lung, oder bei den kleinen im Senate, weiß ich, was man ihnen sagt -- es ist als wäre ich gegenwärtig. Oeffentlich wird man sie barsch abweisen, unter vier Augen aber wird man den Diplomaten, den Pfiffigen unter den Juden sagen: "Lieben Leute, jetzt ist gar nicht die Zeit an diese Sache zu rühren. In Deutsch¬ land ist ohnedies alles in Bewegung, das Volk ist aufgeregt, die allgemeine Stimmung gegen euch, so daß, wenn wir euch jetzt Freiheiten bewilligten, die¬ ses üble Folgen hätte, für die allgemeine Ruhe, und für euch selbst." Und unser jüdischer Adel wird das sehr gut verstehen, und beifällig mit den Augen blin¬ zeln, und beim Heruntergehen dem jüdischen Pöbel vor der Thüre zurufen: Packt euch zum Teufel, ihr seid dumm und unverschämt! ... Von einem jü¬ dischen Comite und dessen Schreibereien erwarte ich nichts. Es sind eben Deutsche, wie die Andern auch. Sie sind in einem unseligen Wahne befangen. Ihre Ehrlichkeit richtet sie zu Grunde. Sie meinen im¬ mer noch, es käme darauf an, Recht zu haben, zu zeigen, daß man es hat. Jetzt sprechen sie für die Freiheit wie ein Advokat für einen Besitz. Als käme es hier noch auf Gründe an, als wäre seit einem halben Jahrhunderte nicht alles ausgeschöpft worden, was man für Freiheit, für Menschenrechte, für Bür¬ gerrechte der Juden sagen kann. Das alles weiß der Tyrann so gut als der Sklave selbst. Gewalt
lung, oder bei den kleinen im Senate, weiß ich, was man ihnen ſagt — es iſt als wäre ich gegenwärtig. Oeffentlich wird man ſie barſch abweiſen, unter vier Augen aber wird man den Diplomaten, den Pfiffigen unter den Juden ſagen: „Lieben Leute, jetzt iſt gar nicht die Zeit an dieſe Sache zu rühren. In Deutſch¬ land iſt ohnedies alles in Bewegung, das Volk iſt aufgeregt, die allgemeine Stimmung gegen euch, ſo daß, wenn wir euch jetzt Freiheiten bewilligten, die¬ ſes üble Folgen hätte, für die allgemeine Ruhe, und für euch ſelbſt.“ Und unſer jüdiſcher Adel wird das ſehr gut verſtehen, und beifällig mit den Augen blin¬ zeln, und beim Heruntergehen dem jüdiſchen Pöbel vor der Thüre zurufen: Packt euch zum Teufel, ihr ſeid dumm und unverſchämt! ... Von einem jü¬ diſchen Comité und deſſen Schreibereien erwarte ich nichts. Es ſind eben Deutſche, wie die Andern auch. Sie ſind in einem unſeligen Wahne befangen. Ihre Ehrlichkeit richtet ſie zu Grunde. Sie meinen im¬ mer noch, es käme darauf an, Recht zu haben, zu zeigen, daß man es hat. Jetzt ſprechen ſie für die Freiheit wie ein Advokat für einen Beſitz. Als käme es hier noch auf Gründe an, als wäre ſeit einem halben Jahrhunderte nicht alles ausgeſchöpft worden, was man für Freiheit, für Menſchenrechte, für Bür¬ gerrechte der Juden ſagen kann. Das alles weiß der Tyrann ſo gut als der Sklave ſelbſt. Gewalt
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lung, oder bei den kleinen im Senate, weiß ich, was
man ihnen ſagt — es iſt als wäre ich gegenwärtig.
Oeffentlich wird man ſie barſch abweiſen, unter vier
Augen aber wird man den Diplomaten, den Pfiffigen
unter den Juden ſagen: „Lieben Leute, jetzt iſt gar
nicht die Zeit an dieſe Sache zu rühren. In Deutſch¬
land iſt ohnedies alles in Bewegung, das Volk iſt
aufgeregt, die allgemeine Stimmung gegen euch, ſo
daß, wenn wir euch jetzt Freiheiten bewilligten, die¬
ſes üble Folgen hätte, für die allgemeine Ruhe, und
für euch ſelbſt.“ Und unſer jüdiſcher Adel wird das
ſehr gut verſtehen, und beifällig mit den Augen blin¬
zeln, und beim Heruntergehen dem jüdiſchen Pöbel
vor der Thüre zurufen: Packt euch zum Teufel, ihr
ſeid dumm und unverſchämt! ... Von einem jü¬
diſchen Comité und deſſen Schreibereien erwarte ich
nichts. Es ſind eben Deutſche, wie die Andern auch.
Sie ſind in einem unſeligen Wahne befangen. Ihre
Ehrlichkeit richtet ſie zu Grunde. Sie meinen im¬
mer noch, es käme darauf an, Recht zu haben, zu
zeigen, daß man es hat. Jetzt ſprechen ſie für die
Freiheit wie ein Advokat für einen Beſitz. Als käme
es hier noch auf Gründe an, als wäre ſeit einem
halben Jahrhunderte nicht alles ausgeſchöpft worden,
was man für Freiheit, für Menſchenrechte, für Bür¬
gerrechte der Juden ſagen kann. Das alles weiß
der Tyrann ſo gut als der Sklave ſelbſt. Gewalt
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/43>, abgerufen am 16.02.2025.
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