Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

schaft, der im Tollhause sitzt; denn er sitzt nicht mehr
im Tollhause, weil er sich erhängt hat. Es ist des¬
sen Bruder, der Medizinalrath Pittschaft in Baden
an der Oos. Hätte ich nur meinen Himmel mit
Ihnen theilen können; die andere Hälfte ist noch
groß genug. Mein Tischchen schwankte unter der
Last des aufgehäuften Deserts; mein Salzfaß ward
süß davon. Zuerst: Während der Jahre, die ich
in Halle bei Reil wohnte, erschien das bekannte Buch
dieses großen Arztes: Rapsodien über die psy¬
chische Behandlung der Wahnsinnigen. Lange
vor und nach Erscheinung dieses Werkes, das seinem
Verfasser besonders lieb war, hörte ich alle Tage
von Rapsodien sprechen, so daß seitdem und bis
heute, so oft ich das Wort Rapsodien lese oder höre,
ich gleich an verrückte Menschen denke. Ferner: Ich
dachte, wie viel zweckmäßiger es wäre, wenn statt
meiner Herr Pittschaft sich am Frankfurter Polizeiamte
anstellen ließe, weil dann Polizei-Amt und Medizi¬
nalrath sich wechselseitig ihren Styl verbessern könn¬
ten. Von dem Polizei-Protokoll neulich habe ich,
wie Sie aus meinem Briefe mit Kummer ersehen
haben werden, das Asthma bekommen, wegen gänz¬
lichen Mangels an Punkten, und an den Rapsodien
des Herrn Pittschaft wäre ich beinahe erstickt, wegen
des Ueberflusses an Punkten. Nein, so ein pünkt¬
licher Mann ist mir noch gar nicht vorgekommen.

IV. 5

ſchaft, der im Tollhauſe ſitzt; denn er ſitzt nicht mehr
im Tollhauſe, weil er ſich erhängt hat. Es iſt deſ¬
ſen Bruder, der Medizinalrath Pittſchaft in Baden
an der Oos. Hätte ich nur meinen Himmel mit
Ihnen theilen können; die andere Hälfte iſt noch
groß genug. Mein Tiſchchen ſchwankte unter der
Laſt des aufgehäuften Deſerts; mein Salzfaß ward
ſüß davon. Zuerſt: Während der Jahre, die ich
in Halle bei Reil wohnte, erſchien das bekannte Buch
dieſes großen Arztes: Rapſodien über die pſy¬
chiſche Behandlung der Wahnſinnigen. Lange
vor und nach Erſcheinung dieſes Werkes, das ſeinem
Verfaſſer beſonders lieb war, hörte ich alle Tage
von Rapſodien ſprechen, ſo daß ſeitdem und bis
heute, ſo oft ich das Wort Rapſodien leſe oder höre,
ich gleich an verrückte Menſchen denke. Ferner: Ich
dachte, wie viel zweckmäßiger es wäre, wenn ſtatt
meiner Herr Pittſchaft ſich am Frankfurter Polizeiamte
anſtellen ließe, weil dann Polizei-Amt und Medizi¬
nalrath ſich wechſelſeitig ihren Styl verbeſſern könn¬
ten. Von dem Polizei-Protokoll neulich habe ich,
wie Sie aus meinem Briefe mit Kummer erſehen
haben werden, das Aſthma bekommen, wegen gänz¬
lichen Mangels an Punkten, und an den Rapſodien
des Herrn Pittſchaft wäre ich beinahe erſtickt, wegen
des Ueberfluſſes an Punkten. Nein, ſo ein pünkt¬
licher Mann iſt mir noch gar nicht vorgekommen.

IV. 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0079" n="65"/>
&#x017F;chaft, der im Tollhau&#x017F;e &#x017F;itzt; denn er &#x017F;itzt nicht mehr<lb/>
im Tollhau&#x017F;e, weil er &#x017F;ich erhängt hat. Es i&#x017F;t de&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en Bruder, der Medizinalrath Pitt&#x017F;chaft in Baden<lb/>
an der Oos. Hätte ich nur meinen Himmel mit<lb/>
Ihnen theilen können; die andere Hälfte i&#x017F;t noch<lb/>
groß genug. Mein Ti&#x017F;chchen &#x017F;chwankte unter der<lb/>
La&#x017F;t des aufgehäuften De&#x017F;erts; mein Salzfaß ward<lb/>
&#x017F;üß davon. Zuer&#x017F;t: Während der Jahre, die ich<lb/>
in Halle bei Reil wohnte, er&#x017F;chien das bekannte Buch<lb/>
die&#x017F;es großen Arztes: <hi rendition="#g">Rap&#x017F;odien über die p&#x017F;</hi><lb/>
chi&#x017F;che <hi rendition="#g">Behandlung der Wahn&#x017F;innigen</hi>. Lange<lb/>
vor und nach Er&#x017F;cheinung die&#x017F;es Werkes, das &#x017F;einem<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;er be&#x017F;onders lieb war, hörte ich alle Tage<lb/>
von Rap&#x017F;odien &#x017F;prechen, &#x017F;o daß &#x017F;eitdem und bis<lb/>
heute, &#x017F;o oft ich das Wort Rap&#x017F;odien le&#x017F;e oder höre,<lb/>
ich gleich an verrückte Men&#x017F;chen denke. Ferner: Ich<lb/>
dachte, wie viel zweckmäßiger es wäre, wenn &#x017F;tatt<lb/>
meiner Herr Pitt&#x017F;chaft &#x017F;ich am Frankfurter Polizeiamte<lb/>
an&#x017F;tellen ließe, weil dann Polizei-Amt und Medizi¬<lb/>
nalrath &#x017F;ich wech&#x017F;el&#x017F;eitig ihren Styl verbe&#x017F;&#x017F;ern könn¬<lb/>
ten. Von dem Polizei-Protokoll neulich habe ich,<lb/>
wie Sie aus meinem Briefe mit Kummer er&#x017F;ehen<lb/>
haben werden, das A&#x017F;thma bekommen, wegen gänz¬<lb/>
lichen Mangels an Punkten, und an den Rap&#x017F;odien<lb/>
des Herrn Pitt&#x017F;chaft wäre ich beinahe er&#x017F;tickt, wegen<lb/>
des Ueberflu&#x017F;&#x017F;es an Punkten. Nein, &#x017F;o ein pünkt¬<lb/>
licher Mann i&#x017F;t mir noch gar nicht vorgekommen.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">IV</hi>. 5<lb/></fw>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0079] ſchaft, der im Tollhauſe ſitzt; denn er ſitzt nicht mehr im Tollhauſe, weil er ſich erhängt hat. Es iſt deſ¬ ſen Bruder, der Medizinalrath Pittſchaft in Baden an der Oos. Hätte ich nur meinen Himmel mit Ihnen theilen können; die andere Hälfte iſt noch groß genug. Mein Tiſchchen ſchwankte unter der Laſt des aufgehäuften Deſerts; mein Salzfaß ward ſüß davon. Zuerſt: Während der Jahre, die ich in Halle bei Reil wohnte, erſchien das bekannte Buch dieſes großen Arztes: Rapſodien über die pſy¬ chiſche Behandlung der Wahnſinnigen. Lange vor und nach Erſcheinung dieſes Werkes, das ſeinem Verfaſſer beſonders lieb war, hörte ich alle Tage von Rapſodien ſprechen, ſo daß ſeitdem und bis heute, ſo oft ich das Wort Rapſodien leſe oder höre, ich gleich an verrückte Menſchen denke. Ferner: Ich dachte, wie viel zweckmäßiger es wäre, wenn ſtatt meiner Herr Pittſchaft ſich am Frankfurter Polizeiamte anſtellen ließe, weil dann Polizei-Amt und Medizi¬ nalrath ſich wechſelſeitig ihren Styl verbeſſern könn¬ ten. Von dem Polizei-Protokoll neulich habe ich, wie Sie aus meinem Briefe mit Kummer erſehen haben werden, das Aſthma bekommen, wegen gänz¬ lichen Mangels an Punkten, und an den Rapſodien des Herrn Pittſchaft wäre ich beinahe erſtickt, wegen des Ueberfluſſes an Punkten. Nein, ſo ein pünkt¬ licher Mann iſt mir noch gar nicht vorgekommen. IV. 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/79
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/79>, abgerufen am 25.11.2024.