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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

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spiele Verstand zu haben? Alle diese Gelegenheits¬
stücke sind nun jetzt wieder von der Bühne verschwun¬
den, -- "die Todten reiten schnell" -- und ich eilte
mich daher, eins der wenigen übrig gebliebenen noch
auf seiner Flucht zu erhaschen. Ich sah Mr. de la
Jobardiere. Das ist einer von den altadeligen
geräucherten Namen, die schon Jahrhunderte im
Schornstein hängen, und jetzt von der jungen Welt
herabgeholt und gegessen werden. Der alte Edel¬
mann ist ein guter Royalist, lang und hager und sehr
gepudert. Seine Frau ist eine gute Royalistin,
dick und rund und geschminkt. Der junge Hausarzt
-- versteht sich ein Bürgerlicher -- ist in die Toch¬
ter verliebt. Jetzt kommt der Vorabend der Revolu¬
tion Der Arzt, ein Patriot, giebt den Eltern sei¬
ner Geliebten, theils um ihnen die Unruhe zu erspa¬
ren, theils um ihnen eine Ueberraschung zu bereiten,
Opium ein, so daß sie während der drei Revolu¬
tionstage schlafen und erst am dreißigsten Juli auf¬
wachen, da Karl X. schon auf dem Wege nach Ram¬
bouillet war. Der Royalist, im Schlafrocke, nimmt,
wie gewöhnlich beim Frühstücke, seine Zeitungen vor.
Da findet er ein Blatt la Revolution, ein anderes
le Patriote genannt, Blätter die während seinem
Schlafe erst entstanden waren. Er reibt sich die
Augen und klingelt seinem Bedienten. Dieser tritt
wie ein Bandit mit Säbel und Pistolen bewaffnet

ſpiele Verſtand zu haben? Alle dieſe Gelegenheits¬
ſtücke ſind nun jetzt wieder von der Bühne verſchwun¬
den, — „die Todten reiten ſchnell“ — und ich eilte
mich daher, eins der wenigen übrig gebliebenen noch
auf ſeiner Flucht zu erhaſchen. Ich ſah Mr. de la
Jobardière. Das iſt einer von den altadeligen
geräucherten Namen, die ſchon Jahrhunderte im
Schornſtein hängen, und jetzt von der jungen Welt
herabgeholt und gegeſſen werden. Der alte Edel¬
mann iſt ein guter Royaliſt, lang und hager und ſehr
gepudert. Seine Frau iſt eine gute Royaliſtin,
dick und rund und geſchminkt. Der junge Hausarzt
— verſteht ſich ein Bürgerlicher — iſt in die Toch¬
ter verliebt. Jetzt kommt der Vorabend der Revolu¬
tion Der Arzt, ein Patriot, giebt den Eltern ſei¬
ner Geliebten, theils um ihnen die Unruhe zu erſpa¬
ren, theils um ihnen eine Ueberraſchung zu bereiten,
Opium ein, ſo daß ſie während der drei Revolu¬
tionstage ſchlafen und erſt am dreißigſten Juli auf¬
wachen, da Karl X. ſchon auf dem Wege nach Ram¬
bouillet war. Der Royaliſt, im Schlafrocke, nimmt,
wie gewöhnlich beim Frühſtücke, ſeine Zeitungen vor.
Da findet er ein Blatt la Révolution, ein anderes
le Patriote genannt, Blätter die während ſeinem
Schlafe erſt entſtanden waren. Er reibt ſich die
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[69/0083] ſpiele Verſtand zu haben? Alle dieſe Gelegenheits¬ ſtücke ſind nun jetzt wieder von der Bühne verſchwun¬ den, — „die Todten reiten ſchnell“ — und ich eilte mich daher, eins der wenigen übrig gebliebenen noch auf ſeiner Flucht zu erhaſchen. Ich ſah Mr. de la Jobardière. Das iſt einer von den altadeligen geräucherten Namen, die ſchon Jahrhunderte im Schornſtein hängen, und jetzt von der jungen Welt herabgeholt und gegeſſen werden. Der alte Edel¬ mann iſt ein guter Royaliſt, lang und hager und ſehr gepudert. Seine Frau iſt eine gute Royaliſtin, dick und rund und geſchminkt. Der junge Hausarzt — verſteht ſich ein Bürgerlicher — iſt in die Toch¬ ter verliebt. Jetzt kommt der Vorabend der Revolu¬ tion Der Arzt, ein Patriot, giebt den Eltern ſei¬ ner Geliebten, theils um ihnen die Unruhe zu erſpa¬ ren, theils um ihnen eine Ueberraſchung zu bereiten, Opium ein, ſo daß ſie während der drei Revolu¬ tionstage ſchlafen und erſt am dreißigſten Juli auf¬ wachen, da Karl X. ſchon auf dem Wege nach Ram¬ bouillet war. Der Royaliſt, im Schlafrocke, nimmt, wie gewöhnlich beim Frühſtücke, ſeine Zeitungen vor. Da findet er ein Blatt la Révolution, ein anderes le Patriote genannt, Blätter die während ſeinem Schlafe erſt entſtanden waren. Er reibt ſich die Augen und klingelt ſeinem Bedienten. Dieſer tritt wie ein Bandit mit Säbel und Piſtolen bewaffnet

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/83>, abgerufen am 27.07.2024.