dem andern, und fordert keinen für ihn. Kurz, Berriot ist ein Nebenbuhler, der meiner würdig ist, und da Madame Malibran das Unglück hat, mich gar nicht zu kennen, konnte sie keine bessere Wahl treffen.
Schon seit zehn Jahren komme ich nach Paris, und erst vor vierzehn Tagen habe ich die berühmte Mars zum erstenmal spielen sehen. Aber das Sie ja meine Ungeschicklichkeiten keinem verrathen! Ich hätte Ihnen früher über jenen Abend geschrieben, aber ich wußte nicht, was ich Ihnen sagen sollte, und ich weiß es heute noch nicht was ich davon den¬ ken soll. Die Sache ist: ich habe alle Uebung im Kunsturtheile verloren. In frühern Jahren war ich, wie mich mehrere dramatische Dichter und Schau¬ spieler, deren Stücke und deren Spiel ich gelobt, versichert haben, ein sehr guter Theaterkritiker; aber seitdem hat das unverschämt prosaische Europa mich aus aller Aesthetik geworfen. Ich glaube, daß die Mars die größte Künstlerin ist, als welche sie den Ruhm hat; aber ich weiß es noch nicht. Doch weiß ich auch nichts im geringsten, was diesen Glau¬ ben schwankend machen könnte. So viel merkte ich wohl, daß sie in den gewöhnlichen Momenten des Spiels sehr ökonomisch ist mit ihren Mitteln, und man darum, den Reichthum ihrer Kunst zu beurthei¬ len, erst jene Feierlichkeiten des Herzens abwarten
dem andern, und fordert keinen für ihn. Kurz, Berriot iſt ein Nebenbuhler, der meiner würdig iſt, und da Madame Malibran das Unglück hat, mich gar nicht zu kennen, konnte ſie keine beſſere Wahl treffen.
Schon ſeit zehn Jahren komme ich nach Paris, und erſt vor vierzehn Tagen habe ich die berühmte Mars zum erſtenmal ſpielen ſehen. Aber das Sie ja meine Ungeſchicklichkeiten keinem verrathen! Ich hätte Ihnen früher über jenen Abend geſchrieben, aber ich wußte nicht, was ich Ihnen ſagen ſollte, und ich weiß es heute noch nicht was ich davon den¬ ken ſoll. Die Sache iſt: ich habe alle Uebung im Kunſturtheile verloren. In frühern Jahren war ich, wie mich mehrere dramatiſche Dichter und Schau¬ ſpieler, deren Stücke und deren Spiel ich gelobt, verſichert haben, ein ſehr guter Theaterkritiker; aber ſeitdem hat das unverſchämt proſaiſche Europa mich aus aller Aeſthetik geworfen. Ich glaube, daß die Mars die größte Künſtlerin iſt, als welche ſie den Ruhm hat; aber ich weiß es noch nicht. Doch weiß ich auch nichts im geringſten, was dieſen Glau¬ ben ſchwankend machen könnte. So viel merkte ich wohl, daß ſie in den gewöhnlichen Momenten des Spiels ſehr ökonomiſch iſt mit ihren Mitteln, und man darum, den Reichthum ihrer Kunſt zu beurthei¬ len, erſt jene Feierlichkeiten des Herzens abwarten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0061"n="47"/>
dem andern, und fordert keinen für ihn. Kurz,<lb/>
Berriot iſt ein Nebenbuhler, der meiner würdig iſt,<lb/>
und da Madame Malibran das Unglück hat, mich<lb/>
gar nicht zu kennen, konnte ſie keine beſſere Wahl<lb/><choice><sic>teffern</sic><corr>treffen</corr></choice>.</p><lb/><p>Schon ſeit zehn Jahren komme ich nach Paris,<lb/>
und erſt vor vierzehn Tagen habe ich die berühmte<lb/>
Mars zum erſtenmal ſpielen ſehen. Aber das Sie<lb/>
ja meine Ungeſchicklichkeiten keinem verrathen! Ich<lb/>
hätte Ihnen früher über jenen Abend geſchrieben,<lb/>
aber ich wußte nicht, was ich Ihnen ſagen ſollte,<lb/>
und ich weiß es heute noch nicht was ich davon den¬<lb/>
ken ſoll. Die Sache iſt: ich habe alle Uebung im<lb/>
Kunſturtheile verloren. In frühern Jahren war ich,<lb/>
wie mich mehrere dramatiſche Dichter und Schau¬<lb/>ſpieler, deren Stücke und deren Spiel ich gelobt,<lb/>
verſichert haben, ein ſehr guter Theaterkritiker; aber<lb/>ſeitdem hat das unverſchämt proſaiſche Europa mich<lb/>
aus aller Aeſthetik geworfen. Ich <hirendition="#g">glaube</hi>, daß die<lb/>
Mars die größte Künſtlerin iſt, als welche ſie den<lb/>
Ruhm hat; aber ich weiß es noch nicht. Doch<lb/>
weiß ich auch nichts im geringſten, was dieſen Glau¬<lb/>
ben ſchwankend machen könnte. So viel merkte ich<lb/>
wohl, daß ſie in den gewöhnlichen Momenten des<lb/>
Spiels ſehr ökonomiſch iſt mit ihren Mitteln, und<lb/>
man darum, den Reichthum ihrer Kunſt zu beurthei¬<lb/>
len, erſt jene Feierlichkeiten des Herzens abwarten<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[47/0061]
dem andern, und fordert keinen für ihn. Kurz,
Berriot iſt ein Nebenbuhler, der meiner würdig iſt,
und da Madame Malibran das Unglück hat, mich
gar nicht zu kennen, konnte ſie keine beſſere Wahl
treffen.
Schon ſeit zehn Jahren komme ich nach Paris,
und erſt vor vierzehn Tagen habe ich die berühmte
Mars zum erſtenmal ſpielen ſehen. Aber das Sie
ja meine Ungeſchicklichkeiten keinem verrathen! Ich
hätte Ihnen früher über jenen Abend geſchrieben,
aber ich wußte nicht, was ich Ihnen ſagen ſollte,
und ich weiß es heute noch nicht was ich davon den¬
ken ſoll. Die Sache iſt: ich habe alle Uebung im
Kunſturtheile verloren. In frühern Jahren war ich,
wie mich mehrere dramatiſche Dichter und Schau¬
ſpieler, deren Stücke und deren Spiel ich gelobt,
verſichert haben, ein ſehr guter Theaterkritiker; aber
ſeitdem hat das unverſchämt proſaiſche Europa mich
aus aller Aeſthetik geworfen. Ich glaube, daß die
Mars die größte Künſtlerin iſt, als welche ſie den
Ruhm hat; aber ich weiß es noch nicht. Doch
weiß ich auch nichts im geringſten, was dieſen Glau¬
ben ſchwankend machen könnte. So viel merkte ich
wohl, daß ſie in den gewöhnlichen Momenten des
Spiels ſehr ökonomiſch iſt mit ihren Mitteln, und
man darum, den Reichthum ihrer Kunſt zu beurthei¬
len, erſt jene Feierlichkeiten des Herzens abwarten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/61>, abgerufen am 18.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.