Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

einer Erbitterung, als wäre er der wahre Lowe und
nicht ein armer unschuldiger Schauspieler im rothen
Rocke. Man sieht Napoleon sterben; Krämpfe,
Phantasien, Röcheln, alles nach der medicinischen
Natur. Diese widerliche und lächerliche Spital-
Scene wird auf allen Theatern dargestellt. Es gibt
nichts Sinnloseres ... Nachdem der Kaiser in sei¬
ner letzten Minute gethan, was seine Brüder, die
andern Kaiser und Könige, schon gleich bei ihrem
Regierungsantritte thun -- nehmlich den Geist auf¬
geben, fällt ein Vorhang von schwarzem Flor, wel¬
ches artig und schauerlich war ... Das ganze Or¬
chester erschien in der National-Garde-Uniform, auch
befanden sich viele Officiere darunter. Der Kapell¬
meister, der wohl Hauptmann oder Major seyn
mochte, trug schwere silberne Epaulettes. Das sah
wunderlich aus an seinem Platze und in seiner Be¬
schäftigung.

Endlich war das Stück aus und ich satt. Es
war ohne dies die zweite Mahlzeit, die am nehm¬
lichen Tage mein Herz genommen. Ich sah vorher
eine Reihe panorama-artiger Gemälde, die Schlacht¬
tage im Juli vorstellend. Die Gefechte auf den
Boulevards, auf dem Greve-Platze, die Barricaden,
das Pflaster-Geschoß, die schwarzen Fahnen und die

I. 13

einer Erbitterung, als wäre er der wahre Lowe und
nicht ein armer unſchuldiger Schauſpieler im rothen
Rocke. Man ſieht Napoleon ſterben; Krämpfe,
Phantaſien, Röcheln, alles nach der mediciniſchen
Natur. Dieſe widerliche und lächerliche Spital-
Scene wird auf allen Theatern dargeſtellt. Es gibt
nichts Sinnloſeres ... Nachdem der Kaiſer in ſei¬
ner letzten Minute gethan, was ſeine Brüder, die
andern Kaiſer und Könige, ſchon gleich bei ihrem
Regierungsantritte thun — nehmlich den Geiſt auf¬
geben, fällt ein Vorhang von ſchwarzem Flor, wel¬
ches artig und ſchauerlich war ... Das ganze Or¬
cheſter erſchien in der National-Garde-Uniform, auch
befanden ſich viele Officiere darunter. Der Kapell¬
meiſter, der wohl Hauptmann oder Major ſeyn
mochte, trug ſchwere ſilberne Epaulettes. Das ſah
wunderlich aus an ſeinem Platze und in ſeiner Be¬
ſchäftigung.

Endlich war das Stück aus und ich ſatt. Es
war ohne dies die zweite Mahlzeit, die am nehm¬
lichen Tage mein Herz genommen. Ich ſah vorher
eine Reihe panorama-artiger Gemälde, die Schlacht¬
tage im Juli vorſtellend. Die Gefechte auf den
Boulevards, auf dem Greve-Platze, die Barricaden,
das Pflaſter-Geſchoß, die ſchwarzen Fahnen und die

I. 13
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0207" n="193"/>
einer Erbitterung, als wäre er der wahre Lowe und<lb/>
nicht ein armer un&#x017F;chuldiger Schau&#x017F;pieler im rothen<lb/>
Rocke. Man &#x017F;ieht Napoleon &#x017F;terben; Krämpfe,<lb/>
Phanta&#x017F;ien, Röcheln, alles nach der medicini&#x017F;chen<lb/>
Natur. Die&#x017F;e widerliche und lächerliche Spital-<lb/>
Scene wird auf allen Theatern darge&#x017F;tellt. Es gibt<lb/>
nichts Sinnlo&#x017F;eres ... Nachdem der Kai&#x017F;er in &#x017F;ei¬<lb/>
ner letzten Minute gethan, was &#x017F;eine Brüder, die<lb/>
andern Kai&#x017F;er und Könige, &#x017F;chon gleich bei ihrem<lb/>
Regierungsantritte thun &#x2014; nehmlich den Gei&#x017F;t auf¬<lb/>
geben, fällt ein Vorhang von &#x017F;chwarzem Flor, wel¬<lb/>
ches artig und &#x017F;chauerlich war ... Das ganze Or¬<lb/>
che&#x017F;ter er&#x017F;chien in der National-Garde-Uniform, auch<lb/>
befanden &#x017F;ich viele Officiere darunter. Der Kapell¬<lb/>
mei&#x017F;ter, der wohl Hauptmann oder Major &#x017F;eyn<lb/>
mochte, trug &#x017F;chwere &#x017F;ilberne Epaulettes. Das &#x017F;ah<lb/>
wunderlich aus an &#x017F;einem Platze und in &#x017F;einer Be¬<lb/>
&#x017F;chäftigung.</p><lb/>
          <p>Endlich war das Stück aus und ich &#x017F;att. Es<lb/>
war ohne dies die zweite Mahlzeit, die am nehm¬<lb/>
lichen Tage mein Herz genommen. Ich &#x017F;ah vorher<lb/>
eine Reihe panorama-artiger Gemälde, die Schlacht¬<lb/>
tage im Juli vor&#x017F;tellend. Die Gefechte auf den<lb/>
Boulevards, auf dem Greve-Platze, die Barricaden,<lb/>
das Pfla&#x017F;ter-Ge&#x017F;choß, die &#x017F;chwarzen Fahnen und die<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">I</hi>. 13<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[193/0207] einer Erbitterung, als wäre er der wahre Lowe und nicht ein armer unſchuldiger Schauſpieler im rothen Rocke. Man ſieht Napoleon ſterben; Krämpfe, Phantaſien, Röcheln, alles nach der mediciniſchen Natur. Dieſe widerliche und lächerliche Spital- Scene wird auf allen Theatern dargeſtellt. Es gibt nichts Sinnloſeres ... Nachdem der Kaiſer in ſei¬ ner letzten Minute gethan, was ſeine Brüder, die andern Kaiſer und Könige, ſchon gleich bei ihrem Regierungsantritte thun — nehmlich den Geiſt auf¬ geben, fällt ein Vorhang von ſchwarzem Flor, wel¬ ches artig und ſchauerlich war ... Das ganze Or¬ cheſter erſchien in der National-Garde-Uniform, auch befanden ſich viele Officiere darunter. Der Kapell¬ meiſter, der wohl Hauptmann oder Major ſeyn mochte, trug ſchwere ſilberne Epaulettes. Das ſah wunderlich aus an ſeinem Platze und in ſeiner Be¬ ſchäftigung. Endlich war das Stück aus und ich ſatt. Es war ohne dies die zweite Mahlzeit, die am nehm¬ lichen Tage mein Herz genommen. Ich ſah vorher eine Reihe panorama-artiger Gemälde, die Schlacht¬ tage im Juli vorſtellend. Die Gefechte auf den Boulevards, auf dem Greve-Platze, die Barricaden, das Pflaſter-Geſchoß, die ſchwarzen Fahnen und die I. 13

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/207
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/207>, abgerufen am 05.12.2024.