kühlen blauen Himmel von finstern Wolken halb weg¬ zensirt -- und das ist alles. Aber wir Götter in Paris -- es ist nicht zu beschreiben. Es ist ein Himmel wie im Himmel. Die Luft küßt alle Men¬ schen, die alten Leute knöpfen ihre Röcke auf und lächeln; die kleinen Kinder sind ganz leicht bekleidet, und die Stutzer und die Stutzerinnen, die der Früh¬ ling überrascht, stehen ganz verlegen da, als hätte man sie nackt gefunden, und wissen in der Angst gar nicht, womit sie sich bedecken sollen. Gestern, im Jardin des Plantes, wimmelte es von Menschen, als wären sie wie Käfer aus der Erde hervor ge¬ krochen, von den Bäumen herab gefallen. Kein Stuhl, keine Bank war unbesetzt; tausend Schulkin¬ der jubelten wie die Lerchen, der Elephant bekam ei¬ nen ganzen Bäckerladen in den Russel gesteckt, und die Löwen und die Tiger und Bären waren vor den vielen Damen herum nicht zu sehen. Man konnte kaum hinein kommen vor vielen Kutschen am Gitter. So auch heute in den Tuilerien. Man sucht nicht die Sonne, man sucht den Schatten. Es ist ein einziger Platz, oben auf der Terrasse, wo man auf den Platz Louis XVI. hinabsieht! Und da unter einem Baume zu sitzen, diese Luft zu trinken, die wie warme Limonade schmeckt, und dabei in der Zeitung zu lesen, daß die Russen ihre Ketten schüt¬ teln, und die heißen Italiener ihre Jacken ausziehen
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kühlen blauen Himmel von finſtern Wolken halb weg¬ zenſirt — und das iſt alles. Aber wir Götter in Paris — es iſt nicht zu beſchreiben. Es iſt ein Himmel wie im Himmel. Die Luft küßt alle Men¬ ſchen, die alten Leute knöpfen ihre Röcke auf und lächeln; die kleinen Kinder ſind ganz leicht bekleidet, und die Stutzer und die Stutzerinnen, die der Früh¬ ling überraſcht, ſtehen ganz verlegen da, als hätte man ſie nackt gefunden, und wiſſen in der Angſt gar nicht, womit ſie ſich bedecken ſollen. Geſtern, im Jardin des Plantes, wimmelte es von Menſchen, als wären ſie wie Käfer aus der Erde hervor ge¬ krochen, von den Bäumen herab gefallen. Kein Stuhl, keine Bank war unbeſetzt; tauſend Schulkin¬ der jubelten wie die Lerchen, der Elephant bekam ei¬ nen ganzen Bäckerladen in den Ruſſel geſteckt, und die Löwen und die Tiger und Bären waren vor den vielen Damen herum nicht zu ſehen. Man konnte kaum hinein kommen vor vielen Kutſchen am Gitter. So auch heute in den Tuilerien. Man ſucht nicht die Sonne, man ſucht den Schatten. Es iſt ein einziger Platz, oben auf der Terraſſe, wo man auf den Platz Louis XVI. hinabſieht! Und da unter einem Baume zu ſitzen, dieſe Luft zu trinken, die wie warme Limonade ſchmeckt, und dabei in der Zeitung zu leſen, daß die Ruſſen ihre Ketten ſchüt¬ teln, und die heißen Italiener ihre Jacken ausziehen
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kühlen blauen Himmel von finſtern Wolken halb weg¬
zenſirt — und das iſt alles. Aber wir Götter in
Paris — es iſt nicht zu beſchreiben. Es iſt ein
Himmel wie im Himmel. Die Luft küßt alle Men¬
ſchen, die alten Leute knöpfen ihre Röcke auf und
lächeln; die kleinen Kinder ſind ganz leicht bekleidet,
und die Stutzer und die Stutzerinnen, die der Früh¬
ling überraſcht, ſtehen ganz verlegen da, als hätte
man ſie nackt gefunden, und wiſſen in der Angſt gar
nicht, womit ſie ſich bedecken ſollen. Geſtern, im
Jardin des Plantes, wimmelte es von Menſchen,
als wären ſie wie Käfer aus der Erde hervor ge¬
krochen, von den Bäumen herab gefallen. Kein
Stuhl, keine Bank war unbeſetzt; tauſend Schulkin¬
der jubelten wie die Lerchen, der Elephant bekam ei¬
nen ganzen Bäckerladen in den Ruſſel geſteckt, und
die Löwen und die Tiger und Bären waren vor den
vielen Damen herum nicht zu ſehen. Man konnte
kaum hinein kommen vor vielen Kutſchen am Gitter.
So auch heute in den Tuilerien. Man ſucht nicht
die Sonne, man ſucht den Schatten. Es iſt ein
einziger Platz, oben auf der Terraſſe, wo man auf
den Platz Louis XVI. hinabſieht! Und da unter
einem Baume zu ſitzen, dieſe Luft zu trinken, die
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Zeitung zu leſen, daß die Ruſſen ihre Ketten ſchüt¬
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/63>, abgerufen am 16.07.2024.
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