Musik scheint mir noch das Beste, was Rossini ge¬ macht. Uebrigens bekümmerte ich mich nicht darum, und ich glaube die Malibran auch nicht. Was aber die Weiber schwache Nerven haben, wenn sie nicht präparirt sind! Diese Malibran, die doch den gan¬ zen Abend so unerschrocken durch Wasser und Feuer ging und alle Elemente aushielt, ohne zu zucken -- ich sah sie vor Schrecken zusammenfahren wie ein Schäfchen, als einmal hinter den Coulissen etwas wie ein Leuchter von der Decke herabstürzte! .. Es Ihnen prosaisch zu wiederholen: die Malibran ist die größte Schauspielerin, die ich je gesehen. In der heftigsten Bewegung zeigte sie jene wahre antike Ruhe, die wir an den griechischen Tragödien bewun¬ dern, und welche wahrscheinlich auch die Schauspie¬ ler der Alten hatten. Darum, des rechten Maßes sich bewußt, spielt sie auch mit einer Kühnheit, die eine Andere sich nicht erlauben dürfte. Sie klam¬ merte sich flehend an den Mantel des wüthenden Othello oder ihres erzürnten Vaters, sie umschnürt ihre Hände mit den Falten des Kleides, sie zerrt daran -- eine Linie weiter und es wäre lächerlich, es sähe aus, als wolle sie ihnen die Kleider vom Leibe reißen; aber sie überschreitet diese Linie nicht und sie ist erhaben. Und ihr Gesang! Gibt es denn mehr als eine Art, darf man den anders sin¬
Muſik ſcheint mir noch das Beſte, was Roſſini ge¬ macht. Uebrigens bekümmerte ich mich nicht darum, und ich glaube die Malibran auch nicht. Was aber die Weiber ſchwache Nerven haben, wenn ſie nicht präparirt ſind! Dieſe Malibran, die doch den gan¬ zen Abend ſo unerſchrocken durch Waſſer und Feuer ging und alle Elemente aushielt, ohne zu zucken — ich ſah ſie vor Schrecken zuſammenfahren wie ein Schäfchen, als einmal hinter den Couliſſen etwas wie ein Leuchter von der Decke herabſtürzte! .. Es Ihnen proſaiſch zu wiederholen: die Malibran iſt die größte Schauſpielerin, die ich je geſehen. In der heftigſten Bewegung zeigte ſie jene wahre antike Ruhe, die wir an den griechiſchen Tragödien bewun¬ dern, und welche wahrſcheinlich auch die Schauſpie¬ ler der Alten hatten. Darum, des rechten Maßes ſich bewußt, ſpielt ſie auch mit einer Kühnheit, die eine Andere ſich nicht erlauben dürfte. Sie klam¬ merte ſich flehend an den Mantel des wüthenden Othello oder ihres erzürnten Vaters, ſie umſchnürt ihre Hände mit den Falten des Kleides, ſie zerrt daran — eine Linie weiter und es wäre lächerlich, es ſähe aus, als wolle ſie ihnen die Kleider vom Leibe reißen; aber ſie überſchreitet dieſe Linie nicht und ſie iſt erhaben. Und ihr Geſang! Gibt es denn mehr als eine Art, darf man den anders ſin¬
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Muſik ſcheint mir noch das Beſte, was Roſſini ge¬
macht. Uebrigens bekümmerte ich mich nicht darum,
und ich glaube die Malibran auch nicht. Was aber
die Weiber ſchwache Nerven haben, wenn ſie nicht
präparirt ſind! Dieſe Malibran, die doch den gan¬
zen Abend ſo unerſchrocken durch Waſſer und Feuer
ging und alle Elemente aushielt, ohne zu zucken —
ich ſah ſie vor Schrecken zuſammenfahren wie ein
Schäfchen, als einmal hinter den Couliſſen etwas
wie ein Leuchter von der Decke herabſtürzte! .. Es
Ihnen proſaiſch zu wiederholen: die Malibran iſt die
größte Schauſpielerin, die ich je geſehen. In der
heftigſten Bewegung zeigte ſie jene wahre antike
Ruhe, die wir an den griechiſchen Tragödien bewun¬
dern, und welche wahrſcheinlich auch die Schauſpie¬
ler der Alten hatten. Darum, des rechten Maßes
ſich bewußt, ſpielt ſie auch mit einer Kühnheit, die
eine Andere ſich nicht erlauben dürfte. Sie klam¬
merte ſich flehend an den Mantel des wüthenden
Othello oder ihres erzürnten Vaters, ſie umſchnürt
ihre Hände mit den Falten des Kleides, ſie zerrt
daran — eine Linie weiter und es wäre lächerlich,
es ſähe aus, als wolle ſie ihnen die Kleider vom
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und ſie iſt erhaben. Und ihr Geſang! Gibt es
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/22>, abgerufen am 16.02.2025.
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