Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.sie auch etwas lernen. Die Sontag war mir ganz ſie auch etwas lernen. Die Sontag war mir ganz <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0234" n="220"/> ſie auch etwas lernen. Die Sontag war mir ganz<lb/> zuwider, wegen der mir verhaßten Anbetung, die ſie<lb/> in Deutſchland gefunden hat. Dort haben ſie eine<lb/> hohe Obrigkeit aus ihr gemacht, und man weiß doch,<lb/> was das heißt — eine hohe Obrigkeit iſt dem<lb/> Deutſchen eine höchſte Gottheit. Hier iſt das ganz<lb/> anders. Sie haben es früher ſelbſt geſehen, welcher<lb/> Aufregung die Franzoſen im Theater fähig ſind.<lb/> Es iſt nicht blos wie bei den Deutſchen ein Toben<lb/> mit dem Körper, ein Klatſchen, ein Schreien, es iſt<lb/> ein inneres Kochen, ein Seelenſturm, der nicht mehr<lb/> zurückgehalten werden kann, und endlich losbricht.<lb/> Aber wenn der Vorhang fällt, iſt alles aus. Man<lb/> verehrt keine Sängerin wie eine Königin, man betet<lb/> ſie nicht wie eine Heilige an. In keiner Geſellſchaft<lb/> hier werden Sie je vom Theater ſprechen hören, in<lb/> Berlin nie ein Wort von etwas Anderm. — Die<lb/> italieniſche Oper hier mögen viele Kenner, wenigſtens<lb/> viele geübte Dilettanten beſuchen. Man merkt die¬<lb/> ſes bei der Aufführung bald an der Sicherheit und<lb/> Beſtimmtheit des Urtheils. Manchmal brach ein<lb/> Beifallsgemurmel aus, manchmal that ſich ein ta¬<lb/> delndes Stillſchweigen kund, ohne daß ich entdeckte,<lb/> was die Veranlaſſung zu dieſem und jenem war.<lb/> Und dieſe entſcheidenden Kenner ſchienen mir ſehr<lb/> ſtreng zu ſeyn. Im Orcheſter (was man hier ſo<lb/> nennt, die erſten Reihen der Parterre-Sitze) bemerkte<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [220/0234]
ſie auch etwas lernen. Die Sontag war mir ganz
zuwider, wegen der mir verhaßten Anbetung, die ſie
in Deutſchland gefunden hat. Dort haben ſie eine
hohe Obrigkeit aus ihr gemacht, und man weiß doch,
was das heißt — eine hohe Obrigkeit iſt dem
Deutſchen eine höchſte Gottheit. Hier iſt das ganz
anders. Sie haben es früher ſelbſt geſehen, welcher
Aufregung die Franzoſen im Theater fähig ſind.
Es iſt nicht blos wie bei den Deutſchen ein Toben
mit dem Körper, ein Klatſchen, ein Schreien, es iſt
ein inneres Kochen, ein Seelenſturm, der nicht mehr
zurückgehalten werden kann, und endlich losbricht.
Aber wenn der Vorhang fällt, iſt alles aus. Man
verehrt keine Sängerin wie eine Königin, man betet
ſie nicht wie eine Heilige an. In keiner Geſellſchaft
hier werden Sie je vom Theater ſprechen hören, in
Berlin nie ein Wort von etwas Anderm. — Die
italieniſche Oper hier mögen viele Kenner, wenigſtens
viele geübte Dilettanten beſuchen. Man merkt die¬
ſes bei der Aufführung bald an der Sicherheit und
Beſtimmtheit des Urtheils. Manchmal brach ein
Beifallsgemurmel aus, manchmal that ſich ein ta¬
delndes Stillſchweigen kund, ohne daß ich entdeckte,
was die Veranlaſſung zu dieſem und jenem war.
Und dieſe entſcheidenden Kenner ſchienen mir ſehr
ſtreng zu ſeyn. Im Orcheſter (was man hier ſo
nennt, die erſten Reihen der Parterre-Sitze) bemerkte
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