Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

die Bourbons geendet. Ich möchte diesen Mann in
meinem Zimmer haben; ich stellte ihn wie einen Ba¬
rometer an die Wand, und ohne eine Zeitung zu
lesen, ohne das Fenster zu öffnen, wollte ich jeden
Tag wissen, welche Witterung in der Welt ist.

Talleyrand und Lafayette sind die zwei größten
Charaktere der französischen Revolution, jeder an sei¬
ner Stelle. Auch Lafayette weiß Seyn vom Schein,
Leben vom Tode zu unterscheiden; aber jedes Grab
war ihm eine Wiege, und er verließ die Gestorbenen
nicht. Er glaubt an eine Fortdauer nach dem Tode,
an eine Seelenwanderung der Freiheit; Talleyrand
glaubt nur, was er weiß. Wäre nur Napoleon wie
Talleyrand gewesen! Da er nur der Zeit zu dienen
brauchte, keinen Menschen, weil er selbst der Höchste
war: hätte er mit besserer Einsicht sich selbst besser
gedient, er wäre noch auf dem Throne der Welt.
Was habe ich dem Keiser nicht alles gesagt! Heine
hätte es hören sollen! Ich war allein im Saale,
und stellte mich mit verschränkten Armen vor ihn hin,
wie er es zu thun pflegte. Ich wollte ihn damit
verspotten, und Narr! habe ich ihn geheißen.
Ich hätte ihn Bösewicht nennen können, aber das
hätte ihn nicht beleidigt. Nein, nie verzeihe ich dem
Manne, was er sich selbst gethan, wollte ich ihm auch
verzeihen, was er der Welt gethan. Sich mit der
Gemeinheit zu besudeln, und sich aus Eitelkeit mit

die Bourbons geendet. Ich möchte dieſen Mann in
meinem Zimmer haben; ich ſtellte ihn wie einen Ba¬
rometer an die Wand, und ohne eine Zeitung zu
leſen, ohne das Fenſter zu öffnen, wollte ich jeden
Tag wiſſen, welche Witterung in der Welt iſt.

Talleyrand und Lafayette ſind die zwei größten
Charaktere der franzöſiſchen Revolution, jeder an ſei¬
ner Stelle. Auch Lafayette weiß Seyn vom Schein,
Leben vom Tode zu unterſcheiden; aber jedes Grab
war ihm eine Wiege, und er verließ die Geſtorbenen
nicht. Er glaubt an eine Fortdauer nach dem Tode,
an eine Seelenwanderung der Freiheit; Talleyrand
glaubt nur, was er weiß. Wäre nur Napoleon wie
Talleyrand geweſen! Da er nur der Zeit zu dienen
brauchte, keinen Menſchen, weil er ſelbſt der Höchſte
war: hätte er mit beſſerer Einſicht ſich ſelbſt beſſer
gedient, er wäre noch auf dem Throne der Welt.
Was habe ich dem Keiſer nicht alles geſagt! Heine
hätte es hören ſollen! Ich war allein im Saale,
und ſtellte mich mit verſchränkten Armen vor ihn hin,
wie er es zu thun pflegte. Ich wollte ihn damit
verſpotten, und Narr! habe ich ihn geheißen.
Ich hätte ihn Böſewicht nennen können, aber das
hätte ihn nicht beleidigt. Nein, nie verzeihe ich dem
Manne, was er ſich ſelbſt gethan, wollte ich ihm auch
verzeihen, was er der Welt gethan. Sich mit der
Gemeinheit zu beſudeln, und ſich aus Eitelkeit mit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0109" n="95"/>
die Bourbons geendet. Ich möchte die&#x017F;en Mann in<lb/>
meinem Zimmer haben; ich &#x017F;tellte ihn wie einen Ba¬<lb/>
rometer an die Wand, und ohne eine Zeitung zu<lb/>
le&#x017F;en, ohne das Fen&#x017F;ter zu öffnen, wollte ich jeden<lb/>
Tag wi&#x017F;&#x017F;en, welche Witterung in der Welt i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Talleyrand und Lafayette &#x017F;ind die zwei größten<lb/>
Charaktere der franzö&#x017F;i&#x017F;chen Revolution, jeder an &#x017F;ei¬<lb/>
ner Stelle. Auch Lafayette weiß Seyn vom Schein,<lb/>
Leben vom Tode zu unter&#x017F;cheiden; aber jedes Grab<lb/>
war ihm eine Wiege, und er verließ die Ge&#x017F;torbenen<lb/>
nicht. Er glaubt an eine Fortdauer nach dem Tode,<lb/>
an eine Seelenwanderung der Freiheit; Talleyrand<lb/>
glaubt nur, was er weiß. Wäre nur Napoleon wie<lb/>
Talleyrand gewe&#x017F;en! Da er nur der Zeit zu dienen<lb/>
brauchte, keinen Men&#x017F;chen, weil er &#x017F;elb&#x017F;t der Höch&#x017F;te<lb/>
war: hätte er mit be&#x017F;&#x017F;erer Ein&#x017F;icht &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
gedient, er wäre noch auf dem Throne der Welt.<lb/>
Was habe ich dem Kei&#x017F;er nicht alles ge&#x017F;agt! Heine<lb/>
hätte es hören &#x017F;ollen! Ich war allein im Saale,<lb/>
und &#x017F;tellte mich mit ver&#x017F;chränkten Armen vor ihn hin,<lb/>
wie er es zu thun pflegte. Ich wollte ihn damit<lb/>
ver&#x017F;potten, und <hi rendition="#g">Narr</hi>! habe ich ihn geheißen.<lb/>
Ich hätte ihn <hi rendition="#g">&#x017F;ewicht</hi> nennen können, aber das<lb/>
hätte ihn nicht beleidigt. Nein, nie verzeihe ich dem<lb/>
Manne, was er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t gethan, wollte ich ihm auch<lb/>
verzeihen, was er der Welt gethan. Sich mit der<lb/>
Gemeinheit zu be&#x017F;udeln, und &#x017F;ich aus Eitelkeit mit<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0109] die Bourbons geendet. Ich möchte dieſen Mann in meinem Zimmer haben; ich ſtellte ihn wie einen Ba¬ rometer an die Wand, und ohne eine Zeitung zu leſen, ohne das Fenſter zu öffnen, wollte ich jeden Tag wiſſen, welche Witterung in der Welt iſt. Talleyrand und Lafayette ſind die zwei größten Charaktere der franzöſiſchen Revolution, jeder an ſei¬ ner Stelle. Auch Lafayette weiß Seyn vom Schein, Leben vom Tode zu unterſcheiden; aber jedes Grab war ihm eine Wiege, und er verließ die Geſtorbenen nicht. Er glaubt an eine Fortdauer nach dem Tode, an eine Seelenwanderung der Freiheit; Talleyrand glaubt nur, was er weiß. Wäre nur Napoleon wie Talleyrand geweſen! Da er nur der Zeit zu dienen brauchte, keinen Menſchen, weil er ſelbſt der Höchſte war: hätte er mit beſſerer Einſicht ſich ſelbſt beſſer gedient, er wäre noch auf dem Throne der Welt. Was habe ich dem Keiſer nicht alles geſagt! Heine hätte es hören ſollen! Ich war allein im Saale, und ſtellte mich mit verſchränkten Armen vor ihn hin, wie er es zu thun pflegte. Ich wollte ihn damit verſpotten, und Narr! habe ich ihn geheißen. Ich hätte ihn Böſewicht nennen können, aber das hätte ihn nicht beleidigt. Nein, nie verzeihe ich dem Manne, was er ſich ſelbſt gethan, wollte ich ihm auch verzeihen, was er der Welt gethan. Sich mit der Gemeinheit zu beſudeln, und ſich aus Eitelkeit mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/109
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/109>, abgerufen am 22.11.2024.