len sehen. Ist es aber nicht wunderlich, daß die Fürsten, so oft sie die Freiheit unterdrücken wollen, keines Menschen Rath brauchen, sondern auf der Stelle mit sich einig und entschlossen sind; sobald sie aber ihren Völkern Freiheit ge¬ ben wollen, bei allen Leuten herumfragen, was sie davon halten, und sehr herablassend dem ge¬ ringsten ihrer Unterthanen erlauben, nur ohne Scheu seine Meinung zu sagen? Die künftige polnische Freiheit wird man in Wien auf der Straße predigen dürfen; so unschuldig wird sie seyn. Darin aber irren sich so viele Menschen, daß sie glauben, Rußland, Oesterreich und Preu¬ ßen versagten ihren Völkern constitutionelle Frei¬ heit, und verhinderten deren Entwicklung in den kleinen Staaten, blos aus Haß gegen die Frei¬ heit allein und aus Liebe zur unbeschränkten Herrschaft. Das ist freilich ein Hauptbeweg¬ grund, aber es ist nicht der einzige. Der an¬ dere liegt darin: daß wenn die großen Mächte
len ſehen. Iſt es aber nicht wunderlich, daß die Fuͤrſten, ſo oft ſie die Freiheit unterdruͤcken wollen, keines Menſchen Rath brauchen, ſondern auf der Stelle mit ſich einig und entſchloſſen ſind; ſobald ſie aber ihren Voͤlkern Freiheit ge¬ ben wollen, bei allen Leuten herumfragen, was ſie davon halten, und ſehr herablaſſend dem ge¬ ringſten ihrer Unterthanen erlauben, nur ohne Scheu ſeine Meinung zu ſagen? Die kuͤnftige polniſche Freiheit wird man in Wien auf der Straße predigen duͤrfen; ſo unſchuldig wird ſie ſeyn. Darin aber irren ſich ſo viele Menſchen, daß ſie glauben, Rußland, Oeſterreich und Preu¬ ßen verſagten ihren Voͤlkern conſtitutionelle Frei¬ heit, und verhinderten deren Entwicklung in den kleinen Staaten, blos aus Haß gegen die Frei¬ heit allein und aus Liebe zur unbeſchraͤnkten Herrſchaft. Das iſt freilich ein Hauptbeweg¬ grund, aber es iſt nicht der einzige. Der an¬ dere liegt darin: daß wenn die großen Maͤchte
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len ſehen. Iſt es aber nicht wunderlich, daß
die Fuͤrſten, ſo oft ſie die Freiheit unterdruͤcken
wollen, keines Menſchen Rath brauchen, ſondern
auf der Stelle mit ſich einig und entſchloſſen
ſind; ſobald ſie aber ihren Voͤlkern Freiheit ge¬
ben wollen, bei allen Leuten herumfragen, was
ſie davon halten, und ſehr herablaſſend dem ge¬
ringſten ihrer Unterthanen erlauben, nur ohne
Scheu ſeine Meinung zu ſagen? Die kuͤnftige
polniſche Freiheit wird man in Wien auf der
Straße predigen duͤrfen; ſo unſchuldig wird ſie
ſeyn. Darin aber irren ſich ſo viele Menſchen,
daß ſie glauben, Rußland, Oeſterreich und Preu¬
ßen verſagten ihren Voͤlkern conſtitutionelle Frei¬
heit, und verhinderten deren Entwicklung in den
kleinen Staaten, blos aus Haß gegen die Frei¬
heit allein und aus Liebe zur unbeſchraͤnkten
Herrſchaft. Das iſt freilich ein Hauptbeweg¬
grund, aber es iſt nicht der einzige. Der an¬
dere liegt darin: daß wenn die großen Maͤchte
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 3. Paris, 1833, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833/196>, abgerufen am 23.11.2024.
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