"Im Jahre 1070 brach in Peking eine sonder¬ "bare Krankheit aus, deren Wirkung sich an den "Haaren derjenigen zeigte, die in freier Luft lebten. "In kurzer Zeit verlohr der Kranke die Hälfte sei¬ "ner Haare und darauf starb er. Als der damalige "Kaiser Tschanglug dieses erfuhr, sagte er mit be¬ "stimmten Worten, er wolle von dieser Krank¬ "heit nichts hören. Dieser höchste Wille, mit "Festigkeit ausgedrückt, machte die Seuche verschwin¬ "den." Gute Nacht.
Freitag, den 3. Februar.
Ist denn das Alles wahr, was ich in einer Stuttgarter Zeitung gelesen, wie neulich die Frank¬ furter beim Durchzuge der Polen durch manches schöne Wort eine noch schönere Gesinnung offenbart? Einer, der vor dem Wagen der Polen zog, sagte: "Dir helf ich ziehen, Philipp, was geht mich Kaiser "und König an? Das hier sind brave Kerle, das "weiß ich." Ein Anderer, den man abwendig ma¬ chen wollte, antwortete: "Ei, Ihr habt die Sontag "ziehen wollen; die haben den Russen noch etwas "ganz Anderes vorgesungen." Ein dritter äußerte: "wir müssen den jungen Leuten zeigen, daß "wir keine Preußen sind." Der Berichterstat¬ ter in der Stuttgarter Zeitung bemerkte hierbei, daß die Frankfurter, die sich so geäußert, aus den nie¬
„Im Jahre 1070 brach in Peking eine ſonder¬ „bare Krankheit aus, deren Wirkung ſich an den „Haaren derjenigen zeigte, die in freier Luft lebten. „In kurzer Zeit verlohr der Kranke die Hälfte ſei¬ „ner Haare und darauf ſtarb er. Als der damalige „Kaiſer Tſchanglug dieſes erfuhr, ſagte er mit be¬ „ſtimmten Worten, er wolle von dieſer Krank¬ „heit nichts hören. Dieſer höchſte Wille, mit „Feſtigkeit ausgedrückt, machte die Seuche verſchwin¬ „den.“ Gute Nacht.
Freitag, den 3. Februar.
Iſt denn das Alles wahr, was ich in einer Stuttgarter Zeitung geleſen, wie neulich die Frank¬ furter beim Durchzuge der Polen durch manches ſchöne Wort eine noch ſchönere Geſinnung offenbart? Einer, der vor dem Wagen der Polen zog, ſagte: „Dir helf ich ziehen, Philipp, was geht mich Kaiſer „und König an? Das hier ſind brave Kerle, das „weiß ich.“ Ein Anderer, den man abwendig ma¬ chen wollte, antwortete: „Ei, Ihr habt die Sontag „ziehen wollen; die haben den Ruſſen noch etwas „ganz Anderes vorgeſungen.“ Ein dritter äußerte: „wir müſſen den jungen Leuten zeigen, daß „wir keine Preußen ſind.“ Der Berichterſtat¬ ter in der Stuttgarter Zeitung bemerkte hierbei, daß die Frankfurter, die ſich ſo geäußert, aus den nie¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0139"n="125"/><p>„Im Jahre 1070 brach in Peking eine ſonder¬<lb/>„bare Krankheit aus, deren Wirkung ſich an den<lb/>„Haaren derjenigen zeigte, die in freier Luft lebten.<lb/>„In kurzer Zeit verlohr der Kranke die Hälfte ſei¬<lb/>„ner Haare und darauf ſtarb er. Als der damalige<lb/>„Kaiſer Tſchanglug dieſes erfuhr, ſagte er mit be¬<lb/>„ſtimmten Worten, <hirendition="#g">er wolle von dieſer Krank¬</hi><lb/>„<hirendition="#g">heit nichts hören</hi>. Dieſer höchſte Wille, mit<lb/>„Feſtigkeit ausgedrückt, machte die Seuche verſchwin¬<lb/>„den.“ Gute Nacht.</p><lb/></div><div><dateline><hirendition="#right">Freitag, den 3. Februar.</hi></dateline><lb/><p>Iſt denn das Alles wahr, was ich in einer<lb/>
Stuttgarter Zeitung geleſen, wie neulich die Frank¬<lb/>
furter beim Durchzuge der Polen durch manches<lb/>ſchöne Wort eine noch ſchönere Geſinnung offenbart?<lb/>
Einer, der vor dem Wagen der Polen zog, ſagte:<lb/>„Dir helf ich ziehen, Philipp, was geht mich Kaiſer<lb/>„und König an? Das hier ſind brave Kerle, das<lb/>„weiß ich.“ Ein Anderer, den man abwendig ma¬<lb/>
chen wollte, antwortete: „Ei, Ihr habt die <hirendition="#g">Sontag</hi><lb/>„ziehen wollen; <hirendition="#g">die</hi> haben den Ruſſen noch etwas<lb/>„ganz Anderes vorgeſungen.“ Ein dritter äußerte:<lb/>„<hirendition="#g">wir müſſen den jungen Leuten zeigen</hi>, <hirendition="#g">daß</hi><lb/>„<hirendition="#g">wir keine Preußen ſind</hi>.“ Der Berichterſtat¬<lb/>
ter in der Stuttgarter Zeitung bemerkte hierbei, daß<lb/>
die Frankfurter, die ſich ſo geäußert, aus den nie¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[125/0139]
„Im Jahre 1070 brach in Peking eine ſonder¬
„bare Krankheit aus, deren Wirkung ſich an den
„Haaren derjenigen zeigte, die in freier Luft lebten.
„In kurzer Zeit verlohr der Kranke die Hälfte ſei¬
„ner Haare und darauf ſtarb er. Als der damalige
„Kaiſer Tſchanglug dieſes erfuhr, ſagte er mit be¬
„ſtimmten Worten, er wolle von dieſer Krank¬
„heit nichts hören. Dieſer höchſte Wille, mit
„Feſtigkeit ausgedrückt, machte die Seuche verſchwin¬
„den.“ Gute Nacht.
Freitag, den 3. Februar.
Iſt denn das Alles wahr, was ich in einer
Stuttgarter Zeitung geleſen, wie neulich die Frank¬
furter beim Durchzuge der Polen durch manches
ſchöne Wort eine noch ſchönere Geſinnung offenbart?
Einer, der vor dem Wagen der Polen zog, ſagte:
„Dir helf ich ziehen, Philipp, was geht mich Kaiſer
„und König an? Das hier ſind brave Kerle, das
„weiß ich.“ Ein Anderer, den man abwendig ma¬
chen wollte, antwortete: „Ei, Ihr habt die Sontag
„ziehen wollen; die haben den Ruſſen noch etwas
„ganz Anderes vorgeſungen.“ Ein dritter äußerte:
„wir müſſen den jungen Leuten zeigen, daß
„wir keine Preußen ſind.“ Der Berichterſtat¬
ter in der Stuttgarter Zeitung bemerkte hierbei, daß
die Frankfurter, die ſich ſo geäußert, aus den nie¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/139>, abgerufen am 17.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.