Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.den Reden und Aeußerungen des Volks. Man muß -- Unter dem Namen Neorama wird hier ein II. 5
den Reden und Aeußerungen des Volks. Man muß — Unter dem Namen Neorama wird hier ein II. 5
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0079" n="65"/> den Reden und Aeußerungen des Volks. Man muß<lb/> erſtaunen über dieſen geſunden Menſchenverſtand.<lb/> Wahrlich, unſere Staatsmänner, die Herren Seba¬<lb/> ſtiani, Guizot, ſogar Talleyrand, könnten bei ihm<lb/> in die Schule gehen. Und dieſes ſogenannte, ſo ge¬<lb/> ſcholtene <hi rendition="#g">Volk</hi> verachtet man überall; man verachtet<lb/> die Mehrzahl einer Nation, der weder der Reichthum<lb/> das Herz verdorben, noch das Wiſſen den Kopf!<lb/> Man klagt deſſen wilde Leidenſchaften an, weil es<lb/> zu edelmüthig iſt, gleich den Vornehmen, ſeinen Haß<lb/> in eine kleine Pille zu verſchließen, die man dem ſorg¬<lb/> loſen Feinde mit Lächeln beibringen kann! Man ver¬<lb/> ſpottet ſeine Dummheit, weil es nicht nimmer ſo<lb/> klug iſt, ſeinen eignen Vortheil dem Rechte vorzu¬<lb/> ziehen! Ich finde wahre menſchliche Bildung nur<lb/> im Pöbel, und den wahren Pöbel nur in den Ge¬<lb/> bildeten.</p><lb/> <p>— Unter dem Namen <hi rendition="#g">Neorama</hi> wird hier ein<lb/> Rundgemälde von unglaublicher Wirkung gezeigt.<lb/> Das Ihnen bekannte Diorama ſtellt das Inwendige<lb/> der Kirchen vor, aber nur im Halbkreiſe, der Be¬<lb/> ſchauer ſtehet außer ihnen. Im Neorama aber wird<lb/> man mitten in die Kirche geſtellt. Es iſt wie Zau<lb/> berei. Man ſtehet auf dem Chore und ſiehet unter<lb/> ſich den Boden der Kirche, und auch die Säulen, die<lb/> Grabmäler, die Menſchen, und über ſich das Ge¬<lb/> wölbe. Ganz die Natur. So <choice><sic>lernnt</sic><corr>lernt</corr></choice> man die Pauls¬<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">II.</hi> 5<lb/></fw> </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [65/0079]
den Reden und Aeußerungen des Volks. Man muß
erſtaunen über dieſen geſunden Menſchenverſtand.
Wahrlich, unſere Staatsmänner, die Herren Seba¬
ſtiani, Guizot, ſogar Talleyrand, könnten bei ihm
in die Schule gehen. Und dieſes ſogenannte, ſo ge¬
ſcholtene Volk verachtet man überall; man verachtet
die Mehrzahl einer Nation, der weder der Reichthum
das Herz verdorben, noch das Wiſſen den Kopf!
Man klagt deſſen wilde Leidenſchaften an, weil es
zu edelmüthig iſt, gleich den Vornehmen, ſeinen Haß
in eine kleine Pille zu verſchließen, die man dem ſorg¬
loſen Feinde mit Lächeln beibringen kann! Man ver¬
ſpottet ſeine Dummheit, weil es nicht nimmer ſo
klug iſt, ſeinen eignen Vortheil dem Rechte vorzu¬
ziehen! Ich finde wahre menſchliche Bildung nur
im Pöbel, und den wahren Pöbel nur in den Ge¬
bildeten.
— Unter dem Namen Neorama wird hier ein
Rundgemälde von unglaublicher Wirkung gezeigt.
Das Ihnen bekannte Diorama ſtellt das Inwendige
der Kirchen vor, aber nur im Halbkreiſe, der Be¬
ſchauer ſtehet außer ihnen. Im Neorama aber wird
man mitten in die Kirche geſtellt. Es iſt wie Zau
berei. Man ſtehet auf dem Chore und ſiehet unter
ſich den Boden der Kirche, und auch die Säulen, die
Grabmäler, die Menſchen, und über ſich das Ge¬
wölbe. Ganz die Natur. So lernt man die Pauls¬
II. 5
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