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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

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nicht gefallen lassen. Mit den guten Deutschen
wird noch schlimmer verfahren als mit dem Heiland.
Dieser mußte zwar auch das Kreuz selbst tragen,
woran man ihn gepeinigt: aber es selbst auch zim¬
mern, wenigstens das mußte er nicht. Ich kann in
Paris Französisch lernen; aber, guter Gott! wie
lerne ich Deutsch vergessen? Der Mensch hat über¬
haupt viel Deutsches an sich. Heute las ich: in
England hat die französische Regierung 500,000
Flinten bestellt, die russische 600,000, die preußische
900,000. Werden damit anderthalb Millionen Mör¬
der bewaffnet, die, drei bis vier Fürsten einen Spaß
zu machen, sich wechselseitig die Eingeweide aus dem
Leibe reißen. Diese Flinten kosten 38 Millionen
Franken, und die närrischen Völker dürfen nicht eher
sterben, als bis sie ihre eignen Leichenkosten voraus¬
bezahlt! Ich möchte diesen Sommer in einem stillen
Thale wohnen, aber so still, so heimlich, so abge¬
legen, daß kein Mensch, keine Zeitung hinkommt,
und im October wieder hinaustreten in die Welt
und sehen, wie es aussieht. Vielleicht würde ich da
nicht mehr erkennen, ob ich im Monde oder auf der
Erde bin.

Es hat sich eine Zahl Damen vereinigt, wor¬
unter auch die Königin, und haben Handarbeiten ver¬
fertigt, die zum Besten der Armen ausgespielt wer¬

nicht gefallen laſſen. Mit den guten Deutſchen
wird noch ſchlimmer verfahren als mit dem Heiland.
Dieſer mußte zwar auch das Kreuz ſelbſt tragen,
woran man ihn gepeinigt: aber es ſelbſt auch zim¬
mern, wenigſtens das mußte er nicht. Ich kann in
Paris Franzöſiſch lernen; aber, guter Gott! wie
lerne ich Deutſch vergeſſen? Der Menſch hat über¬
haupt viel Deutſches an ſich. Heute las ich: in
England hat die franzöſiſche Regierung 500,000
Flinten beſtellt, die ruſſiſche 600,000, die preußiſche
900,000. Werden damit anderthalb Millionen Mör¬
der bewaffnet, die, drei bis vier Fürſten einen Spaß
zu machen, ſich wechſelſeitig die Eingeweide aus dem
Leibe reißen. Dieſe Flinten koſten 38 Millionen
Franken, und die närriſchen Völker dürfen nicht eher
ſterben, als bis ſie ihre eignen Leichenkoſten voraus¬
bezahlt! Ich möchte dieſen Sommer in einem ſtillen
Thale wohnen, aber ſo ſtill, ſo heimlich, ſo abge¬
legen, daß kein Menſch, keine Zeitung hinkommt,
und im October wieder hinaustreten in die Welt
und ſehen, wie es ausſieht. Vielleicht würde ich da
nicht mehr erkennen, ob ich im Monde oder auf der
Erde bin.

Es hat ſich eine Zahl Damen vereinigt, wor¬
unter auch die Königin, und haben Handarbeiten ver¬
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[196/0210] nicht gefallen laſſen. Mit den guten Deutſchen wird noch ſchlimmer verfahren als mit dem Heiland. Dieſer mußte zwar auch das Kreuz ſelbſt tragen, woran man ihn gepeinigt: aber es ſelbſt auch zim¬ mern, wenigſtens das mußte er nicht. Ich kann in Paris Franzöſiſch lernen; aber, guter Gott! wie lerne ich Deutſch vergeſſen? Der Menſch hat über¬ haupt viel Deutſches an ſich. Heute las ich: in England hat die franzöſiſche Regierung 500,000 Flinten beſtellt, die ruſſiſche 600,000, die preußiſche 900,000. Werden damit anderthalb Millionen Mör¬ der bewaffnet, die, drei bis vier Fürſten einen Spaß zu machen, ſich wechſelſeitig die Eingeweide aus dem Leibe reißen. Dieſe Flinten koſten 38 Millionen Franken, und die närriſchen Völker dürfen nicht eher ſterben, als bis ſie ihre eignen Leichenkoſten voraus¬ bezahlt! Ich möchte dieſen Sommer in einem ſtillen Thale wohnen, aber ſo ſtill, ſo heimlich, ſo abge¬ legen, daß kein Menſch, keine Zeitung hinkommt, und im October wieder hinaustreten in die Welt und ſehen, wie es ausſieht. Vielleicht würde ich da nicht mehr erkennen, ob ich im Monde oder auf der Erde bin. Es hat ſich eine Zahl Damen vereinigt, wor¬ unter auch die Königin, und haben Handarbeiten ver¬ fertigt, die zum Beſten der Armen ausgeſpielt wer¬

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/210>, abgerufen am 22.12.2024.