Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.sprach's und fiel von zehn Kugeln durchbohrt. Jetzt Tugend, Entsagung, Aufopferung -- ich habe 4*
ſprach's und fiel von zehn Kugeln durchbohrt. Jetzt Tugend, Entſagung, Aufopferung — ich habe 4*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0065" n="51"/> ſprach's und fiel von zehn Kugeln durchbohrt. Jetzt<lb/> lieſt man in goldnen Buchſtaben auf der Pforte, die<lb/> ſich über die Mitte der Brücke wölbt: <hi rendition="#aq #g">Pont d'Ar¬<lb/> cole</hi>, und auf der andern Seite: <hi rendition="#aq">le</hi> 28 <hi rendition="#aq #g">Juillet</hi><lb/> 1830. Für Oſſians Aberglauben hätte ich in dieſer<lb/> Stunde meine ganze Philoſophie hingegeben. Wie<lb/> hätte es mich getröſtet, wie hätte ich mich verſöhnt<lb/> mit dem zürnenden Himmel, hätte ich glauben können:<lb/> um ſtille Mitternacht ſchreitet der Geiſt des gefalle¬<lb/> nen Helden über die Kettenbrücke, ſetzt ſich auf die<lb/> eiſerne Bank, und ſchaut hinauf nach ſeinem goldnen<lb/> Namen, der im Glanze des Mondes blinkt. Dann<lb/> vernehmen die am Ufer wohnen ein leiſes ſeliges<lb/> Jauchzen, ſüß wie ſterbender Flötenton und ſagen:<lb/> das iſt d'Arcole's Freude.</p><lb/> <p>Tugend, Entſagung, Aufopferung — ich habe<lb/> dort viel darüber nachgedacht. Soll man oder ſoll<lb/> man nicht? Der Ruhm; er iſt ein ſchöner Wahn¬<lb/> ſinn, aber doch ein Wahnſinn. Nun, wenn auch!<lb/> Was heißt Vernunft? Der Wahnſinn <hi rendition="#g">Aller</hi>. Was<lb/> heißt Wahnſinn? Die Vernunft des <hi rendition="#g">Einzelnen</hi>.<lb/> Was nennt Ihr Wahrheit? Die Täuſchung, die<lb/> Jahrhunderte alt geworden. Was Täuſchung? Die<lb/> Wahrheit, die nur eine Minute gelebt. Iſt es aber<lb/> die letzte Minute unſeres Lebens, folgt ihr keine<lb/> andere nach, die uns enttäuſcht, dann wird die<lb/> Täuſchung, der Minute zur ewigen Wahrheit. Ja,<lb/> <fw place="bottom" type="sig">4*<lb/></fw> </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [51/0065]
ſprach's und fiel von zehn Kugeln durchbohrt. Jetzt
lieſt man in goldnen Buchſtaben auf der Pforte, die
ſich über die Mitte der Brücke wölbt: Pont d'Ar¬
cole, und auf der andern Seite: le 28 Juillet
1830. Für Oſſians Aberglauben hätte ich in dieſer
Stunde meine ganze Philoſophie hingegeben. Wie
hätte es mich getröſtet, wie hätte ich mich verſöhnt
mit dem zürnenden Himmel, hätte ich glauben können:
um ſtille Mitternacht ſchreitet der Geiſt des gefalle¬
nen Helden über die Kettenbrücke, ſetzt ſich auf die
eiſerne Bank, und ſchaut hinauf nach ſeinem goldnen
Namen, der im Glanze des Mondes blinkt. Dann
vernehmen die am Ufer wohnen ein leiſes ſeliges
Jauchzen, ſüß wie ſterbender Flötenton und ſagen:
das iſt d'Arcole's Freude.
Tugend, Entſagung, Aufopferung — ich habe
dort viel darüber nachgedacht. Soll man oder ſoll
man nicht? Der Ruhm; er iſt ein ſchöner Wahn¬
ſinn, aber doch ein Wahnſinn. Nun, wenn auch!
Was heißt Vernunft? Der Wahnſinn Aller. Was
heißt Wahnſinn? Die Vernunft des Einzelnen.
Was nennt Ihr Wahrheit? Die Täuſchung, die
Jahrhunderte alt geworden. Was Täuſchung? Die
Wahrheit, die nur eine Minute gelebt. Iſt es aber
die letzte Minute unſeres Lebens, folgt ihr keine
andere nach, die uns enttäuſcht, dann wird die
Täuſchung, der Minute zur ewigen Wahrheit. Ja,
4*
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |