Lassen Sie die Leute immerhin sprechen von meiner Heftigkeit, die nicht nütze, die nur schade; das sind alles Worte ohne Sinn, wären sie auch noch so gut gemeint. Wer nützt? Wer schadet? Die See geht hoch, der Wind ist gut und Gott sitzt am Steuer. Ich armer Schiffsjunge schwanke oben im Mastkorbe und rufe: Klippe und Sandbank und feindliche Segel und Land herab. Als wenn ich mit dem Rücken gelehnt stünde an der Mauer der Welt, und nur so vor mir mich zu bewegen brauchte, wie und wohin ich wollte! Ich habe keine Freiheit hinter mir, und darum keine vor mir. Ich treibe, weil ich werde getrieben, ich reize, weil ich werde gereizt. Der Wind ist heftig, der mich schüttelt; ist das meine Heftigkeit? Habe ich den Wind ge¬ macht? Kann ich ihn schweigen heißen? Giebt es
Zwei und zwanzigſter Brief.
Paris, Donnerstag, den 19. Januar 1832.
Laſſen Sie die Leute immerhin ſprechen von meiner Heftigkeit, die nicht nütze, die nur ſchade; das ſind alles Worte ohne Sinn, wären ſie auch noch ſo gut gemeint. Wer nützt? Wer ſchadet? Die See geht hoch, der Wind iſt gut und Gott ſitzt am Steuer. Ich armer Schiffsjunge ſchwanke oben im Maſtkorbe und rufe: Klippe und Sandbank und feindliche Segel und Land herab. Als wenn ich mit dem Rücken gelehnt ſtünde an der Mauer der Welt, und nur ſo vor mir mich zu bewegen brauchte, wie und wohin ich wollte! Ich habe keine Freiheit hinter mir, und darum keine vor mir. Ich treibe, weil ich werde getrieben, ich reize, weil ich werde gereizt. Der Wind iſt heftig, der mich ſchüttelt; iſt das meine Heftigkeit? Habe ich den Wind ge¬ macht? Kann ich ihn ſchweigen heißen? Giebt es
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Zwei und zwanzigſter Brief.
Paris, Donnerstag, den 19. Januar 1832.
Laſſen Sie die Leute immerhin ſprechen von
meiner Heftigkeit, die nicht nütze, die nur ſchade;
das ſind alles Worte ohne Sinn, wären ſie auch
noch ſo gut gemeint. Wer nützt? Wer ſchadet?
Die See geht hoch, der Wind iſt gut und Gott
ſitzt am Steuer. Ich armer Schiffsjunge ſchwanke
oben im Maſtkorbe und rufe: Klippe und Sandbank
und feindliche Segel und Land herab. Als wenn ich
mit dem Rücken gelehnt ſtünde an der Mauer der
Welt, und nur ſo vor mir mich zu bewegen brauchte,
wie und wohin ich wollte! Ich habe keine Freiheit
hinter mir, und darum keine vor mir. Ich treibe,
weil ich werde getrieben, ich reize, weil ich werde
gereizt. Der Wind iſt heftig, der mich ſchüttelt; iſt
das meine Heftigkeit? Habe ich den Wind ge¬
macht? Kann ich ihn ſchweigen heißen? Giebt es
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. [76]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/90>, abgerufen am 16.02.2025.
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