"Prost neu Jahr!" Aber es ist eine dumme Geschichte, ich bin schon gewohnt daran, es ist schon Mittag. Dieses Jahr ist mit Zähnen auf die Welt gekommen, und will sich nicht wickeln lassen. Es wird mit Blut getauft werden. Könnte ich nicht einen Kalender schreiben? Ich spräche wie ein Prophet: Ein großer Fürst wird sterben in diesem Jahre. Aber das ist falsch prophezeihet; es lebt gegenwärtig kein großer Fürst. Aber der Frühling wird naß werden (nicht von Wasser) der Sommer heiß (nicht blos von der Sonne) und der Herbst gut (nicht blos an Wein). -- Unser König hier soll und will in die Tuilerien ziehen, weil das Palais- Royal wirklich zu klein ist, und auch sonst zur könig¬ lichen Wohnung nicht schicklich. Aber die Königin sträubt sich mit aller Macht gegen die Tuilerien. Sie sagt, das wäre une maison de malheur. Die Frau hat Recht und ich hätte auch aberglaubi¬ sche Furcht davor. -- Beim Conseil in Genf wurde von einem Deputirten der Antrag gemacht, den Ju¬ den die bürgerliche Freiheit zurückzugeben, die sie bis zum Jahre 1816, wo die französische Herrschaft aufhörte, genossen haben. Der Antrag wurde von Vielen unterstützt. Die Zeit wird auch bald für
Samſtag, d. 1 Januar 1831.
„Proſt neu Jahr!“ Aber es iſt eine dumme Geſchichte, ich bin ſchon gewohnt daran, es iſt ſchon Mittag. Dieſes Jahr iſt mit Zähnen auf die Welt gekommen, und will ſich nicht wickeln laſſen. Es wird mit Blut getauft werden. Könnte ich nicht einen Kalender ſchreiben? Ich ſpräche wie ein Prophet: Ein großer Fürſt wird ſterben in dieſem Jahre. Aber das iſt falſch prophezeihet; es lebt gegenwärtig kein großer Fürſt. Aber der Frühling wird naß werden (nicht von Waſſer) der Sommer heiß (nicht blos von der Sonne) und der Herbſt gut (nicht blos an Wein). — Unſer König hier ſoll und will in die Tuilerien ziehen, weil das Palais- Royal wirklich zu klein iſt, und auch ſonſt zur könig¬ lichen Wohnung nicht ſchicklich. Aber die Königin ſträubt ſich mit aller Macht gegen die Tuilerien. Sie ſagt, das wäre une maison de malheur. Die Frau hat Recht und ich hätte auch aberglaubi¬ ſche Furcht davor. — Beim Conſeil in Genf wurde von einem Deputirten der Antrag gemacht, den Ju¬ den die bürgerliche Freiheit zurückzugeben, die ſie bis zum Jahre 1816, wo die franzöſiſche Herrſchaft aufhörte, genoſſen haben. Der Antrag wurde von Vielen unterſtützt. Die Zeit wird auch bald für
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Samſtag, d. 1 Januar 1831.
„Proſt neu Jahr!“ Aber es iſt eine dumme
Geſchichte, ich bin ſchon gewohnt daran, es iſt ſchon
Mittag. Dieſes Jahr iſt mit Zähnen auf die Welt
gekommen, und will ſich nicht wickeln laſſen. Es
wird mit Blut getauft werden. Könnte ich nicht
einen Kalender ſchreiben? Ich ſpräche wie ein
Prophet: Ein großer Fürſt wird ſterben in dieſem
Jahre. Aber das iſt falſch prophezeihet; es lebt
gegenwärtig kein großer Fürſt. Aber der Frühling
wird naß werden (nicht von Waſſer) der Sommer
heiß (nicht blos von der Sonne) und der Herbſt
gut (nicht blos an Wein). — Unſer König hier ſoll
und will in die Tuilerien ziehen, weil das Palais-
Royal wirklich zu klein iſt, und auch ſonſt zur könig¬
lichen Wohnung nicht ſchicklich. Aber die Königin
ſträubt ſich mit aller Macht gegen die Tuilerien.
Sie ſagt, das wäre une maison de malheur.
Die Frau hat Recht und ich hätte auch aberglaubi¬
ſche Furcht davor. — Beim Conſeil in Genf wurde
von einem Deputirten der Antrag gemacht, den Ju¬
den die bürgerliche Freiheit zurückzugeben, die ſie
bis zum Jahre 1816, wo die franzöſiſche Herrſchaft
aufhörte, genoſſen haben. Der Antrag wurde von
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/180>, abgerufen am 22.02.2025.
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