mung hat. Ich kann Ihnen nicht beschreiben, wel¬ chen wohlthuenden Eindruck das Ganze auf mich ge¬ macht. Es war mir, als wäre ich aus der Winter¬ kälte einer beschneiten nordischen Stadt in ein Glas¬ haus gekommen, wo laue Frühlingslüfte und Blumen¬ düfte mich empfingen. Es [...]war etwas aus einer fremden Zone und aus einer schönern Jahreszeit. Und doch war ich mit keinem vorbereitet günstigem Gefühle, sondern ganz anders, mit unfreundlichen Gedanken dahin gekommen. Ich hatte mir fest ver¬ sprochen: dort findest du Menschen, die einem Jahr¬ hunderte und einer Welt vorausgeeilt, oder die Jahr¬ tausende zurückgegangen, um das Kinderparadies der Menschheit aufzusuchen; und du findest sie mit den neuesten Gesichtern vom 9. Februar 1832, mit den Meinungen, Reden, Gesinnungen, Witzworten, Fra¬ gen und Antworten und dem ganzen ewigen Kalen¬ der aller Franzosen und Pariser. Ich fand sie nicht so. Es schwebte ein Geist heitern Friedens über diesen Menschen, ein Band der Verschwisterung um¬ schlang sie Alle und ich fühlte mich mit umschlungen. Eine Art Wehmuth überschlich mich, ich setzte mich nieder, und unbekannte Gefühle lullten mich in eine Vergessenheit, die mich dem Schlummer nahe brachte. War es der magnetische Geist des Glaubens, der auch den Ungläubigen ergreift wider seinen Willen? Ich weiß nicht. Aber schweigende Begeisterung muß
mung hat. Ich kann Ihnen nicht beſchreiben, wel¬ chen wohlthuenden Eindruck das Ganze auf mich ge¬ macht. Es war mir, als wäre ich aus der Winter¬ kälte einer beſchneiten nordiſchen Stadt in ein Glas¬ haus gekommen, wo laue Frühlingslüfte und Blumen¬ düfte mich empfingen. Es […]war etwas aus einer fremden Zone und aus einer ſchönern Jahreszeit. Und doch war ich mit keinem vorbereitet günſtigem Gefühle, ſondern ganz anders, mit unfreundlichen Gedanken dahin gekommen. Ich hatte mir feſt ver¬ ſprochen: dort findeſt du Menſchen, die einem Jahr¬ hunderte und einer Welt vorausgeeilt, oder die Jahr¬ tauſende zurückgegangen, um das Kinderparadies der Menſchheit aufzuſuchen; und du findeſt ſie mit den neueſten Geſichtern vom 9. Februar 1832, mit den Meinungen, Reden, Geſinnungen, Witzworten, Fra¬ gen und Antworten und dem ganzen ewigen Kalen¬ der aller Franzoſen und Pariſer. Ich fand ſie nicht ſo. Es ſchwebte ein Geiſt heitern Friedens über dieſen Menſchen, ein Band der Verſchwiſterung um¬ ſchlang ſie Alle und ich fühlte mich mit umſchlungen. Eine Art Wehmuth überſchlich mich, ich ſetzte mich nieder, und unbekannte Gefühle lullten mich in eine Vergeſſenheit, die mich dem Schlummer nahe brachte. War es der magnetiſche Geiſt des Glaubens, der auch den Ungläubigen ergreift wider ſeinen Willen? Ich weiß nicht. Aber ſchweigende Begeiſterung muß
<TEI><text><body><divn="1"><div><p><pbfacs="#f0167"n="153"/>
mung hat. Ich kann Ihnen nicht beſchreiben, wel¬<lb/>
chen wohlthuenden Eindruck das Ganze auf mich ge¬<lb/>
macht. Es war mir, als wäre ich aus der Winter¬<lb/>
kälte einer beſchneiten nordiſchen Stadt in ein Glas¬<lb/>
haus gekommen, wo laue Frühlingslüfte und Blumen¬<lb/>
düfte mich empfingen. Es <choice><sic>.</sic><corr/></choice>war etwas aus einer<lb/>
fremden Zone und aus einer ſchönern Jahreszeit.<lb/>
Und doch war ich mit keinem vorbereitet günſtigem<lb/>
Gefühle, ſondern ganz anders, mit unfreundlichen<lb/>
Gedanken dahin gekommen. Ich hatte mir feſt ver¬<lb/>ſprochen: dort findeſt du Menſchen, die einem Jahr¬<lb/>
hunderte und einer Welt vorausgeeilt, oder die Jahr¬<lb/>
tauſende zurückgegangen, um das Kinderparadies der<lb/>
Menſchheit aufzuſuchen; und du findeſt ſie mit den<lb/>
neueſten Geſichtern vom 9. Februar 1832, mit den<lb/>
Meinungen, Reden, Geſinnungen, Witzworten, Fra¬<lb/>
gen und Antworten und dem ganzen ewigen Kalen¬<lb/>
der aller Franzoſen und Pariſer. Ich fand ſie nicht<lb/>ſo. Es ſchwebte ein Geiſt heitern Friedens über<lb/>
dieſen Menſchen, ein Band der Verſchwiſterung um¬<lb/>ſchlang ſie Alle und ich fühlte mich mit umſchlungen.<lb/>
Eine Art Wehmuth überſchlich mich, ich ſetzte mich<lb/>
nieder, und unbekannte Gefühle lullten mich in eine<lb/>
Vergeſſenheit, die mich dem Schlummer nahe brachte.<lb/>
War es der magnetiſche Geiſt des Glaubens, der<lb/>
auch den Ungläubigen ergreift wider ſeinen Willen?<lb/>
Ich weiß nicht. Aber ſchweigende Begeiſterung muß<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[153/0167]
mung hat. Ich kann Ihnen nicht beſchreiben, wel¬
chen wohlthuenden Eindruck das Ganze auf mich ge¬
macht. Es war mir, als wäre ich aus der Winter¬
kälte einer beſchneiten nordiſchen Stadt in ein Glas¬
haus gekommen, wo laue Frühlingslüfte und Blumen¬
düfte mich empfingen. Es war etwas aus einer
fremden Zone und aus einer ſchönern Jahreszeit.
Und doch war ich mit keinem vorbereitet günſtigem
Gefühle, ſondern ganz anders, mit unfreundlichen
Gedanken dahin gekommen. Ich hatte mir feſt ver¬
ſprochen: dort findeſt du Menſchen, die einem Jahr¬
hunderte und einer Welt vorausgeeilt, oder die Jahr¬
tauſende zurückgegangen, um das Kinderparadies der
Menſchheit aufzuſuchen; und du findeſt ſie mit den
neueſten Geſichtern vom 9. Februar 1832, mit den
Meinungen, Reden, Geſinnungen, Witzworten, Fra¬
gen und Antworten und dem ganzen ewigen Kalen¬
der aller Franzoſen und Pariſer. Ich fand ſie nicht
ſo. Es ſchwebte ein Geiſt heitern Friedens über
dieſen Menſchen, ein Band der Verſchwiſterung um¬
ſchlang ſie Alle und ich fühlte mich mit umſchlungen.
Eine Art Wehmuth überſchlich mich, ich ſetzte mich
nieder, und unbekannte Gefühle lullten mich in eine
Vergeſſenheit, die mich dem Schlummer nahe brachte.
War es der magnetiſche Geiſt des Glaubens, der
auch den Ungläubigen ergreift wider ſeinen Willen?
Ich weiß nicht. Aber ſchweigende Begeiſterung muß
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/167>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.