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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.

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"friedener mit mir selbst und mit aller Welt, sobald
"eine Frau in meiner Nähe ist." Diese Bemerkung
Byrons hat mich sehr gefreut, denn es geht mir
hierin gerade so wie ihm. Ich glaube dieses auch
erklären zu können, aber das liegt in einem Schranke
meines Kopfes eingeschlossen, wozu ich in diesem
Augenblick nicht den Schlüssel habe. Byron haßte die
Menschen wie er die Weiber haßte -- mit den Lip¬
pen. Weiche Herzen wie das seine, schützt die Na¬
tur oft durch ein Dornengeflechte von Spott und Ta¬
del, damit das Vieh nicht daran nage. Aber
wer kein Schaaf ist, weiß das und fürchtet sich nicht,
dem stechenden Menschenfeinde nahe zu kommen. By¬
ron suchte eine Befriedigung der Eitelkeit darin, für
einen Mann von schlechten Grundsätzen und boshaf¬
tem Gemüthe zu gelten. Weil es ihm schwer fiel,
die angeborene Güte seines Herzens zu besiegen, sah
er es für eine Heldenthat an, wenn ihm dies ein¬
mal gelang. Menschen, die wirklich und mit Leich¬
tigkeit schlecht sind, fällt es nie ein, damit groß zu
thun. Byron sollte einmal für Unglückliche, die, ich
weiß nicht welcher Hülfe bedürftig waren, im Par¬
lamente eine Bittschrift vorlegen. Aber aus Geistes-
Trägheit unterließ er es. Bei diesem Anlasse schrieb
er in sein Tagebuch: "Baldevin hört nicht auf mich

„friedener mit mir ſelbſt und mit aller Welt, ſobald
„eine Frau in meiner Nähe iſt.“ Dieſe Bemerkung
Byrons hat mich ſehr gefreut, denn es geht mir
hierin gerade ſo wie ihm. Ich glaube dieſes auch
erklären zu können, aber das liegt in einem Schranke
meines Kopfes eingeſchloſſen, wozu ich in dieſem
Augenblick nicht den Schlüſſel habe. Byron haßte die
Menſchen wie er die Weiber haßte — mit den Lip¬
pen. Weiche Herzen wie das ſeine, ſchützt die Na¬
tur oft durch ein Dornengeflechte von Spott und Ta¬
del, damit das Vieh nicht daran nage. Aber
wer kein Schaaf iſt, weiß das und fürchtet ſich nicht,
dem ſtechenden Menſchenfeinde nahe zu kommen. By¬
ron ſuchte eine Befriedigung der Eitelkeit darin, für
einen Mann von ſchlechten Grundſätzen und boshaf¬
tem Gemüthe zu gelten. Weil es ihm ſchwer fiel,
die angeborene Güte ſeines Herzens zu beſiegen, ſah
er es für eine Heldenthat an, wenn ihm dies ein¬
mal gelang. Menſchen, die wirklich und mit Leich¬
tigkeit ſchlecht ſind, fällt es nie ein, damit groß zu
thun. Byron ſollte einmal für Unglückliche, die, ich
weiß nicht welcher Hülfe bedürftig waren, im Par¬
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[218/0232] „friedener mit mir ſelbſt und mit aller Welt, ſobald „eine Frau in meiner Nähe iſt.“ Dieſe Bemerkung Byrons hat mich ſehr gefreut, denn es geht mir hierin gerade ſo wie ihm. Ich glaube dieſes auch erklären zu können, aber das liegt in einem Schranke meines Kopfes eingeſchloſſen, wozu ich in dieſem Augenblick nicht den Schlüſſel habe. Byron haßte die Menſchen wie er die Weiber haßte — mit den Lip¬ pen. Weiche Herzen wie das ſeine, ſchützt die Na¬ tur oft durch ein Dornengeflechte von Spott und Ta¬ del, damit das Vieh nicht daran nage. Aber wer kein Schaaf iſt, weiß das und fürchtet ſich nicht, dem ſtechenden Menſchenfeinde nahe zu kommen. By¬ ron ſuchte eine Befriedigung der Eitelkeit darin, für einen Mann von ſchlechten Grundſätzen und boshaf¬ tem Gemüthe zu gelten. Weil es ihm ſchwer fiel, die angeborene Güte ſeines Herzens zu beſiegen, ſah er es für eine Heldenthat an, wenn ihm dies ein¬ mal gelang. Menſchen, die wirklich und mit Leich¬ tigkeit ſchlecht ſind, fällt es nie ein, damit groß zu thun. Byron ſollte einmal für Unglückliche, die, ich weiß nicht welcher Hülfe bedürftig waren, im Par¬ lamente eine Bittſchrift vorlegen. Aber aus Geiſtes- Trägheit unterließ er es. Bei dieſem Anlaſſe ſchrieb er in ſein Tagebuch: „Baldevin hört nicht auf mich

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/232>, abgerufen am 18.12.2024.