Beschreibung einer gewöhnlichen Reise. Der Ver¬ fasser hat mehr gesehen als Andere, also auch mehr beobachtet. Als vornehmer Herr wurde er von den hohen und höchsten Ständen freundlich angezogen, und da er oft incognito reiste, (er führte sogar wie ein Gauner doppelte Pässe mit falschen Namen) und ein deutscher Edelmann, wenn er seinen Adel ablegt, be¬ scheiden glaubt, es bliebe dann nichts mehr von ihm übrig, drängte er sich mit der Zuversicht eines Un¬ sichtbaren auch in die niedrigsten Stände. Dadurch mußte das Buch gewinnen. Solche Vortheile hat ein deutscher bürgerlicher Reisender nie. Der Ver¬ fasser hat empfänglichen, aber keinen erzeugenden Sinn. Sein Stoff ich reich, aber seine Bearbeitung sehr arm und von dichterischer Kunst keine Spur. Er schreibt leicht, sehr leicht. Das ist manchmal recht angenehm, doch darf es nicht den ganzen Tag dauern. In häuslichem Kreise, zu häuslichem Gespräche ist das gut; wenn aber die Gedanken unter die Leute gehen, müssen sie sich mit Würde und Anstand kleiden. Wer in Deutschland mit so leichtem Fuhrwerke fährt, läßt vermuthen, daß er nicht schwer geladen. Ein guter deutscher Schriftsteller schreibt, daß der Styl unter ihm bricht und daß er mitten im Wege liegen bleibt. Der Verfasser gebraucht französische Redens¬ arten, da, wo es weder nöthig noch schön ist. Er sagt: aventure -- Je devore deja un oeuf --
Beſchreibung einer gewöhnlichen Reiſe. Der Ver¬ faſſer hat mehr geſehen als Andere, alſo auch mehr beobachtet. Als vornehmer Herr wurde er von den hohen und höchſten Ständen freundlich angezogen, und da er oft incognito reiſte, (er führte ſogar wie ein Gauner doppelte Päſſe mit falſchen Namen) und ein deutſcher Edelmann, wenn er ſeinen Adel ablegt, be¬ ſcheiden glaubt, es bliebe dann nichts mehr von ihm übrig, drängte er ſich mit der Zuverſicht eines Un¬ ſichtbaren auch in die niedrigſten Stände. Dadurch mußte das Buch gewinnen. Solche Vortheile hat ein deutſcher bürgerlicher Reiſender nie. Der Ver¬ faſſer hat empfänglichen, aber keinen erzeugenden Sinn. Sein Stoff ich reich, aber ſeine Bearbeitung ſehr arm und von dichteriſcher Kunſt keine Spur. Er ſchreibt leicht, ſehr leicht. Das iſt manchmal recht angenehm, doch darf es nicht den ganzen Tag dauern. In häuslichem Kreiſe, zu häuslichem Geſpräche iſt das gut; wenn aber die Gedanken unter die Leute gehen, müſſen ſie ſich mit Würde und Anſtand kleiden. Wer in Deutſchland mit ſo leichtem Fuhrwerke fährt, läßt vermuthen, daß er nicht ſchwer geladen. Ein guter deutſcher Schriftſteller ſchreibt, daß der Styl unter ihm bricht und daß er mitten im Wege liegen bleibt. Der Verfaſſer gebraucht franzöſiſche Redens¬ arten, da, wo es weder nöthig noch ſchön iſt. Er ſagt: aventure — Je dévore déjà un oeuf —
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Beſchreibung einer gewöhnlichen Reiſe. Der Ver¬
faſſer hat mehr geſehen als Andere, alſo auch mehr
beobachtet. Als vornehmer Herr wurde er von den
hohen und höchſten Ständen freundlich angezogen, und
da er oft incognito reiſte, (er führte ſogar wie ein
Gauner doppelte Päſſe mit falſchen Namen) und ein
deutſcher Edelmann, wenn er ſeinen Adel ablegt, be¬
ſcheiden glaubt, es bliebe dann nichts mehr von ihm
übrig, drängte er ſich mit der Zuverſicht eines Un¬
ſichtbaren auch in die niedrigſten Stände. Dadurch
mußte das Buch gewinnen. Solche Vortheile hat
ein deutſcher bürgerlicher Reiſender nie. Der Ver¬
faſſer hat empfänglichen, aber keinen erzeugenden Sinn.
Sein Stoff ich reich, aber ſeine Bearbeitung ſehr
arm und von dichteriſcher Kunſt keine Spur. Er
ſchreibt leicht, ſehr leicht. Das iſt manchmal recht
angenehm, doch darf es nicht den ganzen Tag dauern.
In häuslichem Kreiſe, zu häuslichem Geſpräche iſt
das gut; wenn aber die Gedanken unter die Leute
gehen, müſſen ſie ſich mit Würde und Anſtand kleiden.
Wer in Deutſchland mit ſo leichtem Fuhrwerke fährt,
läßt vermuthen, daß er nicht ſchwer geladen. Ein
guter deutſcher Schriftſteller ſchreibt, daß der Styl
unter ihm bricht und daß er mitten im Wege liegen
bleibt. Der Verfaſſer gebraucht franzöſiſche Redens¬
arten, da, wo es weder nöthig noch ſchön iſt. Er
ſagt: aventure — Je dévore déjà un oeuf —
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/50>, abgerufen am 16.02.2025.
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