Ein Geiſtlicher, das
Cruzifix in der Hand, ermahnte im Namen des Er¬
löſers zum Meineide! Aber wo gab es je einen
Kaiſer oder König, der nicht einen Pfaffen gefunden
hätte, der noch ſchlechter war als er? Dreitauſend
andere Polen, ſtanden in einen Haufen zuſammen¬
getrieben, auf dem Richtplatze, den Jammer ihrer
Brüder mit anzuſehen, und hinter ihnen ſechstauſend
Ruſſen, Kanonen vor ſich, den Haufen Polen nieder¬
zuſchmettern, wenn einer von ihnen murren ſollte.
Die anweſenden ruſſiſchen Offiziere lachten — o
nein, ich erzähle das nicht ihnen zum Vorwurfe, ſon¬
dern daß man dieſe Schlachtopfer der Tyrannei auch
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/131>, abgerufen am 16.07.2024.
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