Mein Widerwille gegen Napoleon fing (auf dem Theater -- denn im Leben erst zehen Jahre später) 1804 an. Da erscheint er als Kaiser in St. Cloud. Da kommen goldene Dintenfässer, schwervergoldete Lakaien. Er trug damals einen rothen Rock. Noch einmal liebte ich ihn; es war 1812. Er kommt in Moskau an, tritt in ein Zimmer im Kremlin. Ich wußte vorher, es war die Grenze seines Glückes. Einige Stunden später brach der Brand los. Fürch¬ terlich auch im Spiele. Er ist allein im Zimmer, die Fenster werden roth vom Feuer und immer röther. Die Flamme kommt immer näher. Einer nach dem Andern stürzt herein, ihn zur Flucht zu bewegen. Er will nichts hören von Rettung, wirft sich verzweiflungsvoll in einen Sessel, und dumpf¬ brütend senkt er den Kopf auf den Tisch wie zum Schlafen. Die Fenster werden geöffnet und man sieht Moskau brennen. Das übertrifft an natur¬ wahrem Schrecken Alles, was ich bis jetzt gesehen. Beim Rückzuge stellt die Scene eine große leere Bauernhütte vor. Einzelne Soldaten, Marketender¬ innen, halberfroren, schleichen wie Gespenster herein. Sie nähern sich der Flamme und fallen todt hin. Dann kommt Napoleon. Jetzt beginnt der Kanonen¬ donner der Schlacht, die Hütte stürzt zusammen, wer noch Kraft hat, flüchtet, und jetzt sehen wir das
Mein Widerwille gegen Napoleon fing (auf dem Theater — denn im Leben erſt zehen Jahre ſpäter) 1804 an. Da erſcheint er als Kaiſer in St. Cloud. Da kommen goldene Dintenfäſſer, ſchwervergoldete Lakaien. Er trug damals einen rothen Rock. Noch einmal liebte ich ihn; es war 1812. Er kommt in Moskau an, tritt in ein Zimmer im Kremlin. Ich wußte vorher, es war die Grenze ſeines Glückes. Einige Stunden ſpäter brach der Brand los. Fürch¬ terlich auch im Spiele. Er iſt allein im Zimmer, die Fenſter werden roth vom Feuer und immer röther. Die Flamme kommt immer näher. Einer nach dem Andern ſtürzt herein, ihn zur Flucht zu bewegen. Er will nichts hören von Rettung, wirft ſich verzweiflungsvoll in einen Seſſel, und dumpf¬ brütend ſenkt er den Kopf auf den Tiſch wie zum Schlafen. Die Fenſter werden geöffnet und man ſieht Moskau brennen. Das übertrifft an natur¬ wahrem Schrecken Alles, was ich bis jetzt geſehen. Beim Rückzuge ſtellt die Scene eine große leere Bauernhütte vor. Einzelne Soldaten, Marketender¬ innen, halberfroren, ſchleichen wie Geſpenſter herein. Sie nähern ſich der Flamme und fallen todt hin. Dann kommt Napoleon. Jetzt beginnt der Kanonen¬ donner der Schlacht, die Hütte ſtürzt zuſammen, wer noch Kraft hat, flüchtet, und jetzt ſehen wir das
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Mein Widerwille gegen Napoleon fing (auf dem
Theater — denn im Leben erſt zehen Jahre ſpäter)
1804 an. Da erſcheint er als Kaiſer in St. Cloud.
Da kommen goldene Dintenfäſſer, ſchwervergoldete
Lakaien. Er trug damals einen rothen Rock. Noch
einmal liebte ich ihn; es war 1812. Er kommt in
Moskau an, tritt in ein Zimmer im Kremlin. Ich
wußte vorher, es war die Grenze ſeines Glückes.
Einige Stunden ſpäter brach der Brand los. Fürch¬
terlich auch im Spiele. Er iſt allein im Zimmer,
die Fenſter werden roth vom Feuer und immer
röther. Die Flamme kommt immer näher. Einer
nach dem Andern ſtürzt herein, ihn zur Flucht zu
bewegen. Er will nichts hören von Rettung, wirft
ſich verzweiflungsvoll in einen Seſſel, und dumpf¬
brütend ſenkt er den Kopf auf den Tiſch wie zum
Schlafen. Die Fenſter werden geöffnet und man
ſieht Moskau brennen. Das übertrifft an natur¬
wahrem Schrecken Alles, was ich bis jetzt geſehen.
Beim Rückzuge ſtellt die Scene eine große leere
Bauernhütte vor. Einzelne Soldaten, Marketender¬
innen, halberfroren, ſchleichen wie Geſpenſter herein.
Sie nähern ſich der Flamme und fallen todt hin.
Dann kommt Napoleon. Jetzt beginnt der Kanonen¬
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/201>, abgerufen am 22.12.2024.
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