sie geschmacklos bis zum Unsinn. Es war gewiß unter den Zuschauern keine Putzmacherin und kein Friseur, sonst hätte ich von einer Ohnmacht hören müssen. In den Haaren staken ihr zehen bis zwölf lange und steife messingne Stangen, die in große dicke messingne Kugeln endigten, welche nicht einmal blank gescheuert waren. Sie sah aus wie eine Gar¬ tenmauer, gegen das Uebersteigen von Spitzbuben ge¬ hörrig bewahrt. Zerline fürchtet sich vor Spitzbu¬ ben! -- Don Juan war ein alter häßlicher Sünder, der keine Katze hätte verführen können. Elvire eine betrübte Kokette. Der Geist sah aus wie ein wei¬ ßer Schornsteinfeger. Donna Anna (Madame La¬ lande) war gut; sie hat gewiß den Don Juan in deutscher Schule gelernt. Am Leporello fand ich zu loben, daß er nicht so den Hanswurst macht wie bei uns. Chöre und Orchester, sonst so vortrefflich, wa¬ ren von der allgemeinen Kälte und Aengstlichkeit nicht frei. Der himmlische Lärm im ersten Finale, die höllische Freude im zweiten -- das ging alles ver¬ loren; es war still zum Einschlafen. Wenn ich mir diese Leere und Stille nur erklären könnte! Chor und Orchester voller besetzt als bei uns; es sind die nehmlichen Noten, es ist dasselbe Tempo, gleiches Forte -- und doch war es still! und -- stellen Sie sich vor -- Don Juan beim Abendessen hat rothen
ſie geſchmacklos bis zum Unſinn. Es war gewiß unter den Zuſchauern keine Putzmacherin und kein Friſeur, ſonſt hätte ich von einer Ohnmacht hören müſſen. In den Haaren ſtaken ihr zehen bis zwölf lange und ſteife meſſingne Stangen, die in große dicke meſſingne Kugeln endigten, welche nicht einmal blank geſcheuert waren. Sie ſah aus wie eine Gar¬ tenmauer, gegen das Ueberſteigen von Spitzbuben ge¬ hörrig bewahrt. Zerline fürchtet ſich vor Spitzbu¬ ben! — Don Juan war ein alter häßlicher Sünder, der keine Katze hätte verführen können. Elvire eine betrübte Kokette. Der Geiſt ſah aus wie ein wei¬ ßer Schornſteinfeger. Donna Anna (Madame La¬ lande) war gut; ſie hat gewiß den Don Juan in deutſcher Schule gelernt. Am Leporello fand ich zu loben, daß er nicht ſo den Hanswurſt macht wie bei uns. Chöre und Orcheſter, ſonſt ſo vortrefflich, wa¬ ren von der allgemeinen Kälte und Aengſtlichkeit nicht frei. Der himmliſche Lärm im erſten Finale, die hölliſche Freude im zweiten — das ging alles ver¬ loren; es war ſtill zum Einſchlafen. Wenn ich mir dieſe Leere und Stille nur erklären könnte! Chor und Orcheſter voller beſetzt als bei uns; es ſind die nehmlichen Noten, es iſt daſſelbe Tempo, gleiches Forte — und doch war es ſtill! und — ſtellen Sie ſich vor — Don Juan beim Abendeſſen hat rothen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0139"n="125"/>ſie geſchmacklos bis zum Unſinn. Es war gewiß<lb/>
unter den Zuſchauern keine Putzmacherin und kein<lb/>
Friſeur, ſonſt hätte ich von einer Ohnmacht hören<lb/>
müſſen. In den Haaren ſtaken ihr zehen bis zwölf<lb/>
lange und ſteife meſſingne Stangen, die in große<lb/>
dicke meſſingne Kugeln endigten, welche nicht einmal<lb/>
blank geſcheuert waren. Sie ſah aus wie eine Gar¬<lb/>
tenmauer, gegen das Ueberſteigen von Spitzbuben ge¬<lb/>
hörrig bewahrt. Zerline fürchtet ſich vor Spitzbu¬<lb/>
ben! — Don Juan war ein alter häßlicher Sünder,<lb/>
der keine Katze hätte verführen können. Elvire eine<lb/>
betrübte Kokette. Der Geiſt ſah aus wie ein wei¬<lb/>
ßer Schornſteinfeger. Donna Anna (Madame La¬<lb/>
lande) war gut; ſie hat gewiß den Don Juan in<lb/>
deutſcher Schule gelernt. Am Leporello fand ich zu<lb/>
loben, daß er nicht ſo den Hanswurſt macht wie bei<lb/>
uns. Chöre und Orcheſter, ſonſt ſo vortrefflich, wa¬<lb/>
ren von der allgemeinen Kälte und Aengſtlichkeit nicht<lb/>
frei. Der himmliſche Lärm im erſten Finale, die<lb/>
hölliſche Freude im zweiten — das ging alles ver¬<lb/>
loren; es war ſtill zum Einſchlafen. Wenn ich mir<lb/>
dieſe Leere und Stille nur erklären könnte! Chor<lb/>
und Orcheſter voller beſetzt als bei uns; es ſind die<lb/>
nehmlichen Noten, es iſt daſſelbe Tempo, gleiches<lb/>
Forte — und doch war es ſtill! und —ſtellen Sie<lb/>ſich vor — Don Juan beim Abendeſſen hat rothen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[125/0139]
ſie geſchmacklos bis zum Unſinn. Es war gewiß
unter den Zuſchauern keine Putzmacherin und kein
Friſeur, ſonſt hätte ich von einer Ohnmacht hören
müſſen. In den Haaren ſtaken ihr zehen bis zwölf
lange und ſteife meſſingne Stangen, die in große
dicke meſſingne Kugeln endigten, welche nicht einmal
blank geſcheuert waren. Sie ſah aus wie eine Gar¬
tenmauer, gegen das Ueberſteigen von Spitzbuben ge¬
hörrig bewahrt. Zerline fürchtet ſich vor Spitzbu¬
ben! — Don Juan war ein alter häßlicher Sünder,
der keine Katze hätte verführen können. Elvire eine
betrübte Kokette. Der Geiſt ſah aus wie ein wei¬
ßer Schornſteinfeger. Donna Anna (Madame La¬
lande) war gut; ſie hat gewiß den Don Juan in
deutſcher Schule gelernt. Am Leporello fand ich zu
loben, daß er nicht ſo den Hanswurſt macht wie bei
uns. Chöre und Orcheſter, ſonſt ſo vortrefflich, wa¬
ren von der allgemeinen Kälte und Aengſtlichkeit nicht
frei. Der himmliſche Lärm im erſten Finale, die
hölliſche Freude im zweiten — das ging alles ver¬
loren; es war ſtill zum Einſchlafen. Wenn ich mir
dieſe Leere und Stille nur erklären könnte! Chor
und Orcheſter voller beſetzt als bei uns; es ſind die
nehmlichen Noten, es iſt daſſelbe Tempo, gleiches
Forte — und doch war es ſtill! und — ſtellen Sie
ſich vor — Don Juan beim Abendeſſen hat rothen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/139>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.